Donnerstag, 28. März 2024

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Articus: Überschuldete Städte brauchen Rettungsanker

Laut Stephan Articus kommen auf die Städte und Gemeinden durch die Winterschäden höhere Reparaturaufwendungen zu. Diese Kosten belasteten in Zeiten chronischer Unterfinanzierung die kommunalen Haushalte besonders stark, so der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages.

Stephan Articus im Gespräch mit Gerd Breker | 22.02.2010
    Gerd Breker: Die von Finanzsorgen geplagten Kommunen erwarten durch den strengen Winter erhebliche Mehrkosten und wollen notfalls die Bürger stärker zur Kasse bitten. In einigen Städten wurde für den Winterdienst fast zehnmal so viel ausgegeben wie geplant. Besonders hoch werden die Kosten für Straßenreparaturen sein, denn mit dem einsetzenden Tauwetter wird nun erst das ganze Ausmaß der Straßenschäden deutlich. Die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Petra Roth, sagte schon, sinkende Einnahmen und ständig steigende Sozialausgaben drohten einen Teil der Kommunen gar handlungsunfähig zu machen. – Am Telefon sind wir nun verbunden mit Stephan Articus, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des Deutschen Städtetages. Guten Tag, Herr Articus.

    Stephan Articus: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Die Winterschäden, Herr Articus, die sind eigentlich nur der letzte Tropfen auf die überlaufenden Schulden der Städte?

    Articus: Das ist sehr richtig formuliert. In der Tat sind die Reparaturaufwendungen nach diesem Winter sehr viel höher, als erwartet war. Aber unser eigentliches Problem ist, dass wir ein für sehr viele Städte und Gemeinden schon dauerhaftes Problem haben, dass die Aufgaben und die Ausgaben, die wir haben, nicht richtig finanziert sind, und dann treffen uns natürlich solche Winter wie dieser, erst recht noch in Zeiten der Finanzkrise, ganz besonders.

    Breker: Können Sie uns, Herr Articus, eine Vorstellung über die Dimension des Problems geben?

    Articus: Wir haben am Ende dieses Jahres zum ersten Mal wieder ein Defizit, also eine Unterfinanzierung unserer Haushalte, im Saldo von über fünf Milliarden und wir werden am Ende dieses Jahres ein Defizit von mehr als zwölf Milliarden haben. Das heißt, im laufenden Jahr werden uns mehr als zwölf Milliarden, Mittel, die wir für unsere Aufgaben brauchen, nicht zur Verfügung stehen. Man wird mit Kassenkrediten reagieren, man wird mit Unterlassungen notwendiger Investitionen reagieren, man muss versuchen, Personalkosten zu reduzieren, Stellen abzubauen, die ganze alte Litanei geht weiter.

    Breker: Wie viele Städte, Herr Articus, sind denn überhaupt bedroht davor, handlungsunfähig zu werden?

    Articus: Es ist regional etwas differenziert. Es sind mittlerweile viele Städte in den sogenannten alten Bundesländern, im Westen, in manchen Regionen mehr als in den neuen Bundesländern. Es sind insbesondere die großen Städte, die davon bedroht sind. Man kann gewiss sagen, dass 30 bis 40 Prozent vor Finanzierungsproblemen stehen, die sie alleine definitiv nicht mehr lösen können.

    Breker: Sind denn diese Finanznöte der Städte, Herr Articus, nicht möglicherweise gar selbst verschuldet?

    Articus: Das wird immer gerne gesagt. Es gibt sicherlich auch, sagen wir mal, Ausgabenpunkte, die anders hätten laufen können. Aber das ist nicht das Problem. Das Hauptproblem ist, dass wir ein schon chronifiziertes Missverhältnis haben zwischen Leistungsverpflichtungen, die uns Bund und Länder übertragen, und den Finanzierungen dieser Leistungen, in ganz besonderem Maße im Bereich der Sozialpolitik.

    Breker: Das heißt, sie werden gar nicht gefragt und der Bund und die Länder, sie beschließen Ausgaben, die dann die Gemeinden, die Städte zu leisten haben?

    Articus: So ist es. Ich nehme ein Beispiel des SGB II, die Hilfen für Langzeitarbeitslose. Dort sind wir zuständig für die Finanzierung der Kosten der Unterkunft. Der Bund hat sich daran beteiligt, er hat diese Beteiligung jetzt gekürzt, das kostet die Kommunen in diesem Jahr ein bis zwei Milliarden. Der Bund hat unlängst beispielsweise den Rechtsanspruch für Kinder im Alter von unter drei Jahren eingeführt, ein sachlich richtiger und notwendiger Schritt, aber die Finanzierung für diesen Ausbau ist zu kurz gesprungen, sie ist nicht regulär – Ergebnis: Die Kommunen müssen dafür bluten.

    Breker: Was kommt dann auf die Menschen, auf die Bürger der Städte zu? Werden die Gebühren und Abgaben drastisch erhöht werden, oder was kann denn der Bund überhaupt tun?

    Articus: Die Gebühren sind nicht das richtige Mittel, um diese Finanzkrise auch nur zu mindern. Die Gebühren bewegen sich in diesem Jahr in einem Erhöhungskorridor von einem Prozent. Das ist auch nur ein ganz, ganz kleiner Anteil der städtischen Haushalte. Was getan werden muss, ist, dass die Ausgaben und die Einnahmen besser abgeglichen werden, dass man sorgfältiger die Kostenfolgen von neuen Gesetzen abschätzt. Der Bund hat ja vorgesehen, auch auf unser Drängen hin, in diesem Frühjahr eine Kommission einzusetzen, die einmal die Finanzierungssituation insbesondere der sozialen Dienstleistungen der Kommunen unter die Lupe nimmt, und es wird sich dabei herausstellen, dass diese wichtigen Dienstleistungen wie Ganztagesbetreuung, Bildungseinrichtungen, soziale Hilfen für alte Menschen oder für Arbeitslose in ihren Grundlagen nicht mehr gefestigt sind.

    Breker: Das heißt, die Städte brauchen so eine Art Rettungsschirm?

    Articus: Die Städte, die völlig überschuldet sind, brauchen eigentlich Sofortmaßnahmen, brauchen Entschuldungshilfen, brauchen einen Rettungsanker. Aber insgesamt braucht unser Föderalismus ein besser geordnetes Verhältnis von Aufgabenbestimmung und ihrer Finanzierung.

    Breker: Was passiert eigentlich, Herr Articus, wenn eine Stadt zahlungsunfähig ist?

    Articus: Weil sie öffentliche Hand ist, wird sie nicht bankrott gehen können, wird sie nicht in die Insolvenz gehen können, wie ein Unternehmen. Aber es entstehen natürlich Schäden. Es entstehen Schäden in der Qualität der Dienstleistungen für die Menschen – das können Sie bei Krankenhäusern längst sehen, das können Sie bei den Straßen und bei den Plätzen sehen, das können Sie bei dem Zustand der Schulen sehen -, es unterbleiben Dienstleistungen, die notwendig sind – ich nehme mal das Beispiel des Ausbaus der Förderung im vorschulischen Alter, um zum Beispiel Sprach-Handicaps von Kindern etwa aus Zuwandererfamilien zu minimieren -, solche notwendigen Dienstleistungen werden nicht im notwendigen Maß ausgebaut und es bleibt eine schlimme Form der Überschuldung, dass nämlich Zukunftsinvestitionen in Straßen, in Kanäle, in Schulen nicht mehr vorgenommen werden. Diese Hypothek lastet inzwischen milliardenschwer auf den Kommunen.

    Breker: Im Deutschlandfunk Stephan Articus, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des Deutschen Städtetages.