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Artenvielfalt
Die Großen verschwinden zuerst

Fünf große Massensterben hat es in den vergangenen 540 Millionen Jahren gegeben. Wissenschaftler befürchten, dass die Menschheit gerade ein sechstes auslöst. Ob es dazu kommt, ist noch offen. Paläontologen machen jedoch bei dem, was heute in den Meeren geschieht, ein neues Muster aus: Anders als früher verschwinden vor allem große Tiere.

Von Dagmar Roehrlich | 15.09.2016
    Ein Bagger zieht am auf dem Strand von Wangerooge einen verendeten Pottwal Richtung Meer
    Ein Bagger zieht am auf dem Strand von Wangerooge einen verendeten Pottwal Richtung Meer. (picture alliance / dpa / Peter Kuchenbuch-Hanken)
    Was derzeit in den Meeren geschieht, hat keine Parallele in der Erdgeschichte. Mit diesem Ergebnis hatte Jonathan Payne von der Stanford University nicht gerechnet. Zusammen mit seiner Arbeitsgruppe hat er sich angeschaut, welche Tierarten heute in den Ozeanen vom Aussterben bedroht sind. Und dieses Muster verglich er dann mit dem, was in der Vergangenheit passiert ist: "Anders als früher ist heute das Aussterberisiko eng mit der Körpergröße verbunden: Große Arten sind generell stärker vom Aussterben bedroht als kleine - und zwar gilt das für alle, gleichgültig, ob es sich um Fische handelt, Muscheln oder Schnecken."
    Hingegen lässt sich für die vergangenen 445 Millionen Jahre statistisch kein Zusammenhang zwischen Körpergröße und dem Risiko auszusterben feststellen: "Wenn wir uns also fragen, ob wir etwas aus der fossilen Überlieferung darüber lernen können, was heute geschieht, heißt die Antwort wohl: Nein."
    Dabei laufen derzeit genau die Prozesse ab, die auch früher Auslöser von Katastrophen waren - allerdings ohne dass der Mensch sie antrieb: globale Erwärmung, Meeresversauerung, das Absinken des Sauerstoffgehalts im Wasser. Und doch ist das Aussterbemuster anders: "Wir schließen daraus, dass der Mensch ganz unmittelbar hinter der aktuellen Entwicklung steckt: Die wahrscheinlichste Erklärung dafür, dass heute vor allem die großen Arten bedroht sind und nicht die kleineren, ist schlicht und einfach die Überfischung."
    Der Mensch steckt hinter den Problemen
    Bringt der Mensch durch Überfischung die größeren Tierarten zum Verschwinden, dürfte das über Jahrmillionen hinweg schwerwiegende Konsequenzen haben. Selbst wenn rein zahlenmäßig weniger Arten verloren gehen als bei den Massenaussterben früherer Zeiten. Schließlich sind die großen Arten zentrale Mitspieler in den Ökosystemen. So formen sie als "Top-Räuber" Nahrungsnetze. Wo beispielsweise Haie fehlen, geht die Artenvielfalt insgesamt zurück.
    Große Arten sind auch sehr effizient darin, Nährstoffe - etwa über Fäkalien - in der Wassersäule zu verteilen. So sind sie ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, wo Tiere und Pflanzen gedeihen können und wo nicht.
    Immerhin habe die Erkenntnis, dass heute der Mensch durch die Fischerei hinter den Problemen stecke, etwas Gutes, urteilt Jonathan Payne: "Wenn bereits der Klimawandel hinter dem Muster stecken würde, die Meeresversauerung und das Anwachsen sauerstoffloser Zonen, dann ließe sich das nur schwer umkehren. Denn selbst wenn wir jetzt in diesem Moment aufhörten, Kohlendioxid zu emittieren, die Folgen werden uns über Tausende oder Zehntausende Jahre hinweg begleiten. Biologische Populationen hingegen erholen sich sehr schnell, wenn man sie lässt."
    Und weil die großen Arten erst vom Aussterben bedroht sind und noch nicht verschwunden, wäre schon viel gewonnen, wenn man die Überfischung stoppte. Damit hängt auch in diesem Punkt derzeit die Frage nach der Zukunft der Meere vor allem von der Vernunft der Menschheit ab.