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Armut hinter glänzenden Fassaden

Hermannstadt in Siebenbürgen ist Europäische Kulturhauptstadt. Dafür wurden das mittelalterliche Zentrum und zahlreiche Gebäude in der Stadt saniert. Doch der schöne Schein zeichnet scharfe Schatten: Für Rentner und junge Familien wurden steigende Mieten unbezahlbar. Thomas Wagner berichtet.

14.03.2007
    Reger Betrieb auf dem Großen Ring, dem Zentrum von Hermannstadt in Zentralrumänien: Von früh bis spät laufen Einheimische und Touristen auf dem riesigen Platz auf und ab. Die mittelalterlichen Fassaden erstrahlen in kräftig frischen Farben, ohne Makel das großflächige Kopfsteinpflaster.

    "Hier hat sich in letzter Zeit wahnsinnig viel geändert. Noch vor kurzer Zeit sah dieser Platz ganz anders raus, richtig heruntergekommen. Jetzt ist das alles in kurzer Zeit viel schöner geworden. Alles erscheint wie neu. Aber schließlich sind wir jetzt ja auch Europäische Kulturhauptstadt."

    Alinia Nagaspa wohnt in Hermannstadt . Sie kann kaum glauben, wie die Stadt ihr Gesicht verändert hat. Das umfangreiche Altstadtsanierungsprogramm von Hermannstadt, unterstützt von der EU und der deutschen Entwicklungshilfe, hat Modellcharakter für ganz Osteuropa. Aber zunehmend treten die Schattenseiten zutage.

    "Ich heiße Brigitte Danko, wohne in der Avovanco Straße Nummer sieben. Seit 50 Jahren wohne ich hier. Bis am 31. März habe ich Kontrakt. Und vom 31. März habe ich keinen Kontrakt mehr. Uns sie haben gesagt, ich soll nicht nur ich, wir sind neun Familien im Hof, sollen wir heraus, sollen uns was suchen. Und ich habe nichts, was ich mir suchen soll."

    Tränen fließen der alten Frau übers Gesicht. Dass sie nach über einem halben Jahrhundert ihre Wohnung in Zentrumsnähe verlassen muss, kann sie kaum verwinden. Doch der private Hauseigentümer hat die Miete so stark angehoben, dass ihre kleine Rente dafür nie und nimmer reicht.

    "Die Vermieter verlangen furchtbar viel, bis zu 300 Euro. Und ich habe nichts, von wo ich soviel bezahlen kann. Ich habe ja nicht einmal so viel Rente. Ich habe 4 Millionen 700.000 Lei Rente. Und die Hälfte davon zahle ich die Miete. Vom Rest muss ich das Gas bezahlen, das Licht, Telefon, Medikamente, denn ich bin ich nicht gesund. Im vergangenen April habe ich meinen Mann verloren, nach acht Tagen meinen Sohn. Sie können mir glauben oder nicht: Mehr wie zehn Grad habe ich in meiner Wohnung nicht."

    Das Schicksal der alten Frau ist kein Einzelfall. Die Rumäniendeutsche Marianne Fritzmann ist im Gemeinderat von Hermannstadt Vorsitzende des Ausschusses für Soziales und Wohnungsbau.

    "Die Mieten sind ums Zehnfache gestiegen. In den letzten Jahren wurden die Wohnungen und Häuser den früheren Eigentümern zurückgegeben. Um die Sanierung dieser Privathäuser durchführen zu können, haben die Eigentümer die Mieten erhöht. Durch die Sanierung der Wohnungen erklärt sich auch automatisch die Erhöhung der Mieten."

    Zwei Faktoren trugen zum rasanten Mietanstieg bei: Zum wurden viele Gebäude, die die Kommunisten einst verstaatlicht hatten, erst in den vergangenen Jahren an die rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben. Und die wollen nun ihre Immobilien auch gewinnbringend nutzen. Zum anderen bekommen im Zuge des Altstadtsanierungsprogramms die Hauseigentümer erkleckliche Zuschüsse. Die sanierten Gebäude steigen rasch in ihrem Wert. Entsprechend rasant schnellen die Mieten in die Höhe. Ergebnis: Die sozial Schwachen bleiben auf der Strecke. Das betrifft nicht nur Rentner, sondern auch junge Berufseinsteiger, weiß Marianne Fritzmann:

    "Junge Familien, die eine eigene Familie gegründet haben und auf eigenen Füßen stehen wollen, beantragen natürlich und benötigen eine eigene Wohnung, da sie mit den eigenen Eltern nicht mehr zusammen wohnen können, da der Wohnungsbau zu klein ist. Die Sozialwohnungen der Stadt sind beschränkt. Dann müssen sie sich auf dem freien Markt eine Wohnung mieten, wenn sie die notwendigen Einnahmen haben. Das heißt: 150, 220 Euro Miete pro Monat für eine Zwei- oder Drei-Zimmer-Wohnung. Das Mindestgehalt liegt bei 130 Euro pro Monat. Da ist es schwer möglich, dass sich junge Familien eine Mietwohnung leisten können."

    Sorana Bradu, Anfang 30, wurde in Hermannstadt geboren. Als Kind ging sie nach Deutschland und kehrte jetzt wieder nach Rumänien zurück. Sie traf sich mit vielen Schulfreunden von früher und weiß, wie beengt viele junge Familien leben müssen.

    "Die Blockwohnungen sind maximal Drei-Zimmer-Wohnungen um die 70 Quadratmeter. So vier, fünf Personen sind schon die Regeln, die da wohnen, mit Kindern und Eltern dazu."

    Die Stadtverwaltung von Hermannstadt hat das Problem zwar erkannt. Über 300 Sozialwohnungen sollen in nächster Zeit gebaut werden. Wann die aber fertig sind, ist noch völlig ungewiss. Außerdem liegen rund 1000 Anträge auf eine Sozialwohnung vor. Eine gewisse Entspannung erhoffen sich die Verantwortlichen durch die Banken, die jungen rumänischen Familien zunehmend Kredite zum Kauf einer Eigentumswohnung einräumen. Rentner wie Brigitte Danko bleiben dabei aber außen vor. Die alte Frau weiß: Sie wird wohl niemals mehr eine eigene Wohnung für sich haben.

    "Wo ich hingehe? Ich tue die Möbel alle vors Tor und werde schlafen gehen zu einem meiner Kinder."