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Asselborn: EU sollte gemeinsam gegen Wirtschaftskrise vorgehen

In Anbetracht der Wirtschaftskrise in Europa plädiert der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn für eine enge Zusammenarbeit der EU-Staaten. Dabei komme es darauf an, nationale Maßnahmen mit europaweiten Impulsen zu koordinieren, sagte Asselborn. Ziel sei es, bei den Verbrauchern wieder Vertrauen herzustellen.

Jean Asselborn im Gespräch mit Christian Schütte |
    Christian Schütte: Die Konjunktur abgewürgt, die Stimmung in der deutschen Wirtschaft auf einem Tiefpunkt, Arbeitsplätze in Gefahr, die Verbraucher angeblich verunsichert. Welcher Weg führt Deutschland aus der Krise, die uns 2009 bevorstehen soll? Die Bundesregierung hat vor kurzem ein Konjunkturpaket beschlossen, das die Wirtschaft ankurbeln und Beschäftigung sichern soll. Heute ist die erste Lesung dieses Pakets im Bundestag.

    Doch die politische Debatte ist längst einen Schritt weiter. Die Politiker streiten seit dem Wochenende, ob die Regierung schnell ein weiteres Paket hinterherschieben muss. Steuern runter noch in dieser Legislaturperiode, ein deutliches Signal setzen: Mit dieser Forderung haben sich die CSU und auch einige CDU-Politiker gegen die Kanzlerin in Stellung gebracht. Druck lastet auf Angela Merkel auch durch den britischen Premier Brown. Der appellierte, die Kanzlerin möge es ihm gleich tun und die Mehrwertsteuer senken.

    "Ein abgestimmtes Vorgehen, bei dem andere Staaten mitmachen, so wie wir das vorschlagen, wäre natürlich besser, denn das würde unsere Politik noch effektiver machen."

    "Bei diesen Gemeinsamkeiten waren wir zum Beispiel der Meinung, dass eine generelle Senkung der Mehrwertsteuer vielleicht für manche Länder die Antwort ist, aber für Deutschland und Frankreich eigentlich nicht."

    Schütte: Kanzlerin Angela Merkel und Premier Gordon Brown. Klingt so die neue Vielstimmigkeit in der EU? Darüber sprechen wir mit Jean Asselborn, luxemburgischer Außenminister und Vizepremier. Guten Morgen!

    Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr Schütte.

    Schütte: Bei der Finanzkrise haben die EU-Länder noch mit einer Stimme gesprochen. Bei der Wirtschaftskrise reden jetzt wieder alle durcheinander. Sieht so ein positives Signal für Europa aus?

    Asselborn: Herr Schütte, es ist früh morgens. Wir sollten jetzt nicht wieder die ganze Schuld der Europäischen Union geben und hoffen, dass das, was jetzt in der Europäischen Union trotzdem positiv war bei der Finanzkrise, auch bei der Wirtschaftskrise zu bewältigen ist. Das erste, was man sagen muss: Wirtschaftspolitisch haben wir zwar den Euro, 15 Länder der 27, aber wir haben ja keine institutionalisierte gemeinsame Wirtschaftspolitik. Das vertraglich zu ändern, wissen Sie, da muss man Glück auf wünschen, wenn man schaut, wie die Debatte gelaufen ist beim Lissabon-Vertrag. Das ist also ein Fakt.

    Dass wir aber zusammenarbeiten müssen in der Europäischen Union, ist lebenswichtig in Wirtschaftsfragen. Und wir müssen versuchen, zuerst diese ganzen Verzerrungen auch wieder abzubauen. Wirtschaftsregierung einerseits heißt für die anderen Abbau der Autorität der Zentralbank. Konjunkturprogramme heißt für die einen etwas sehr Positives, für die anderen Schulden für die kommenden Generationen. Oder als Deutsche könnte man sagen: Deutschland bezahlt, die EU entscheidet.

    Was wir brauchen jetzt – und daran glaube ich auch, dass die Europäische Union das schon diese Woche bewerkstelligen kann – ist, dass die Kommission ein Papier vorlegt, eine Toolbox, wie das jetzt genannt wird, also eine Geschirrkiste, wie die einen sagen, oder einen Werkzeugkasten, wie andere sagen, wie bei der Finanzkrise, wo jeder national und auch europäisch das tun kann oder tun soll oder tun muss, was für ihn, für sein wirtschaftliches Umfeld das beste ist.

    Schütte: Herr Asselborn, reden wir noch einmal über die nationalen Projekte. Großbritannien senkt Steuern. Deutschland gibt sich mit schnellen Entlastungen eher zurückhaltend. Welcher Weg führt Europa aus der Krise?

    Asselborn: Der Weg, der Europa aus der Krise führt, ist ein doppelter Weg. Das sind die nationalen Maßnahmen. Deutschland hat nationale Maßnahmen beschlossen, wird heute darüber im Bundestag reden. Gut, die Engländer haben auch Maßnahmen beschlossen. Man kann, ich habe Gordon Brown gehört, man kann ja nicht vergleichen, und man kann nicht die deutsche Wirtschaft gleichstellen mit der englischen Wirtschaft.

    Die englische Wirtschaft ist ja mehr aufgebaut auf Finanzdienstleistung, die deutsche Wirtschaft mehr auf Dinge, wo die Produktion einen größeren Stellenwert hat. Wenn die Engländer glauben, dass dadurch Arbeitsplätze gerettet werden können, dass der Konsum - sagen wir mal das böse Wort - "angetrieben" werden kann, dass das im Vorteil Englands ist, dann sollen sie das tun. Sie dürfen aber nicht glauben, dass wenn sie das getan haben, dass alle anderen in Europa das nachahmen. So geht das ja nicht.

    Das, was wichtig ist, dass die nationalen Maßnahmen koordiniert werden mit den Wirtschaftslagen in den einzelnen Ländern, und dann, dass wir uns jetzt aufgrund des Vorschlags der Kommission, dass wir einen Weg finden, die europäischen Impulse, die wir geben müssen, dass wir die auch anbringen. Da ist das Papier zum Beispiel von Außenminister Steinmeier ein sehr gutes Papier. Das zeigt, dass Beschäftigung Vorfahrt hat, dass man rasch reagieren muss, dass Energieinfrastruktur, Breitbandinfrastruktur, zeitlich diese Infrastrukturen vorgezogen werden können, dass wir eine Forschungsoffensive brauchen, dass auch die protektionistischen Tendenzen – und da denke ich vor allem an die Doha-Runde – abgeschafft werden müssen.

    Das ist, glaube ich, worauf Europa sich jetzt konzentrieren muss, um auch den Konsumenten, um den Arbeitnehmern zu zeigen, dass reagiert wird. Denn ein Europa, was nicht reagieren würde, weder national noch europäisch nicht im Stande wäre, das wäre höchst bedenklich.

    Schütte: In diesem Papier, das Sie ansprechen, schlägt Herr Steinmeier auch eine engere Abstimmung der Wirtschafts- und Finanzpolitik aller Länder in der Euro-Zone vor. Damit kommt er ein bisschen der Forderung Frankreichs nach einer Wirtschaftsregierung entgegen. Ein Papier, das mit der Kanzlerin im Übrigen auch nicht abgestimmt war. War das ein glücklicher Vorstoß?

    Asselborn: Ich bin ein kleiner Luxemburger, und ich werde mich hüten, mich in die große deutsche Politik einzumischen. Was ich nur sagen kann ist, dass dieses Papier – ich habe es gelesen – für mich auf jeden Fall sehr positiv ist. Und das glaube ich auch, was nicht direkt drin steht, aber was ja auch, sagen wir mal, darin gedacht wurde, ist, dass das Stabilitätspaket, was wir ja haben in der Europäischen Union, was 2005 unter dem Impuls von unserem Premierminister Jean-Claude Juncker ja reformiert wurde – und das wird die Kommission, glaube ich, auch vorschlagen -, dass man diese Möglichkeiten, die im Stabilitätspaket stehen, dass man die voll ausschöpft, ohne das Prinzip in Frage zu stellen.

    Ich habe gelesen – ich weiß nicht, ob es stimmt -, in Großbritannien ist die Verschuldung jetzt nicht drei Prozent, sondern könnte auf das Doppelte von diesen drei Prozent steigen, wenn all diese Maßnahmen jetzt greifen und wenn diese Maßnahmen, wenn abgerechnet wird. Ich glaube, auch hier ist beim Stabilitätspakt sehr zu achten in der Europäischen Union, dass wir alles ausschöpfen, was wir haben, aber dass wir das Prinzip nicht auf den Kopf schmeißen.

    Schütte: Das heißt, Brüssel sollte kein Auge zudrücken, wenn die Euro-Länder, Großbritannien ist ja kein Euro-Land, wenn die Euro-Länder die Maastrichter Kriterien gefährden, also mehr neue Schulden aufnehmen als die berühmten drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts?

    Asselborn: Ja. Die drei Prozent, glaube ich, werden in einzelnen Ländern überschritten werden.

    Schütte: Auch in Deutschland?

    Asselborn: Das glaube ich nicht, denn zurzeit sieht das nicht so aus. Aber es sieht so aus, dass in einzelnen Ländern diese drei Prozent überschritten werden. Das ist auch keine Katastrophe. Es ist ja, um es mal auf luxemburger Deutsch zu sagen, dass man dann diesen Ländern erlaubt, dass die Rückfahrt länger dauern kann, dass also die Rückführung nicht in einem Jahr direkt geschehen muss, sondern dass diese Rückfahrt länger dauern kann. Das wäre ja auch ein Vorteil für die Länder, die jetzt große Schwierigkeiten haben, diese drei Prozent zu realisieren.

    Schütte: Sie plädieren auf eine europäische Lösung. Die Kanzlerin hat sich aber festgelegt. Nationale Rettungspakete haben Vorrang. Erst dann geht es um ein abgestimmtes europäisches Vorgehen. Ist das die richtige Reihenfolge?

    Asselborn: Also ich glaube, dass das eine ohne das andere überhaupt nicht funktioniert. Die nationalen Maßgaben – das haben wir gesagt – müssen getroffen werden, aber dann kommt es auch auf europäische Impulse an. Und Sie werden sehen, dass die Kommission morgen – ich bin kein Hellseher –, sich bestimmt auf drei Punkte konzentrieren wird. Das ist, was ich gesagt habe, zum Stabilitätspakt. Es ist dann zweitens, dass die Strukturfonds, die bestehen, die Sozialfonds, die bestehen, benutzt werden, um die Investitionsprojekte vorzuziehen. Dazu braucht man nicht neues Geld, sondern das Geld, das da ist, vielleicht vorziehen. Das wäre wichtig. Und dann das dritte ist das, was die Finanzierung angeht, Klimainfrastruktur, Energieinfrastruktur, Infrastrukturprojekte, wie ich gesagt habe, in moderne Technologien, dass hier die Europäische Investitionsbank, die, wie Sie wissen, ja in Luxemburg beheimatet ist und wie alles, was in Luxemburg als Institution besteht, sehr solide ist, dass die auch helfen kann, hier Kredite zu gewähren, um Infrastrukturen voranzubringen.

    Schütte: Stichwort Klimaschutz. Das haben Sie genannt. Ich möchte das einmal aufgreifen. Die großen Autonationen der EU sind sich einig: Sie wollen den Autokonzernen etwas mehr Zeit geben, umweltfreundlichere Wagen zu bauen. Verbindliche Höchstgrenzen für CO2-Ausstoß ja, aber schrittweise. Ist das der richtige Umgang, die richtige Haltung gegenüber den Autokonzernen?

    Asselborn: Europa steht zurzeit unter Druck von diesem amerikanischen Projekt der 25 Milliarden, die Autoindustrie in Amerika zu subventionieren. In Europa – das hat Präsident Sarkozy ja gestern noch gesagt – werden wir die Auflagen, die Umweltauflagen für die Autoindustrie verschärfen. Darum: Eine Konkurrenzverzerrung wird dann das Resultat sein. Ich glaube, man sollte das nicht so sehen. Wenn ich mir erlauben darf, zu den Autos vielleicht von jenseits der Mosel ein Wort zu Deutschland zu sagen. Wenn man die Debatte über das Tempolimit sich anschaut und anhört - ich glaube Deutschland ist das einzige Land in der Europäischen Union, wo kein Tempolimit ist -, dann versteht man vielleicht besser den Bezug des Deutschen zum Auto und auch das Gewicht der Autobranche in Deutschland.

    Schütte: Ist die deutsche Politik zu nachsichtig?

    Asselborn: Ich glaube, dass in Deutschland im Gegenteil zu sagen wir mal Frankreich, Italien, Spanien, wo die Lebensauffassung etwas entkrampfter ist, dass hier Autos schon viel früher gebaut wurden, die sagen wir im Spritverbrauch, im Ausstoß von Gasen viel mehr dem entgegenkommen, was wir brauchen. Das ist ein wenig paradox, denn Deutschland ist führend in ökologischen Fragen, in der ökologischen Einstellung. Und darum, glaube ich, muss umgedacht werden. Und es wäre falsch – das sagt ja auch die Kanzlerin, das sagt auch, glaube ich, jeder Politiker in Deutschland -, dass es jetzt nicht darum geht, mit der Gießkanne die Autobranche zu subventionieren, sondern dass man jetzt schauen muss, in die richtige Richtung auch zu investieren. Das bringt natürlich einem Opel-Arbeiter, der riskiert, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, nicht ganz viel. Das muss man auch verstehen. Der Autobereich muss stabilisiert werden und dann auch neu orientiert werden.

    Schütte: Herr Asselborn, Sie sagen "nicht mit der Gießkanne". Was bedeutet das zum Beispiel für die Bürgschaft, die die Bundesregierung prüft, ob es staatliche Hilfen geben soll? Sollte das an Bedingungen geknüpft sein?

    Asselborn: Schauen Sie, in Luxemburg, um dieses Beispiel zu geben, produzieren wir keine Autos. Aber was wir gemacht haben: Unser Umweltminister, unsere Regierung hat schon vor einiger Zeit vorgeschlagen, dass die Käufer für Autos, die weniger als 120 Gramm ausstoßen, eine Subvention von 750 Euro pro Auto bekommen. Das ist ein sehr positiver Impuls gewesen, um die Leute sagen wir mal dazu zu bringen, Autos zu kaufen, die wirklich umweltfreundlicher sind. Das, glaube ich, ist ein- ich sage jetzt nicht, dass das die Lösung ist -, aber das ist ein Impuls, den man geben kann auch vielleicht in einem großen Land wie Deutschland, um auf eine andere Schiene zu kommen.

    Schütte: Jean Asselborn, luxemburgischer Außenminister und Vizepremier. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Asselborn: Bitte, Herr Schütte.