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"Arte povera"-Künstlerin
Trauer um Marisa Merz

Marisa Merz ist im Alter von 93 Jahren gestorben. Das berichtet die italienische Zeitung „La Repubblica“. Merz war eine frühe – und die einzige weibliche - Vertreterin der Arte Povera, stand aber jahrzehntelang im Schatten ihres berühmten Mannes, dem 2003 verstorbenen Künstler Mario Merz.

Von Carsten Probst | 21.07.2019
Die Künstlerin Marisa Merz erhielt 2013 bei der 55. Internationalen Kunst-Biennale von Venedig den "Goldenen Löwen" für ihr Lebenswerk.
Die Künstlerin Marisa Merz erhielt 2013 bei der 55. Internationalen Kunst-Biennale von Venedig den "Goldenen Löwen" für ihr Lebenswerk. (dpa/Felix Hörhager)
Marisa Merz hat ein Werk geschaffen, das gerade in Deutschland noch viel bekannter werden sollte. Es wurde spät bekannt, aber marginalisiert wurde es nicht. Arbeiten von Marisa Merz finden sich weltweit in vielen großen Kunstsammlungen, sie hatte Ausstellungen im MoMA oder im Centre Pompidou, sie war zweimal bei der documenta vertreten und auf mehrere Biennalen eingeladen, darunter die in Venedig und Sydney.
Ihr Werk zeichnet sich durch seine subtile, geradezu musikalische Art und Weise aus, den Zauber des künstlerischen Materials zu beschwören. Einige ihrer Arbeiten zählen zum Stärksten, was in der Arte Povera überhaupt gemacht wurde. Zum Beispiel ihre biomorphen Hängeskulpturen, die aus losen Elementen glänzender, teils bemalter Aluminiumfolie zusammengefügt sind.
"Living Sculpture" von 1966 etwa, seltsam pflanzliche Lebewesen, die einerseits wie die Übertragung futuristischer Maschinenkörper in die Skulptur wirken, aber gleichzeitig so fragil wie ein Lufthauch sind. Bei Merz geht es weniger um die Darstellung von Körpern als um die "Bedingungen, Körper zu sein", schrieb einmal ein Kritiker, eine sehr passende Beschreibung für ihren Ansatz. Viele ihrer Objekte und Zeichnungen sind so, dass sie erkennbare Formen beschwören, diese aber im Material auch wieder auflösen.
Keine Trennung von Leben und Arbeit
Zugleich steckt dahinter ein großer Idealismus. Sie selbst hat einmal gesagt: "Es gab niemals irgendeine Trennung zwischen meinem Leben und meiner Arbeit." Das Werk ist wie ein ständiger Fluss, ein Prozess, der eigentlich nie aufhört, ein sehr alter Traum von absoluter Kunst, und aus diesem Grund hat sie ihre Arbeiten selbst nie datiert oder signiert. Jede Art der Kategorisierung oder Einordnung hätte aus ihrer Sicht diesen fließenden Prozess nur künstlich unterteilt und verfälscht.
Die Rhetorik des Femininen, die viele in ihrem Werk sehen, bezieht sich darauf, dass sie ihre Materialien immer wieder mit Handwerkstechniken bearbeitet hat, die traditionell als "weiblich" konnotiert sind: Flechten, Weben, Sticken. So wie die kleinen Objekte aus Draht oder Nylongeflecht, die wie Kleidungsstücke wirken, kleine Schuhe mit Eisennägeln oder gewebte Nylonbuchstaben, die den Namen ihrer Tochter ergeben. Eine spezifisch "weibliche" Kunstposition wollte sie trotzdem nie beziehen. Eben aus demselben Grund, weshalb sie ihre Arbeit auch nicht in andere Kategorien einfließen lassen wollte.
Marisa Merz’ Werk macht in seiner großartigen Eigenheit deutlich, dass es noch eine ganz andere Kunstgeschichte zu erzählen gibt, einen anderen Idealismus als den ihrer männlichen Arte Povera-Kollegen.