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Arthur Conan Doyle
Detektivgeschichten und Spiritismus

Den Erfinder von Sherlock Holmes kennt jedes Kind. Darüber hinaus aber weiß man über Arthur Conan Doyle hierzulande wenig. Dabei machten die Detektiv-Geschichten nur einen Teil seines Schaffens aus. Ein neues Buch, bei dem die Fotografie eine wichtige Rolle spielt, versucht sich an einer Antwort.

Von Tobias Lehmkuhl | 19.08.2014
    Ein Rätsel, bei dessen Lösung ihm auch Sherlock Holmes nicht helfen konnte, war folgendes: Immer wieder bekam Arthur Conan Doyle Zuschriften mit der Bitte um Weiterleitung an den berühmten Detektiv in der Baker Street. Über Jahrzehnte hinweg sah sich der Schriftsteller ein ums andere Mal mit der Tatsache konfrontiert, dass diese doch ganz offenbar fiktive Figur von vielen für realer gehalten wurde als ihr Schöpfer. Für blanke Einbildung und lächerlichen Hokuspokus hielt dagegen ein nicht unbeträchtlicher Teil der Menschheit jene Geistererscheinungen, die für Conan Doyle unbestreitbar Teil der Wirklichkeit waren.
    Der Erfinder von Sherlock Holmes glaubte an Elfen
    Ja, man glaubt es kaum, wenn man es hört: Der Erfinder des rationalistischsten aller Detektive, setzte sein Vermögen und einen gut Teil seiner Zeit dazu ein, die Ungläubigen davon zu überzeugen, dass wir von lebenden Toten und sogar von kleinen, ganz zauberhaften Elfen umgeben sind. Auf diese Weise lässt sich knapp der Ausgangspunkt des Buches "Spuren, Elfen und andere Erscheinungen" umreißen. Im Untertitel wird sein Gegenstand näher benannt: "Conan Doyle und die Photographie". Tatsächlich haben wir es hier auf faszinierende Weise mit beidem zu tun: Mit einem Buch über Literatur und einem über Fotografie, mit einem Buch, das sich mit Fiktion und Faktizität befasst und auf erstaunliche Art die Wechselbeziehung von beiden ins Auge fasst.
    Er glaube an Kommunikation, sagte Arthur Conan Doyle einmal, und meinte damit die Kommunikation zwischen diesseitiger und jenseitiger Welt mittels Spiritismus. Doch Bernd Stiegler sieht in ihm weitaus mehr als den genialen Kriminalschriftsteller und spinnerten Spiritisten: Er zeigt Doyle selbst als einen Meister der Kommunikation, des Austauschs zwischen realen und imaginierten Welten. Er vereinigte in sich scheinbar Unvereinbares: Einerseits dienten ihm Elfen-Photographien und Photographien von Geistererscheinungen als unumstößliche Beweise für das, was die meisten von uns auch heute noch als Humbug bezeichnen würden. Eben Elfen und Geister. Andererseits setzte Conan Doyle gestellte und bearbeitete Fotografien dazu ein, seine fantastischen Romane um die Figur des Professor Challenger zu illustrieren und ihnen den Anschein von Authentizität zu verleihen. Dann wiederum nutzte er in einer Kampfschrift Fotografien verstümmelter Afrikaner dazu, das Terrorregime Leopold des Zweiten im Kongo anzuklagen.
    Die Ambivalenz der Fotografie
    Warum in den Sherlock Holmes-Geschichten dagegen praktisch keine Fotografien vorkommen, mag seinen Grund auch darin haben, dass sein Erfinder sehr genau um die Manipulierbarkeit dieses Medium wusste - geht auch sonst gerne die Rede von der "Unbestechlichkeit" der Kameralinse. Gleichwohl war Fotografie, wie Stiegler zeigt, seit Ende des 19. Jahrhunderts Mittel der Kriminaltechnik - so wurden anhand von Bildtafeln physiognomischer Gesichtszüge Phantombilder erstellt oder durch sogenannte Kompositfotografien bestimmte Menschentypen gerastert. Auch Holmes hat in der Baker Street einen Kasten mit Verbrechervisagen, das erspart ihm den Gang zu Scotland Yard und dessen Katalogen.
    Warum außer in der allerersten Holmes-Geschichte aber die Fotografie keine tragende Rolle spielt, führt Bernd Stiegler in einer kurzweiligen Analyse wunderbar einleuchtend vor: Sherlock Holmes, so die Schlussfolgerung, ist selbst ein Fotoapparat. Deswegen muss die Fotografie aus seinem Kosmos verschwinden, weil er selbst ihre Stelle einnimmt. Holmes ist die perfekte Wahrnehmungsmaschine, ein wandelnder Wahrnehmungs- oder eben Fotoapparat. Ihm entgeht nichts. Und er ist auch seine eigene Dunkelkammer, sein eigenes Entwicklungslabor - die Auswertung fällt ebenfalls ihm selbst zu. Er nimmt nicht nur wahr, er analysiert auch, und zwar mit dem unbestechlichsten Blick, den man sich nur vorstellen kann. "So bekam ich die Idee für Sherlock Holmes", schrieb Doyle, "Sherlock ist schlicht unmenschlich, ohne Herz aber mit einem wunderbar logischen Verstand." Nicht zuletzt sein Name geht auf die Fotografie, bzw. auf die Namen zweier Fotopioniere und - theoretiker zurück: William Sherlock und Oliver Wendell Holmes.
    Hier muss erwähnt werden, dass Conan Doyles Karriere als Schriftsteller Mitte der 1880er Jahre mit Aufsätzen in Fotozeitschriften begann. Daneben war Doyle begeisterter Amateurfotograf. Er kannte sich also aus, wusste um die Diskussionen seiner Zeit, die technischen Möglichkeiten und war nicht zuletzt auch vertraut mit den Arbeiten Alphonse Bertillons und Francis Galtons, jener beiden Fotografen, die die Fotografie für die Kriminalistik erschlossen. Mehr noch: Er ließ sie sogar in einer Sherlock Holmes-Geschichte verdeckt auftauchen.
    Conan Doyle und Houdini
    Zu Conan Doyles Bekanntschaft gehörte auch der seinerzeit berühmte Zauberer Henry Houdini - beide waren sie, laut Stiegler, "Großmeister der Doppelbödigkeit". In ihrem Verhältnis zueinander scheint die Welt auf dem Kopf zu stehen: Houdini, der Zauberer, ist es nämlich, der vehement den Spiritismus bekämpft und ihn in all seiner Scharlatanerie zu enttarnen zielt. Derjenige aber, in dessen Büchern es immer um Indizien und Beweise und logische Schlussfolgerungen geht, Arthur Conan Doyle, glaubt an Geister - die hinwiederum in den Sherlock Holmes-Geschichten nicht auftauchen dürfen, denn in diesen herrscht uneingeschränkt der Geist des Detektivs. Seine Verbündeten beziehen aus dieser Tatsache ein weiteres Argument: Doyle muss recht haben, wenn er an Geister glaubt, denn niemand kenne sich so gut mit logischen Beweisketten aus wie er.
    Vielleicht fürchtete er auch um Sherlock Holmes' Glaubwürdigkeit und ließ deswegen alle Elfen und ektoplastischen Erscheinungen außen vor. In seinem eigenem Heim allerdings fand "Pheneas" Aufnahme, ein Geist, für den am familiären Mittagstisch sogar ein eigener Platz eingerichtet wurde, eine Ehre, die der fiktiven Figur des Detektivs, der Doyle immerhin viel zu verdanken hatte, nicht zuteil wurde. Bernd Stieglers reich bebildertes, kluges und aufklärerisches Buch ist zudem in einer weiteren Hinsicht äußerst lehrreich. Mögen wir auch heute den Kopf schütteln angesichts der vermeintlichen Geisterbilder und sofort den technisch primitiven Fake erkennen, so gibt der Umstand, dass ein so überaus intelligenter Mann wie Doyle darauf reinfallen bzw. daran glauben konnte, zu denken: Wozu mag die Technik heute in der Lage sein? Was gaukelt sie uns vor? Und wo ist ein Sherlock Holmes, der Licht ins Dunkel brächte?

    Bernd Stiegler: "Spuren, Elfen und andere Erscheinungen.
    Conan Doyle und die Photographie".
    S. Fischer Verlag 2014. 364 Seiten, 22,99 Euro.