Donnerstag, 18. April 2024

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Artgerechte Tierhaltung
Woran es auf Bio-Höfen krankt

Frisches Gras für die Kühe, freier Auslauf für die Hühner: Tieren auf Biohöfen geht es besonders gut - so die Vorstellung vieler Menschen. Doch auch Bio-Betriebe kämpfen oftmals mit Krankheiten ihrer Rinder, Schweine und Hühner - die zum Teil vermeidbar wären.

Von Lutz Reidt | 06.01.2019
    Eine Herde von Milchkühen steht auf einer Weide eines Milchviehbetriebes
    Die Gläserne Molkerei in Münchehofe will die Landwirte motivieren, sich für die Eutergesundheit ihrer Tiere einzusetzen (picture-alliance / ZB / Jan Woitas)
    Dieser Beitrag ist eine Wiederholung vom 29. Juli 2018.
    Beschaulich geht es zu im Melkstand der Domäne Fredeburg. Eine schwarzbunte Holstein-Frisian-Kuh verlässt frisch gemolken das Gatter, die nächste rückt nach, angelockt von einer speziellen Getreidemischung:
    "Das Kraftfutter kriegen sie bei uns im Melkstand; und auch nur ganz wenig; eigentlich nur, um die Tiere in ihrer Hochleistungsphase direkt nach dem Kalben ein klein bisschen zu unterstützen. Unser Ziel ist, die Milch, die wir ermelken, schon hauptsächlich aus dem Grundfutter zu melken. Weil das einfach auch eine der Kuh angemessene Fütterung ist."

    Florian Gleißner betreut die Rinder der Domäne Fredeburg, einem rund 160 Hektar großen Bio-Betrieb, südlich von Ratzeburg in Schleswig-Holstein. Der Vorzeige-Hof des Demeter-Verbandes ist über die Landesgrenzen hinaus bekannt für seine gut geführte Tierhaltung. Jedes Jahr im April, spätestens Anfang Mai kommen die 35 Kühe mit ihren Kälbern raus aus dem Stall, rauf auf die Weide:
    "Im Sommerhalbjahr machen wir eine 100-prozentige Weidefütterung. Das heißt, die Kühe holen sich wirklich jeden Halm selbst; und kommen nur noch zum Melken einmal kurz hier auf den Hof und gehen gleich nach dem Melken wieder raus auf die Weide."
    Die Rinder der Domäne Fredeburg werden im Stall mit Heu gefüttert
    Heu für die Rinder der Domäne Fredeburg. Der Vorzeige-Hof des Demeter-Verbandes ist bekannt für seine gut geführte Tierhaltung. (Deutschlandradio/L. Reidt)
    Gesundheitsprobleme in der Milchviehhaltung
    Wiederkäuende Kühe, die auf satten Wiesen liegen. So stellen sich viele Menschen die perfekte Bauernhof-Idylle vor. Damit verbunden ist die Vorstellung, dass glückliche Kühe, die auf der Weide grasen können, besonders gesunde Milch geben. Doch das ist häufig ein Trugschluss, wie Albert Sundrum erklärt.
    "Weidehaltung ist nicht per se gut fürs Milchvieh, sondern ist nur dann gut fürs Milchvieh, wenn die Tiere in der Lage sind, während des Weideganges die Nährstoffe und die Energie aufzunehmen, die sie brauchen."
    Der Tierarzt und Agrarwissenschaftler Albert Sundrum ist Professor für Tierernährung und Tiergesundheit am Fachbereich Ökologische Landwirtschaft der Universität Kassel in Witzenhausen. Der Forscher kritisiert: Nicht immer bekommen die hoch gezüchteten Milchkühe auf der Weide das, was sie brauchen. Und dann müsse der Bauer wohldosiert zufüttern, so wie in der Domäne Fredeburg. Sonst leide die Gesundheit der Kuh:

    "Ich bin eindeutig dagegen, nur dadurch, dass die Tiere auf der Weide sind, die Milch als qualitativ hochwertig zu bezeichnen. Weil wir doch auch zu viele Betriebe sehen, die die Weideführung nicht in dem Maße praktizieren wie das erforderlich ist. Also, auch hier gilt: Nicht die Weide ist per se gut, sondern es ist dann gut, wenn der Landwirt es schafft, die Weide so zu nutzen, dass es den Tieren gut geht. Also, maßgeblich ist am Ende, wie die Tiere mit dieser Situation klar kommen."
    Gutes "Management" des Landwirtes ist also wichtig, im Stall und auf der Weide. Und dieses Management definiert sich über die Sachkenntnis und das Engagement des Tierhalters und seiner Mitarbeiter. Daran hapert es häufig: Gesundheitsprobleme in der Milchviehhaltung sind weit verbreitet: Euter entzündet, Gebärmutter krank, Klauen voller Geschwüre - damit haben nicht nur konventionelle Landwirte zu kämpfen, sondern auch viele Öko-Bauern.
    Artgerecht gehalten, trotzdem krank
    Albert Sundrum hat dies wiederholt belegen können, zuletzt in einer europaweiten Studie, gemeinsam mit Forschern aus Schweden, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und den Niederlanden. Vielleicht sind Europas Biokühe glücklicher, aber gesünder sind viele von ihnen deswegen noch lange nicht:
    "Ich habe Probleme mit dem Begriff ‚glücklich‘. Die Tiere haben aufgrund größerer Stallraum-Zumessungen und auch Auslauf und Weidehaltung, die ja auch dann deutlich mehr praktiziert wird, mehr Möglichkeiten, ihr arteigenes Verhalten auszuagieren; aber die Krankheitssituation ist ja für das Wohlbefinden viel gravierender. Also eine entsprechende Erkrankung ist immer eine unmittelbare Störung des Wohlbefindens; und deswegen muss den Erkrankungen eine viel größere Bedeutung beigemessen werden als den Haltungsbedingungen."
    Artgerecht gehalten, trotzdem krank. Vordergründig ein Widerspruch, dessen Wurzeln Jahrzehnte zurückreichen:

    "Weil wir alle - in der Tiermedizin, in der Landwirtschaft - Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre gedacht haben: Wenn wir die formalen Haltungsbedingungen verbessern für die Tiere, wenn wir ihnen mehr Platz geben und sie rauslassen und dann die Einstreugeschichte regeln, werden die Tiere automatisch gesünder sein. Und heute wissen wir, so traurig es ist: Dem ist nicht automatisch so."

    Matthias Wolfschmidt ist Geschäftsführer von "Foodwatch", einer Verbraucherschutzorganisation mit Sitz in Berlin. Der Tierarzt hat bei der Auswertung internationaler Studien immer wieder feststellen müssen, dass die ökologische Tierhaltung kein Selbstläufer ist - weder bei Rindern, noch bei Schweinen oder Geflügel.
    Den Tieren gehe es - so sein Fazit - in vielen ökologisch orientierten Betrieben mindestens genauso schlecht wie in schlecht geführten konventionellen Betrieben. Und umgekehrt gelinge es auch so manchem Vertreter der viel gescholtenen Massentierhaltung, die Tiere auf einem erstaunlich hohen gesundheitlichen Niveau zu halten - obwohl dort die formalen Haltungsbedingungen deutlich schlechter sind.
    Ein Hausschwein
    Ökologische Tierhaltung ist kein Selbstläufer - weder bei Rindern, noch bei Schweinen oder Geflügel, hat Matthias Wolfschmidt, Geschäftsführer von "Foodwatch“, festgestellt (imago / blickwinkel)
    Kleine Familienhöfe nicht besser als große Tierhalter
    Auch die Unterschiede zwischen einzelnen Betrieben seien erheblich. Und kleine Familienhöfe in ländlicher Idylle manchmal nicht besser als große Tierhalter. Die Ursachen dafür sind komplex und haben mit zahlreichen Mängeln zu tun:
    "Das fängt bei der Stallhygiene an, geht über die Fütterung, geht über die Tierbetreuung, Tierbeobachtung - das ist eine ganz wichtige Größe! Denn viele Tiere zeigen eben eine Verhaltensänderung, wenn sie physiologisch in einen anderen Status geraten; es ist relativ gut belegt, dass diejenigen Tierhalter, die über eine sehr gute Tierbeobachtung verfügen, zumindest das Schwerwiegende von Erkrankungsraten verhindern können. Insofern spielt der Mensch eine enorme Rolle, und das ist verbunden mit Zeitaufwand, mit Kenntnis natürlich, mit Bereitschaft etwas zu tun und auch den finanziellen Möglichkeiten, etwas zu tun."
    Matthias Wolfschmidt kritisiert, dass die Ökoverbände bei ihren verbandsinternen Kontrollen lange Zeit zu wenig auf die Gesundheit der Tiere geachtet haben, sondern vor allem auf die Haltung der Tiere fixiert waren. Die jeweiligen Mindeststandards dafür definiert die Europäische Union in ihrer Öko-Landbauverordnung:
    "Und die Anbauverbände - also Bioland, Naturland, Demeter, wie sie alle heißen - die haben dann noch mal so eigene Spezifikationen, die teilweise darüber hinaus gehen: Die Tiere haben also mehr Platz, haben oft auch Außenzugang, können also nach draußen. Die Schweine liegen auf Einstreu, was gut für ihre Klauen ist, aber nicht unbedingt für ihre Lungen und Lebern. Die haben dann häufiger Parasiten, die Lebern zum Beispiel. Es ist ein komplexer Prozess. Und man sollte sich vor Augen führen: In der europäischen Öko-Landbauverordnung spielt die Gesundheit der Tiere überhaupt keine Rolle. Bei der Eierkennzeichnung 0, 1, 2, 3 spielt die Tiergesundheit überhaupt keine Rolle. Es geht nur um die formalen Kriterien."
    Und diese Formalien regeln dann die Haltungsbedingungen. Kritiker sprechen von Zollstock-Ökologie, weil vor allem Ställe und der Auslauf vermessen werden:
    "Klar, auch der Fokus in Bio-Verordnung liegt ganz klar in den Haltungssystemen, dass dann eben vorgeschrieben wird bis ins Kleinste, wie viel Quadratmeter diese und jene Tiergruppe zu haben hat? Wie viele Sitzstangen gegeben werden müssen? Das ist sehr detailliert eben schon geklärt."
    Jan Löning ist Agrar-Ingenieur und gelernter Landwirt. Er berät für "Demeter im Norden" Landwirte des Verbandes. Zuvor hat er jahrelang für verschiedene Öko-Verbände die Tierhalter kontrolliert. Er kennt sich aus in der Szene und beteuert, dass mittlerweile verstärkt auch auf die Gesundheit der Tiere geachtet werde:
    "Wir gucken auf einige Parameter wie den Gesundheitszustand; wie sehen die Tiere aus? Sind sie sauber? Gibt es Partien wie Abschürfungen an Gelenken und so weiter. Wie sieht es mit der Parasiten-Situation aus? All diese Geschichten fließen dann auch ein im Rahmen dieser Zertifizierung und werden dann auch beispielsweise rückgemeldet an den Verband oder an den Berater; und dann liegt es an mir als Berater, in Zusammenarbeit mit dem Betrieb, welche individuellen Maßnahmen wir dann in diesem Betrieb eben treffen."
    Krankheiten gehören zum Leben
    Kritiker bezweifeln jedoch, dass die Verbände mit dem nötigen Nachdruck auf Verbesserungen dringen. Die Studienlage gibt den Zweiflern Recht. Was also tun, wenn ein Öko-Bauer seinen Laden nicht in den Griff bekommt?
    "Das ist vorwiegend dann eine Sache, die dann der Tierarzt dort dann mit dem Betrieb auszuhandeln hat: Wie geht man eigentlich in solchen Fällen dann eben um? Und insofern ist es eben auch der Ansatz, dass man nicht nur auf die Tierhaltung selber guckt, sondern dann eigentlich auch gesamtbetrieblich gucken muss: Was läuft eigentlich verkehrt? Wo sind eigentlich die übergeordneten Probleme dieses Betriebes? Und wo müssen wir ansetzen, damit es bei den Tieren wieder gut wird."
    Krankheiten gehören zum Leben. Und dies nicht nur in Ställen der Massentierhaltung, sondern auch auf Bio-Höfen. Nicht diese Tatsache an sich unterscheidet gute von schlechten Betrieben, sondern allein das Ausmaß der Erkrankungen: Schweine, die draußen nach Herzenslust suhlen, haben häufig extrem stark verwurmte Lebern. Kälber können so schwere Darmerkrankungen erleiden, dass sie im Extremfall daran sterben. Und Legehennen werden im Auslauf zu Dutzenden von Habicht oder Fuchs erbeutet. Auch Krankheitskeime machen ihnen zu schaffen.

    Braungefiederte Hühner flattern auf, wenn Johannes Erkens seinen mobilen Hühnerstall betritt. Munteres Gegacker und schrille Hahnenrufe gehören zum Alltag auf dem Kudammhof bei Celle in Niedersachsen. Über eine Länge von mehr als zehn Metern hocken etliche Hühner auf Sitzstangen, andere flattern in die Mitte des Stalles, wo - parallel zu den Sitzstangen - ein lang gezogenes Holzhaus auf sie wartet: der Nistbereich mit vielen kleinen Eingängen:
    "In das Legenest sollen die Hühner natürlich die Eier legen; und da gibt es vorne an jeder Seite so Roste, wo die Hühner anfliegen können, um erst einmal vor dem Nest zu stehen. Und dann sind die einzelnen Nestabteile abgehängt durch eine Folie, weil das Nest selber soll eher ein bisschen abgedunkelt sein; weil Hühner suchen immer erst einmal einen etwas dunkleren Bereich, wo sie das Ei legen wollen; und da gibt es nur so eine kleine Lücke, wo die reingehen, dann gucken sie da rein und haben dann in Ruhe die Möglichkeit, das Ei zu legen."
    Hinter dem Nistbereich - durch die Sitzstangen mit den vielen Hühnern etwas verdeckt - schließt sich der weitläufige Scharrraum an, wo die Hühner picken, scharren und im Staub baden können. Gefiederpflege ist ihnen wichtig. Durch kleine Luken an den Seiten huschen einzelne Hühner nach draußen, in den Auslauf. Die meisten gehen aber nicht weit weg vom Stall - aus Angst vor Greifvögeln und anderen Fressfeinden. Daher picken und scharren sie vor allem in Stallnähe - und dort konzentrieren sich auch ihre Hinterlassenschaften.
    Das sei ein hygienisches Problem, sagt Ute Knierim, Professorin für "Angewandte Nutztierethologie in der Ökologischen Landwirtschaft" an der Universität Kassel in Witzenhausen:
    "Also, ein Problem ist das der Parasiten. Auf der einen Seite Würmer, auf der anderen Seite kleine Einzeller, die sich im Darm auch ansiedeln, sogenannte Kokzidien. Das kann ein ganz großes Problem bedeuten. Es kann auch sein, dass andere Infektionserkrankungen auch wiederum insbesondere im Darmbereich – zum Beispiel Coli-Infektionen - entstehen können. Eigentlich alles, was aus der Umwelt an Krankheitserregern auf die Tiere einwirken kann, kann potenziell ein Problem sein."
    Auf dem Hühnerhof von Gerhard Aigner
    Hühner entfernen sich nicht weit weg vom Stall - aus Angst vor Greifvögeln und anderen Fressfeinden (Deutschlandradio / Dirk Asendorpf)
    Hühner im Auslauf haben zahlreiche Fressfeinde
    Zunehmend gelinge es aber den Bio-Bauern, ihre Legehennen robuster zu machen, sagt Ute Knierim. Präparate mit Oregano, Apfelessig oder anderen Substanzen stabilisieren die Darmflora der Tiere. Dennoch bleibe viel zu tun:
    "Das andere Problem ist dann nicht Erkrankung, sondern das ist im Grunde Tod durch Beutegreifer in der Freilandhaltung. Was eben in manchen Betrieben erheblich sein kann. Die Tiere können eben geholt werden vom Habicht, vom Fuchs, vom Marder. Auch das sind Probleme, mit denen der Halter in der Freilandhaltung sich auseinandersetzen muss."
    Johannes Erkens kann das bestätigen. Für ihn sind weniger Krankheiten im Auslauf das Problem, sondern vor allem die zahlreichen Fressfeinde.
    "Wir haben hier eine ganze Schar von Greifvögeln, wir haben auch viele Bussarde hier, Milane; und dann nicht zuletzt natürlich der Fuchs, der auch ein großer Räuber ist, also Habicht und Fuchs sind die zwei schlimmsten. Und wenn die gut dabei sind, dann holen die sich auch schon mal von so einem Stall im Jahr 10 bis 15 Prozent. Und das macht dann einfach unheimlich viel aus und da kann man einfach nicht viel gegen machen."
    Im Melkstand der Domäne Fredeburg schaut sich Florian Gleißner jede einzelne Kuh genau an. Sind die Klauen in Ordnung? Gibt es Anzeichen für Entzündungen an den Eutern? Genaues Hinsehen ist wichtig. Auch bei den Kontrolldaten, die er regelmäßig schwarz auf weiß bekommt:
    "Wir machen einmal im Monat vom Landeskontrollverband die sogenannte Milchkontrolle und da kriegen wir eine Auswertung, wo wir von jeder Kuh Fett, Eiweiß, Milchmenge, Zellzahlen - das ist ein Eutergesundheitsparameter - und auch den Harnstoff-Gehalt jedes Tieres in der Milch ausgeworfen kriegen. Der Harnstoff-Gehalt der Milch gibt Auskunft über die Ausgewogenheit von Eiweiß und Energie in der Fütterung."
    Gesunde Herde als Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg
    Die Rohmilch aus einem entzündeten Euter hinterlässt Spuren in Form bestimmter Milchzellen. Diese Zellzahl wird im Rahmen der amtlichen Milchleistungskontrolle regelmäßig erhoben - von jeder einzelnen Kuh. Florian Gleißner weiß also, welche Kuh kränkelt und welche nicht.
    "Ich habe den Überblick auf jeden Fall auf dem Papier; und im Kopf weitgehend auch, weil ich mir die Kühe angucke; und man kann da jederzeit nachgucken und man sieht auch einfach, ob es dem Tier gut geht oder nicht?"
    Eine gesunde Herde ist der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg. Denn eine kranke Kuh, die über Wochen hinweg weniger oder irgendwann gar keine Milch mehr gibt, käme den Fredeburgern bei gerade mal 35 Kühen viel teurer zu stehen als eine tierärztliche Untersuchung mit anschließender Behandlung.
    Doch offenbar sehen das nicht alle Milchbauern so. Albert Sundrum kritisiert, dass viele Öko-Milchviehhalter den gleichen Premium-Preis für ihre Biomilch kassieren - egal, ob es den Kühen gut geht oder nicht:
    "Derjenige, der sich all diese Mühen spart, hat im Grunde einen Wettbewerbsvorteil, weil er mit weniger Mühen trotzdem den Preis realisiert. Und diese Situation würde ich als Wettbewerbsverzerrung bezeichnen, der man entgegen wirken muss, weil damit schaffe ich keine Anreize für eine Qualitätserzeugung."
    Albert Sundrum fordert ein Vermarktungssystem, dass sich streng an einem Qualitäts-Benchmarking orientiert. Dafür seien die Zellzahlen in der Milch ein wichtiges Kriterium für eine angemessene Bezahlung. Zwar wird die Rohmilch in den Molkereien so aufbereitet, dass diese Entzündungszellen später in der verkauften Milch keine Rolle mehr spielen - verbraucherrelevant ist dieser Wert also nicht. Dennoch musste gehandelt werden, sagt Frank Wetterich:
    "Deswegen haben wir uns auch schon vor mehreren Jahren auch von Herrn Professor Sundrum inspirieren lassen."
    Tiergesundheit als wichtiges Kriterium
    Frank Wetterich ist Prokurist der Gläsernen Molkerei, welche die Bio-Milch von Vertragslandwirten in zwei Großmolkereien verarbeitet. Zum einen im Spreewald, südlich von Berlin. Und zum anderen in Dechow, im Westen von Mecklenburg.
    "Wir haben vor einigen Jahren unsere Milchlieferverträge mit allen Vertragslandwirten geändert und haben seitdem ein differenziertes Bezahlsystem für die Milch eingeführt, wo wir auf einen bestimmten Grundpreis bestimmte qualitätsabhängige Zuschläge eben bezahlen; und da auch für die gute und sehr gute Zellzahlen entsprechend hohe Zuschläge mit auszahlen. Und so eben alle Landwirte motivieren wollen, sich da für die Eutergesundheit ihrer Tiere einzusetzen."
    Durch diese Honorierung - verbunden mit einer Aufklärungskampagne unter den Vertragslandwirten - habe die Molkerei die Zellzahlen in der angelieferten Tankmilch deutlich reduziert, beteuert Frank Wetterich. Wichtige Schritte in die richtige Richtung, weitere müssten aber noch folgen, sagt Albert Sundrum:
    "Man muss auf das Einzeltier gehen und eben nicht auf die Tankmilch, wo dann die Milch von guten und erkrankten Eutern zusammengemischt werden, so wird unser Trinkwasser gepanscht, und die Milch wird auf die Art und Weise auch gepanscht. Sie wird gepanscht mit guter Milch, mit schlechter Milch zusammengerührt und daraus ergibt sich dann eine Gesamtsituation, die aber von der qualitativen Sicht nicht dem entspricht was der Verbraucher auch erwarten kann. Nämlich, der Verbraucher erwartet eigentlich die Milch von einer eutergesunden Kuh zu bekommen."
    Wenn Bio-Produkte wirklich Premium-Produkte sein sollen, für die ein angemessener Preis an der Ladentheke bezahlt wird, dann sollte die ökologische Landwirtschaft dafür auch die Grundlagen schaffen, argumentiert Matthias Wolfschmidt von Foodwatch. Die Tiergesundheit müsse dafür ein wichtiges Kriterium werden. Das Klischee von frischen Eiern und gesunder Milch von glücklichen Hühnern und Kühen sei ohnehin nicht hilfreich und müsse viel stärker hinterfragt werden - auch von den Medien:
    "Die Medienberichterstattung reflektiert eine Sehnsucht in der Gesellschaft nach Lösungen und nach so etwas wie einer intakten Landwirtschaft, wie man sich das aus welchen Gründen auch immer erträumt; vielleicht hat das etwas mit der Kinderbuchliteratur zu tun, die wir alle genossen haben; und das muss die ökologische Landwirtschaft auch endlich richtigstellen. Die müssen sagen: Wir sind auch Lernende, wir lernen dazu. Wir haben manche Betriebe, vor denen kann man nur niederknien, weil sie es so toll machen. Und es gibt eben auch Betriebe, bei denen man sich fragt, warum das eigentlich von der ökologischen Community geduldet wird? Ob das mittelfristig und langfristig nachhaltig sein kann, daran habe ich große Zweifel."