Freitag, 19. April 2024

Archiv

Artensterben
Gewinner und Verlierer im Insektenreich

2017 sorgte eine Studie zum Insektensterben für Wirbel: Im Lauf von 27 Jahren sei die Biomasse von Fluginsekten um mehr als 75 Prozent geschrumpft. Biodiversitätsforscher legen nun eine neue Abschätzung vor, basierend auf einer großen Literaturstudie. Ergebnis: Es ist komplizierter als zunächst gedacht.

Von Volker Mrasek | 24.04.2020
Maikäfer sitzt auf Löwenzahn-Blüte
Für Käfer und Schmetterling weist der Trend nach unten (dpa / Patrick Seeger)
166 Langzeitbeobachtungen über Insekten, die Mehrzahl aus Europa und den USA. Alle überspannen einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren. Die älteste Reihe startete schon 1925 in Russland. Die frühesten europäischen stammen aus den 60er Jahren.
Das sind die Studien, die Roel van Klink und seine Kollegen auswerteten. Der niederländische Ökologe arbeitet in Leipzig, am Deutschen Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung, kurz: IDIV. Was die Forscher aus den Daten schließen: Ein generelles Insektensterben gibt es nicht:
"Die wichtigste Erkenntnis ist, dass die Trends extrem variieren. Es kommt vor, dass die Zahl der Insekten in der einen Fläche zurückgeht, während sie in der anderen direkt daneben zunimmt. Insgesamt sehen wir aber eine Abnahme der terrestrischen Insekten, also von denen, die an Land leben. Im Durchschnitt beträgt sie knapp ein Prozent pro Jahr. Das klingt nicht nach sehr viel. Aber das ist ein Verlust von 25 Prozent in nur einer menschlichen Generation."
Starke Abnahme bei Käfern und Schmetterlingen
Die meisten seiner Daten stammten aus Langzeitbeobachtungen über Schmetterlinge, sagt van Klink. Ihre Bestände gingen allgemein zurück:
"Noch stärker als Fluginsekten nehmen Arten ab, die im Grasland und auf dem Boden leben. Käfer zum Beispiel. Spinnen übrigens auch! Insekten, die man auf Bäumen oder im Boden findet, zeigen dagegen keine Bestandsveränderungen – jedenfalls nicht nach den Daten, die wir haben."
Während die Bestände der terrestrischen Insekten offenbar schon seit längerer Zeit schwinden, gibt es eine andere Gruppe, die sogar zulegt. Das sind Arten, die im Süßwasser vorkommen wie die Larven von Libellen, Mücken und Eintagsfliegen. Ihre Zahl stieg im Durchschnitt aller Studien, und zwar um über elf Prozent pro Jahrzehnt.
Eine tote Bienenkönigin mit einer roten Markierung auf dem Rücken liegt am Boden auf einem Blatt Papier.
EIne tote Bienenkönigin (picture alliance / Karl-Josef Hildenbrand)
Matthias Glaubrecht: "Das Ende der Evolution" - Die Folgen des Artensterbens
Der Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht beschreibt in seinem Buch, wie die Menschheit den Planeten Erde erobert, beherrscht und dann zerstört, indem sie alle anderen biologischen Arten vernichtet. Mit vielen Beispielen und Zahlen zeichnet er auf über tausend Seiten ein pessimistisches Weltbild.
Gewinne können Verluste nicht aufwiegen
Eigentlich eine gute Nachricht! Doch den Rückgang der Schmetterlinge und Käfer könne das nicht aufwiegen, sagt Jonathan Chase. Der US-Ökologe ist Professor für Biodiversitätsforschung an der Universität Halle-Wittenberg und Ko-Autor der neuen Studie:
"Flüsse und Seen bedecken nur etwa zwei bis drei Prozent der gesamten Landfläche. Also ist klar: Die Zugewinne im Süßwasser können den Verlust an terrestrischen Insekten nicht kompensieren! Für mich sind sie trotzdem Grund zur Hoffnung. Europa, Nordamerika und auch Russland haben in der Vergangenheit Maßnahmen zur Gewässer-Reinhaltung ergriffen. Offenbar wirken sie sich positiv auf Süßwasserinsekten auf, und die Ökosysteme erholen sich."
Bestäuber gehen verloren
Vor zweieinhalb Jahren schlug eine Studie Krefelder Entomologen hohe Wellen. In ihren Flächen beobachteten sie einen Rückgang der Insekten-Biomasse von über 75 Prozent innerhalb von knapp drei Jahrzehnten.
Die jetzt ermittelte Verlustrate aus vielen ähnlichen Studien ist zwar nur ein Drittel so hoch – aus Sicht der Forscher aber immer noch alarmierend genug. Jahr für Jahr gingen Insekten weiterhin verloren – und damit auch wichtige Blütenbestäuber und Beutetiere für Vögel.