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Artensterben im Eiltempo

Biologie.- Im japanischen Nagoya dreht sich ab heute zwei Wochen lang alles um die Artenvielfalt auf der Erde. Mehr als 190 Staaten werden Bilanz ziehen über den Zustand der Biodiversität auf ihrem Territorium.

Von Dagmar Röhrlich | 18.10.2010
    "Die Zukunft unseres Planeten hängt davon ab, dass wir die Artenvielfalt erhalten. Anstatt Art um Art und Ökosystem um Ökosystem zu verlieren, müssen wir das Ruder herumwerfen. Ansonsten haben wir meiner Meinung nach noch 10 oder 15 Jahre, ehe wir uns ernsthafte Probleme eingehandelt haben",

    urteilt Bill Jackson, stellvertretender Generaldirektor der Naturschutzorganisation IUCN mit Sitz im schweizerischen Gland. Das durch den Menschen verursachte Artensterben hat Fahrt aufgenommen: Es ist 100 bis 1000 Mal schneller als der natürliche Verlust:

    "Das stört das normale Funktionieren der Ökosysteme, was wiederum Folgen für uns als Menschheit hat. Denn ob die Versorgung mit Trinkwasser, Nahrungsmitteln oder Holz - wir könnten Schwierigkeiten bekommen, weil wir unser ökologisches Bankkonto durch das Artensterben hoffnungslos überziehen."

    In Nordamerika hat ein rätselhaftes Bienensterben bereits einen Vorgeschmack darauf gegeben, was kommen kann:

    "Wenn wir Bienen, Insekten oder auch Fledermäuse als Bestäuber verlieren, geraten die Blütenpflanzen unter Druck, und wir bekommen beispielsweise bei der Obstproduktion Probleme."

    Geht bei den Korallenriffen der Verlust weiter wie bisher, könnten sie in 30 bis 40 Jahren großenteils verschwunden sein: Für Hunderte Millionen Menschen, die von der lokalen Fischerei oder dem Tourismus abhängen, wäre das eine Katastrophe. Die Aussichten sind alles andere als rosig. Obwohl in den vergangenen zehn Jahren der Biodiversitätsverlust nicht gebremst werden konnte, sieht Bill Jackson dem Gipfel optimistisch entgegen:

    "Auf der vielleicht wichtigsten Umweltkonferenz dieses Jahrzehnts werden die Regierungen über neue, klarere Strategien für die Erhaltung der Biodiversität verhandeln, und wir hoffen auf eine breite Zustimmung."

    Anders als bei den gescheiterten Klimaverhandlungen von Kopenhagen erscheint ein internationales Abkommen möglich. Die Regierungen seien wirklich an der Erhaltung der Biodiversität interessiert, urteilt Bill Jackson. Das bedeute nicht, dass es keine schwierigen Verhandlungspunkte gebe:

    "Die Konvention zur Biologischen Vielfalt hat drei Ziele: die Biodiversität zu erhalten, sie nachhaltig zu nutzen und die Vorteile, die sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergeben, gerecht zu verteilen. Da sehe ich den ersten Streitpunkt. Hier muss nach vielen Jahren der Diskussion ganz einfach eine Entscheidung fallen, die den Herkunftsländern einer genetischen Ressource die Teilhabe am Gewinn sichert. Der zweite schwierige Punkt wird die Frage sein, wer für den Erhalt der Ökosysteme bezahlt."

    So brauchen die Entwicklungsländer mehr Hilfe, wenn sie ihren Artenreichtum erhalten sollen. Auch in den Industrienationen und Schwellenländern sind größere Anstrengung notwendig. Bei der Finanzierung der Projekte geht es aber nicht nur um Steuergelder. Auch die Wirtschaft soll stärker zur Kasse gebeten werden:

    "Derzeit zahlen wir wirklich zu wenig für die Güter, die wir von der Natur erhalten. Die Natur subventioniert unsere Wirtschaft und das kann so nicht weitergehen."

    Vielleicht ließen sich nach Vorbild des Emissionsrechtehandels Finanzierungsinstrumente entwickeln. Ob das allerdings den Gorillas, Orang-Utans oder Gibbons noch etwas nutzt, die durch Brandrodung, Wilderei und Lebensraumvernichtung vom Aussterben bedroht sind, ist fraglich.