Donnerstag, 28. März 2024

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Arnold: Ausweitung des Atalanta-Mandats hat überhaupt keinen Nutzen

Die EU-Mission Atalanta soll die Handelschifffahrt am Horn von Afrika vor Piraten schützen, mangels durchschlagendem Erfolg sollen die beteiligten Länder mehr Befugnisse für den Einsatz bekommen. Das sei nutzlos, sagt der SPD-Politiker Rainer Arnold. Die Piraten würden sich darauf einstellen, argumentiert er - und befürchtet den Tod unschuldiger Menschen.

Das Gespräch führte Peter Kapern | 23.03.2012
    Peter Kapern: Atalanta, so heißt die Operation der Europäischen Union zur Bekämpfung der Piraterie vor Somalia. Seit drei Jahren ist die Union mit einem Flottenverband im Seegebiet am Horn von Afrika präsent, um die Handelsschifffahrt zu schützen. Wirklich durchschlagenden Erfolg hatte die Operation bislang aber nicht und deshalb werden die EU-Außenminister heute das Mandat ausweiten.
    Bei uns am Telefon nun Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Arnold.

    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Arnold, unsere Korrespondentin sagte gerade, die SPD könne die Mandatsausweitung nun ablehnen. Also Frage an Sie: Was macht die SPD? Sagt sie ja oder sagt sie nein?

    Arnold: Also die Fraktion hat sich noch nicht damit befasst, dazu bräuchten wir erst mal von der Bundesregierung einen Antrag und einen Mandatstext. Aber als Fachpolitiker wäre mein Rat, dieses Mal tatsächlich nein zu sagen. Wir sind natürlich dafür, dass die Bundeswehr auf See weiterhin gegen Piraten kämpft, aber die Ausweitung dieser Mission, das ist wirklich eine Scheinlösung. Die Piraten sind ein lernfähiges System, und wenn das Mandat sagt, man darf nur so und so viel Meter vom Strand weg, werden die Piraten als Erstes versuchen, natürlich ihre Logistik weiter zurückzuziehen.
    Das Zweite ist: Es dürfen ja keine Menschen zu Schaden kommen. Das heißt, die werden einfach Menschen in ihre Logistiklager setzen, und schon ist die internationale Staatengemeinschaft nicht mehr einsatzfähig.
    Und als Drittes: Es ist ein erhebliches Risiko beim Einsatz von Militär, dass eben auch Fehler gemacht werden. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was passiert, wenn tatsächlich mal statt eines Piratencamps ein Fischercamp angegriffen wird, und aus der Luft sehen die Dinge nicht so sehr unterschiedlich aus. Das heißt, es ist eine Lösung, die nicht wirklich trägt. Wir brauchen politische Prozesse in Somalia, wir brauchen einen Stopp der Geldströme der Piraten, wir müssen an die Hintermänner heran. All dies ist viel wichtiger als ein Placebo, das vielleicht 14 Tage, drei Wochen eine Wirkung hat und dann schon wieder verpufft.

    Kapern: Nun ist ja die Situation so, Herr Arnold, dass offenbar die Verteidigungsexperten von 27 EU-Staaten der Meinung sind, dass diese Mandatsausweitung grundsätzlich sinnvoll ist. Macht sie das nicht etwas einsam mit Ihrer Auffassung?

    Arnold: Ich habe nicht den Eindruck, dass die alle der Auffassung sind, dass es sinnvoll ist ...

    Kapern: Aber sie stimmen der Mandatsausweitung zu!

    Arnold: Ja. Es ist ja auch kein Problem, in Brüssel einer Mandatsausweitung zuzustimmen, wenn man selbst nicht daran beteiligt ist an so einer Operation. Im Augenblick sind eh nur fünf Nationen mit ihren Schiffen dort. Die Deutschen selbst haben nur zwei Hubschrauber, die Bordwaffen reichen nur für 800 Meter. Also, es ist auch ein kritisches Unterfangen für die Piloten am Risiko behaftet, falls sie mal tatsächlich selbst mit einer Panzerfaust angegriffen werden, und insofern kann man nicht sagen, dass alle sich an dieser Aufgabe beteiligen.
    Und das Zweite ist: Auch die deutsche Bundesregierung sieht doch diesen Einsatz kritisch. Der Minister selbst hat erklärt, er ist skeptisch. Müssen wir als Sozialdemokraten einem Mandat einfach zustimmen, von dem selbst die eigene Regierung sagt, sie sind skeptisch? Nein, das Mandat macht relativ wenig Sinn und bei einer Parlamentsarmee sollten wir nicht einfach immer Ja sagen. Das können wir so nicht machen aus unserer Sicht. Wir stehen zur Verantwortung, wir stehen auch zur europäischen Loyalität, aber wir schicken Soldaten nur in Einsätze, bei denen die Dinge klar sind. Es ist bis zum heutigen Tag nicht mal geklärt, was heißt Strand, es ist nicht klar, wird das transparent in der deutschen Öffentlichkeit, oder sind das geheime Unterlagen, und so können wir nicht mit einer Parlamentsarmee umgehen.

    Kapern: Sie haben gerade die Skepsis innerhalb der Bundesregierung in dieser Frage angesprochen. In der Tat war es ja so, dass die Bundesregierung sich gegen diese Mandatsausweitung längere Zeit gesträubt hat. Was steckt Ihrer Meinung nach hinter dem Kursschwenk?

    Arnold: Ja, sicherlich ist ein gewisser Druck da auf der europäischen Ebene, der vor allen Dingen von Großbritannien und Frankreich ausgeübt wird, die dort schon bereit wären, ein bisschen robuster vorzugehen. Manchmal hat man aber auch den Eindruck, so diskutieren vor allen Dingen die Briten das, die Deutschen würden gern diese eben nicht ganz einfache Debatte lieber nach den anstehenden Landtagswahlen haben und haben deshalb auch auf Zeit gespielt. Das ist der Eindruck, der außerhalb Deutschlands da ist.

    Kapern: Allerdings muss man doch auch festhalten: Allein im letzten Jahr hat es in diesem Seegebiet 230 Piratenüberfälle gegeben. Das bedeutet doch eigentlich nichts anderes, als dass die Mission Atalanta bisher völlig sinnlos und ergebnislos ist?

    Arnold: Nein, das kann man wirklich nicht sagen. Wir hatten vor einiger Zeit präzise Zahlen auf dem Tisch und da wird sichtbar, die Zahl der gelungenen Piratenüberfälle ist drastisch gesunken, weil Atalanta Wirkung hat. Und auch die Bundeswehr bekommt gerade in diesen Wochen neue Fähigkeiten für Atalanta, wo es auch möglich ist, die größeren Piratenschiffe – und die liegen ja überhaupt nicht am Strand, die sind ja in Häfen und dort dürfen sie auch nicht zerstört werden, falls man das Mandat erweitert. Aber diese größeren Schiffe müssen auch angegangen werden, und hier bekommt die Bundeswehr Fähigkeiten, um dies zu können.
    Und das Zweite, warum die Zahl der gelungenen Überfälle deutlich zurückgeht, ist: Die Reeder selbst sind endlich bereit, für mehr Sicherheit durch Wachpersonal auf ihren Schiffen zu sorgen. Da gibt es also eine ganze Reihe Stellschrauben, die angezogen werden müssen.

    Kapern: Der Zahl, die Sie da gerade genannt haben, der Statistik, die Sie zitiert haben, Herr Arnold, steht ja eigentlich gegenüber doch ein sehr dringender Hilferuf der deutschen Reeder, die kürzlich noch dafür plädiert haben, möglicherweise sogar Bundeswehrsoldaten auf ihren Schiffen einzusetzen, jedenfalls heftig bewaffnetes Personal. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?

    Arnold: Das ist natürlich abenteuerlich. Bei der Vielzahl der Schiffe, die sich in diesem Seeraum bewegen, wäre es gar nicht möglich, die über Soldaten zu schützen. Nein, die Reeder müssen selbst Geld in die Hand nehmen, müssen eigenständiges Wachpersonal einstellen. Hier gibt es ein internationales Recht, wo geregelt ist, mit welchen Waffen die arbeiten dürfen. Die Reeder müssen selbst Sicherheitsräume auf ihren Schiffen schaffen, wo sich die Besatzungen zurückziehen können, bis die internationalen Soldaten kommen und helfen, und die Reeder sollten nicht alle ihre Schiffe ausflaggen. Ich meine, das geht auch nicht, die Schiffe unter einer Billigflagge losschicken und dann sagen, die Deutschen sollen aber mit Steuermitteln helfen. Da passt manches nicht zusammen. Wir wären aber gerne bereit, mit den Reedern darüber zu reden, wie wir zu einer Zertifizierung von internationalem Wachpersonal und Unternehmen kommen, die Schiffe schützen können. Hier gibt es sicherlich noch einen Bereich, wo Politik handeln kann und den Reedern helfen.

    Kapern: Haben Sie nicht Furcht vor dem Vorwurf, dass die SPD dazu beiträgt, dass Deutschland seine Handelsmarine im Stich lässt?

    Arnold: Nein, wir lassen die Handelsmarine hier überhaupt nicht im Stich. Wir würden diesem Mandat ja zustimmen, wenn wir wirklich einen Nutzen sehen würden, aber es gibt für mich nur zwei Varianten, wie das mit diesem erweiterten Mandat laufen wird. Die Piraten werden sich innerhalb von wenigen Wochen darauf einstellen, Menschen in ihre Lager setzen, und dann ist die internationale Staatengemeinschaft nach diesem Plan, nämlich von den Hubschraubern aus mit Maschinengewehren Lager am Boden zu zerstören, nicht mehr einsatzfähig, weil keine Menschen getötet werden dürfen, was ja auch richtig ist.
    Die zweite Variante ist: Es passiert was Tragisches, weil aus der Luft ein Fischercamp eben nicht so ohne Weiteres von einem Piratencamp zu unterscheiden ist. Insofern reden wir über eine Mandatsausweitung, die überhaupt keinen Nutzen hat. Wenn, dann vielleicht nur wenige Tage. Die Piraten sind wirklich lernfähig, die haben sich immer wieder auf neue Szenarien eingestellt.

    Kapern: Als es um den Einsatz der NATO gegen Libyen ging, Herr Arnold, da sah sich Guido Westerwelle, der sich und die Bundesregierung auf ein Nein festgelegt hatte, dem Vorwurf ausgesetzt, er habe die Bündnissolidarität aufgekündigt. Kommt das jetzt auf die SPD zu?

    Arnold: Nein, ich glaube, es ist gerade umgekehrt. Guido Westerwelle und die Bundesregierung hat beim richtigen, auch beim ethisch gebotenen Einsatz bei Libyen die Staatengemeinschaft, die NATO und Europa wirklich im Stich gelassen und als Mitglied im Sicherheitsrat sich enthalten. Und weil sie dort den großen Fehler gemacht haben, sind sie jetzt sicherlich bei der falschen Frage, nämlich die Atalanta-Mission auszuweiten, ganz besonders unter Druck. Dieses Problem können wir aber nicht auflösen, diesen Fehler hat Guido Westerwelle und die Regierung nun wirklich selbst gemacht.

    Kapern: Rainer Arnold war das, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Herr Arnold, danke für das Gespräch und einen schönen Tag noch.

    Arnold: Danke auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.