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Arnold: Wir werden Afghanistan nicht im Stich lassen

Es sei "außerordentlich bedauerlich und schlecht", dass Pakistan am Montag nicht an der Afghanistankonferenz in Bonn teilnehme, sagt Rainer Arnold (SPD). Der Außenpolitiker sagte Afghanistan weiter Unterstützung beim wirtschaftlichen Aufbau zu - auch über den militärischen Abzugstermin 2014 hinaus.

Rainer Arnold im Gespräch mit Christoph Heinemann | 02.12.2011
    Christoph Heinemann: Südlich von Kabul hat sich ein Selbstmord-Attentäter vor einem NATO-Stützpunkt in die Luft gesprengt, dabei wurden mindestens fünf Menschen verletzt – Begleitmusik, kann man sagen, zur Afghanistan-Konferenz. Dass sich die Pakistanis nicht blicken lassen werden, ist mehr als ein Schönheitsfehler. Nachdem die NATO über 20 Grenzpolizisten getötet hat, ließ Islamabad alle Flugkarten nach Bonn stornieren. Pakistan ist nicht nur Nachbar Afghanistans, Rückzugs- und Nachschubgebiet der kampfeswilligen Taliban; Pakistan ist mit seinem Geheimdienst ISI inoffiziell auch Kriegspartei.
    Ein anderer Nachbar ist die mutmaßlich werdende Atommacht Iran. Die Beziehungen zwischen Teheran und Washington sowie den europäischen Hauptstädten sind schon lange nicht mehr gut, aber auch schon lange nicht mehr so schlecht wie seit dieser Woche. Der Plünderung britischer Einrichtungen in Teheran folgte die diplomatische Erstversorgung. Das heißt: Botschaftspersonal ausweisen, Botschafter abziehen, Sanktionen vorbereiten.
    Rainer Arnold ist SPD-Verteidigungs- und –Außenpolitiker. Guten Morgen.

    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Arnold, die Konferenz sollte ja eigentlich eine Perspektive für eine Versöhnung in der Region eröffnen. Wie viel bleibt davon ohne Pakistan übrig?

    Arnold: Wir wissen natürlich alle, dass Afghanistan nur stabilisiert werden kann mit einer regionalen Einbindung aller Nachbarstaaten, und Pakistan ist natürlich das ganz entscheidende Land und insofern ist es außerordentlich bedauerlich und schlecht, dass es diesen Rückschlag gegeben hat. Aber die Konferenz hat ja auch eine andere Aufgabe, nämlich dass ein deutliches Signal an die afghanische Gesellschaft gegeben wird, wie wird es nach dem Jahr 2014 weitergehen, und da ist das wichtige Zeichen, wir werden Afghanistan auch nach dem Rückzug der militärischen Komponenten nicht im Stich lassen, sondern weiterhin bei der Bezahlung Polizei, Militär, Ausbildung der Sicherheitsorgane und vor allen Dingen beim engagierten zivilen Aufbau wirtschaftliche Entwicklungen ermöglichen. All dies muss in Bonn besprochen werden und dies kann dort trotzdem noch ein positives Zeichen sein.

    Heinemann: Wer schützt denn die Ausbilder und die Aufbauhelfer, wenn die Kampftruppen weg sind?

    Arnold: Natürlich gehört zur Wirklichkeit, dass solange deutsche Soldaten in Afghanistan sind, zur Sicherheit des deutschen Kontingentes auch Kampftruppen dabei sein werden. Deshalb würde ich auch lieber anders formulieren. Nach dem Jahr 2014 werden deutsche Soldaten nicht mehr draußen auf den Straßen in den Dörfern und Städten für Sicherheit sorgen. Dies werden die Afghanen selbst leisten, und die nächste Tranche der Übergabe der Verantwortung an die Afghanen macht ja deutlich: Fast die Hälfte des Landes steht dann unter afghanischer Verantwortung. Also man kommt in diesem Bereich durchaus voran und es hat auch keine großen Rückschläge gegeben. Es ist nicht besser geworden, die Sicherheitslage, sie ist aber auch nicht schlechter geworden in den Distrikten, in denen die Afghanen Verantwortung tragen.

    Heinemann: Keine Rückschläge, sagen Sie, Herr Arnold. Man hört aber immer mehr, oder immer noch, dass afghanische Soldaten und Polizisten zuhauf zu den Gegnern der westlichen Truppen überlaufen und ihre Ausrüstung gleich mitnehmen. Wie will man mit solchen Leuten denn Staat machen, oder Sicherheit garantieren?

    Arnold: Die Welt in Afghanistan ist so, wie sie ist. Man muss mit den Menschen zusammenarbeiten, die man dort hat. Es ist ein Entwicklungsland, eines der ärmsten Länder, es blüht die Korruption, vieles ist nicht in Ordnung und man darf sich es natürlich nicht schön malen. Es bleibt einem aber nichts anderes übrig. In anderen Ländern der Welt müssen wir auch mit den Akteuren umgehen, die man hat. Man kann allerdings nicht sagen, dass die haufenweise überlaufen. Im Bereich der afghanischen Armee ist eine relative Stabilität da. Die Armee wird Jahr für Jahr leistungsfähiger. Davon kann man sich durchaus auch überzeugen, wenn man dort Besuche macht. Also es geht schon auch voran. Alles ist langsam, alles ist mühsam, das ist wohl wahr.

    Heinemann: Herr Arnold, könnten Sie sich ein Szenario vorstellen, das den Abzugstermin 2014 infrage stellt?

    Arnold: Ich glaube, es ist schon wichtig, dass man sich dieses Ziel sehr, sehr deutlich setzt. Es ist ein Signal an die westlichen Gesellschaften, deren Geduld zu Ende geht; es ist aber auch wichtig für die Afghanen zu wissen, in diesem Jahr wird es dann wirklich ernst. Bisher sehen wir nicht, dass dieser Prozess nicht funktioniert, aber ich glaube, man muss sich sehr ernsthaft Gedanken machen, welche Sicherheitsvorsorge man auch nach dem Jahr 2014 noch hat. Also einfach weggehen im Glauben, alles wird automatisch gut, das wäre zu wenig. Man muss schon Vorsorge betreiben, so wie man es übrigens ja auf dem Balkan im Augenblick sieht und auch getan hat.

    Heinemann: Automatisch geht das sicherlich nicht. Das sagte auch in der vergangenen Woche bei einer Veranstaltung der Fernsehjournalist Ulrich Tilgner, der regelmäßig aus Afghanistan berichtet. Er hat gesagt, der Westen habe die Alternative: Entweder er bombt, oder er zahlt ein vorgeblich gutes Ende des Militäreinsatzes herbei. Wofür stehen Sie, fürs Bomben oder fürs Zahlen?

    Arnold: Ich glaube nicht, dass man immer nur zwischen zwei Alternativen in Afghanistan entscheiden kann. Jede Bombe ist dann letztendlich auch ein Rückschlag für den Prozess, weil er das Vertrauen der afghanischen Gesellschaft nicht unbedingt stärkt. Dass wir zahlen müssen, das steht für mich außer Frage, und ich bin schon der Auffassung, das, was in Bonn jetzt diskutiert wird, ist wichtig, aber die Nagelprobe für den Westen wird kommen. Die Zusagen, die in Bonn gemacht werden, sind wohlfeil. Glaubwürdig werden sie erst, wenn sie die Staaten materiell unterlegen, und in keinem Land wird das einfach angesichts der Finanzkrise in allen Staaten.

    Heinemann: Herr Arnold, westlicher Nachbar von Afghanistan ist der Iran. Ringen um die Atompläne, Randale in Teheran – wird in den kommenden Tagen und Wochen wieder etwas lauter über eine militärische Option nachgedacht?

    Arnold: Ich hoffe nicht, dass dies lauter wird. Wir haben das ja in den letzten Wochen bereits erlebt und wir Europäer sollten uns in der Frage wirklich einig sein. Wir müssen alles tun, damit die militärische Option vermieden wird. Das Risiko für die Stabilität in dieser gesamten Region wäre unglaublich hoch, die Nachteile würden überwiegen, und über eine militärische Operation kann man dieses Atomprogramm der Iraner letztlich nicht verhindern, allenfalls verzögern. Dies heißt im Klartext, man muss den Iran mit ganz konsequenten Sanktionen im wirtschaftlichen Bereich so unter Druck setzen, dass er hoffentlich noch rechtzeitig einlenkt.

    Heinemann: In der kommenden Woche tagen die NATO-Außenminister. Lenkt die gegenwärtige Lage, diese Randale da in Teheran, Wasser auf die Mühlen der Freunde und Förderer eines Raketenabwehrschirms?

    Arnold: Es macht es sicherlich nicht einfacher, wenn die iranische Führung der Welt den Eindruck vermittelt, sie haben überhaupt kein Interesse an Deeskalation, sondern im Gegenteil, und es gibt ja auch Analysten, die sagen, diese Regierung im Iran wird eigentlich durch solche Prozesse eher stabilisiert im Inneren, und natürlich muss einem das ganz, ganz erhebliche Sorgen machen. Ich bleibe aber dabei: die militärische Option wäre ein Fiasko für die gesamte Region mit unkalkulierbaren Risiken für den Friedensprozess im Nahen Osten, aber vor allen Dingen auch mit unkalkulierbaren Risiken in den Ländern, in denen der Arabische Frühling plötzlich doch die Situation verändert hat, und wir fürchten doch sehr, dass die Menschenmassen massivst, massivst sich aufstellen würden, und zwar nicht für Israel, sondern gegen Israel und gegen den Friedensprozess. Deshalb, glaube ich, muss man mit dieser militärischen Option äußerst zurückhaltend bleiben.

    Heinemann: Rainer Arnold, SPD-Verteidigungs- und –Außenpolitiker. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Arnold: Danke auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.