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Aserbaidschan
Deutschland-Fans am Kaspischen Meer

Viele junge Aserbaidschaner wollen nach Deutschland. Das merkt man auch in der Hauptstadt Baku am Kaspischen Meer: Man hört Bach und spielt "Mensch, ärgere dich nicht". Die Faszination ist dabei nicht nur kultureller Art. Für viele wird "Almanya" politisch und wirtschaftlich zum Sehnsuchtsort.

Von Daniel Heinrich | 31.03.2018
    Die Spieleabende kommen gut an im Kapellhaus, dem deutschen Kulturzentrum in Baku. Junge Aserbaidschaner spielen Gesellschaftsspiele wie "Mensch, ärgere dich nicht", viele können Deutsch
    Die Spieleabende kommen gut an im Kapellhaus, dem deutschen Kulturzentrum in Baku. Nicht wenige der jungen Aserbaidschaner dort sprechen deutsch. (Deutschlandradio / Daniel Heinrich)
    Freitagabend in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans. Im Café Vienna in der Innenstadt laufen die Violinisten zur Höchstform auf – Johann Sebastian Bach als Einstimmung ins Wochenende. Und das nur ein paar Hundert Meter vom Kaspischen Meer entfernt.
    Zaur Allazov betreibt das Café. Dass es nach der österreichischen Hauptstadt benannt ist, tut seiner Begeisterung für Deutschland keinen Abbruch. So ganz streng mag er da die Grenzen nicht ziehen:
    "Die Deutschen sind ein starkes Volk, sie haben einen Sinn für klassische Musik. Sehen Sie sich hier im Café um: Die Fotos von Beethoven, Mozart, Bach. Wir mögen diese Kultur hier, diese Musik, die Traditionen."
    Allazov ist mit seiner Meinung über "Almanya", also Deutschland, bei Weitem nicht alleine. Die Begeisterung für das ferne Land in Europa ist in ganz Aserbaidschan groß.
    Göygöl hieß einmal Helenendorf
    Das hat auch historische Gründe. Busfahrt in die Kleinstadt Göygöl im Landesinneren, etwa vierhundert Kilometer westlich von Baku. Göygöl hieß früher mal Helenendorf und wurde im 19. Jahrhundert von schwäbischen Siedlern gegründet, die auf Einladung des russischen Zaren Alexander I. in den Kaukasus gekommen waren. In der Gegend rund um Helenendorf machten sie sich vor allem als Winzer einen Namen.
    Rövşən Rzayev ist als Parlamentsabgeordneter für den Bezirk Göygöl zuständig. Er ist auch der Vorsitzende der Aserbaidschanisch-Deutschen Parlamentariergruppe:
    "Ich mag die deutsche Disziplin, ich finde es beindruckend auf welche Art und Weise sie ihre starke Wirtschaft, ihre starke Demokratie aufgebaut haben. Ich mag die Kultur, die Museen. Als ich im Reichstag war, habe ich gesehen, dass dort die Namen russischer Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg standen. Da stand zum Beispiel: 'Hier war Iwanov'. Nur eine wirklich starke Nation, die über einen großen Sinn für Kultur verfügt, kann sich auf diese Weise ihrer Vergangenheit stellen."
    "Berufliche Möglichkeiten für die jungen Leute sind begrenzt"
    Dass Rövşən Rzayev Deutschland als Kulturnation schätzt, freut Alfons Hug. Hug leitet das Goethe-Institut in Aserbaidschan. Neben der Faszination für die Kultur sieht er allerdings noch einen anderen Grund für das Interesse an Deutschland:
    "Ich glaube, dass man das ökonomische Interesse nicht unterschätzen darf. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die beruflichen Möglichkeiten für die jungen Leute sind begrenzt. Das Land hat seit dem Verfall der Ölpreise eine Krise durchgemacht. Viele Leute hoffen, dass sie auch in Deutschland Arbeit finden können. Es gibt schon Absetzbewegungen und jüngere Leute, die versuchen wegzugehen."
    Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stützt Hugs These. Auf Anfrage teilt die Behörde mit: Alleine im Jahr 2016 haben knapp 5.000 Aserbaidschaner einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Mehr als fünf Mal so viele wie vor der Wirtschaftskrise im Jahr 2014.
    Deutschlandfan in einem nach der österreichischen Hauptstadt benanntem Lokal: Zaur Allazov in seinem Café Vienna in Baku in Aserbaidschan
    Deutschlandfan in einem nach der österreichischen Hauptstadt benanntem Lokal: Zaur Allazov in seinem Café Vienna in Baku in Aserbaidschan (Deutschlandradio / Daniel Heinrich)
    Dass sich viele junge Aserbaidschaner für Deutschland begeistern, zeigt sich auch an der Popularität des sogenannten Kapellhauses, dem deutschen Kulturzentrum in der Innenstadt von Baku. An diesem Abend ist Spieleabend angesagt. Das bedeutet: Ungefähr 100 Aserbaidschaner, die meisten Mitte 20, sitzen schick herausgeputzt an runden Tischen und spielen Gesellschaftsspiele: "Mensch, ärgere dich nicht", "Mitternachtsparty", "Deutschlandreise". Hikmət Kamallı ist einer von ihnen:
    "Im Internet habe ich gelesen, dass hier heute Abend ein Spieleabend stattfinden wird. Es war so voll, dass es keinen freien Platz mehr gegeben hat. Allgemein hat es mich sehr überrascht, dass so viele deutschsprachige Aserbaidschaner hier gewesen sind."
    Demokratie als Importgut aus Deutschland
    Es sind jungen Leute mit Auslandserfahrung wie Hikmət Kamallı, die dem Parlamentsabgeordneten Rövşən Rzayev Mut machen für die Zukunft des eigenen Landes. Gerade was das politische System anbelangt, könne Aserbaidschan viel von Deutschland lernen:
    "Ich setze meine Hoffnung in die Jugend. Es gibt einige Studenten, die zum Studium nach Deutschland gehen. Dort lernen sie die wahren Werte von Demokratie kennen: Sie lernen: Wie denkt man demokratisch? Wie lebt man Demokratie? Wenn diese Leute nach Aserbaidschan zurückkommen, können sie dem ganzen Land mit ihrem Wissen über Demokratie weiterhelfen. Wir brauchen diese Leute, um die Form der Demokratie, die in Aserbaidschan existiert, zu unterstützen."
    Die aserbaidschanische Form von Demokratie sieht so aus, dass Ilham Aliyev seit 15 Jahren als Präsident unangefochten im Sattel sitzt. Vor ihm hatte sein Vater, Heydar Aliyev, das Amt inne. Dieser galt schon zu Zeiten der Sowjetunion als mächtigster Politiker des Landes.
    Ein Mini-Deutschland in Baku namens "Vienna"
    Im Café Vienna in der Innenstadt von Baku mag sich Zaur Allazov über solche politischen Fragen keine Gedanken machen. Er genießt lieber ein bisschen Bach und freut sich, dass sein Café so gut ankommt:
    "So viele Kunden, so viele Gäste sagen uns: Hier im Café kommt es einem so vor, als ob man in Deutschland ist. Niemals würde man denken, dass man in Aserbaidschan ist. Für dieses Gefühl reicht es schon aus, hier nur schnell einen Kaffee oder Tee zu trinken."
    Allazov strahlt. Ein Mini-Deutschland mitten in Baku – benannt nach der österreichischen Hauptstadt. Ganz so eng mag er es eben nicht sehen.