Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Artur Mas scheitert

Die vorgezogenen Regionalwahlen in Katalonien haben der Regierungspartei von Artur Mas nicht die erwartete absolute Mehrheit gebracht. Dennoch haben über die Hälfte der Wähler eine der vier anderen Parteien gewählt, die für die Unabhängigkeit eintreten.

Wolfgang Martin Hamdorf im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 26.11.2012
    Doris Schäfer-Noske: In Katalonien haben gestern vorgezogene Regionalwahlen stattgefunden. Dabei war die Regierungspartei mit dem Plan für ein unabhängiges Katalonien in den Wahlkampf gezogen. Wenn sie eine absolute Mehrheit bekommen hätte, dann hätte sie ein Referendum über die Unabhängigkeit abhalten wollen. Dieses Ziel hat sie verfehlt. Sie behielt zwar die Mehrheit der Sitze, fiel aber gegenüber ihrem früheren Ergebnis zurück. Trotzdem wählten über die Hälfte der Wähler eine der vier Parteien, die für ein unabhängiges Katalonien eintreten – auch wenn das politische Spektrum der Nationalisten sehr breit ist. - Frage an meinen Kollegen Wolfgang Martin Hamdorf: Herr Hamdorf, wo liegen denn die Ursachen dafür, dass sich viele offenbar als Katalanen, aber nicht mehr als Spanier definieren wollen?

    Wolfgang Martin Hamdorf: Das ist natürlich eigentlich kein Sieg der Nationalisten gewesen, denn als Artur Mas diese vorgezogenen Neuwahlen angekündigt hat, da war er natürlich überzeugt, wesentlich mehr zu gewinnen. Er sprach ja von der absoluten Mehrheit für seine Partei. Und diese nationale Stimmung, die kam ja ganz extrem auf nach dem letzten katalanischen Nationalfeiertag - das ist immer der 11. September, die Diada -, als eine Million Demonstranten auf die Straße gingen für die katalanische Unabhängigkeit und Arturo Mas dachte, dass seine christdemokratische, konservative, nationalistische Partei dieses Wählerspektrum einfangen konnte, und das hat ja offensichtlich nicht geklappt. Er hat jetzt zwar eine nationalistische Mehrheit, aber teilt diese Mehrheit ja, 50 Abgeordnete er, 20 die Esquerra Republicana. Das ist eine ganz, ganz alte katalanische Partei, die aber auf dem extrem linken Spektrum steht und natürlich wirtschaftspolitisch völlig andere Vorstellungen hat.

    Schäfer-Noske: Insgesamt sind aber viele der Wähler ja wohl für ein unabhängiges Katalonien, auch wenn sie jetzt nicht die Regierungspartei gewählt haben. Welche Rolle spielt denn da die Geschichte?

    Hamdorf: Dazu muss man natürlich auch sagen, dass die katalanische Kultur, die katalanische Sprache ja 40 Jahre lang unter der Franco-Diktatur auch verboten war, und den Älteren ist das natürlich, diese Zeit, noch in Erinnerung und die sind natürlich da auch sensibel, wenn es darum geht. Im Vorfeld dieser ganzen vorgezogenen Neuwahlen gab es ja auch hässliche Ausdrücke aus Madrid. Der spanische Kulturminister hat damals das hässliche Wort geprägt, man müsste die katalanischen Schüler wieder spanischer machen, und da klingelt natürlich bei vielen auch die Alarmglocke. Aber unabhängig davon, dass Katalonien eine sehr, sehr reiche Kultur hat, eine eigene Sprache hat und natürlich auch diese Geschichte hat des Kampfes für die Unabhängigkeit – ich weiß nicht, ob im Ernstfall wirklich die Katalanen sich für die Unabhängigkeit entscheiden, und ich glaube, ein bisschen ist ja dieses Wahlergebnis gestern auch so ein Ausdruck, dass es eben so einfach, wie sich jetzt die Regierungspartei das vorgestellt hat, doch nicht geht.

    Schäfer-Noske: Die Sprache spielt aber weiterhin in diesem ganzen Konflikt eine große Rolle?

    Hamdorf: Ja, auf jeden Fall. Es geht natürlich um die Erziehung auf Katalanisch und auch den kulturellen Ausdruck auf Katalanisch, und da muss man einfach sagen, das ist natürlich was, was man von außen betrachtet dann auch nicht unbedingt versteht. Viele dieser kulturellen Forderungen, dieser Forderungen nach kultureller Autonomie, auch nach Selbstverwaltung innerhalb des spanischen Staates, sind eigentlich auch erfüllt. Es geht hier auf der einen Seite um Kultur, um nationale Identität, aber auf der anderen Seite – und das, denke ich, haben die Wähler auch gemerkt – geht es natürlich auch handfest um Geld, und da hat die Regierungspartei versucht, die nationalistische Karte zu spielen, und hat ihr Ziel letztendlich nicht erreicht.

    Schäfer-Noske: Wie stehen denn die Kulturschaffenden und Intellektuellen in Katalonien in dieser Unabhängigkeitsfrage?

    Hamdorf: Ich glaube, dass jeder katalanische Schriftsteller und jeder katalanische Filmemacher das als extreme Freiheit sieht, dass er auf Katalanisch schreibt, produziert, seine Filme macht. Es gibt aber umgekehrt natürlich auch gerade – ich kenne das aus dem Filmbereich -, dass die Leute sagen, es gibt Filme, ich möchte die Freiheit haben, selber zu entscheiden, ob ich jetzt einen Film in katalanischer Sprache mache, oder in spanischer Sprache. Ich glaube, wenn ich jetzt die Bandbreite sehe von Kulturschaffenden, will man eine kulturelle Autonomie, natürlich, aber ich glaube nicht, dass man jetzt den Zusammenhang zum spanischen, zum europäischen Kontext verlieren will.

    Schäfer-Noske: Also es gibt jetzt nicht einen hervorragenden Intellektuellen, der sich dann wirklich auch für die Unabhängigkeit starkmacht?

    Hamdorf: Nein! Dazu hat sich die politische Situation ja auch völlig verändert. Das gab es natürlich in den 70er-Jahren, in den 80er-Jahren. Es gibt aber heute eine große Freude an dieser katalanischen Kultur, aber nicht unbedingt eine dezidiert politische Position. Es gibt sogar Reaktionen, als diese Frage jetzt aufs Tablett kam: September, vorgezogene Neuwahlen, späteres Referendum für die Unabhängigkeit. Da hat zum Beispiel José Manuel Lara ganz eindeutig gesagt, der Präsident der Mediengruppe Planeta, ich bin Katalane, aber ich fühle mich eben auch als Spanier, und hat sogar angekündigt, wenn Katalonien wirklich unabhängig werden sollte, würde die Planeta-Gruppe sehr wahrscheinlich Barcelona verlassen.

    Schäfer-Noske: …, weil sie nicht in der Provinz landen wollen sozusagen, oder?

    Hamdorf: Ja, das hat sicherlich damit zu tun. Das muss man ja sagen: Eine Sache ist natürlich eine kulturelle Unabhängigkeit. Andererseits: ein kleiner Staat kann natürlich auch zu Provinzialisierung führen. – Ich glaube, da gibt es natürlich schon Kulturschaffende aus Katalonien, die sagen, es geht ja gar nicht darum, dass Katalonien sich abschottet, eigenständig wird, sondern es geht darum, dass das Katalanische auch in Spanien als gleichwertiges Kulturgut anerkannt wird. Das heißt, dass es nicht mehr diese Randsprache ist, sondern dass man da auch von der Kulturpolitik her sagt, von der spanischen Kulturpolitik, Nein, Katalonien gehört zu Spanien, die katalanische Kultur ist ein Teil der spanischen Kultur und überhaupt Spanien viel mehr definiert als einen Verband verschiedener Sprachen und Kulturen, was es natürlich auch von der Verfassung her sowieso ist, und da fehlt sicherlich noch, dass die Tagespolitik dem auch nachkommt.

    Schäfer-Noske: Viele Katalanen wollen also mehr Anerkennung für die katalanische Kultur. Das war ein Gespräch mit Wolfgang Martin Hamdorf.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.