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Asselborn wirft USA diplomatische Heuchelei vor

Jean Asselborn fordert eine deutliche Reaktion auf die Ausspähprogramme des US-Geheimdienstes NSA. Die Europäische Union müsse ihre abwartende Haltung ablegen. Es sei an der Zeit, eine klare Sprache zu sprechen, sagt der Außenminister Luxemburgs.

Jean Asselborn im Gespräch mit Peter Kapern | 02.07.2013
    Peter Kapern: Jeden Tag erfasst der US-Geheimdienst die Metadaten von rund 15 Millionen Telefonaten und etwa zehn Millionen Internet-Verbindungen, und zwar hier in Deutschland: Wer telefoniert wie lange mit wem, wer besucht welche Internet-Seite, alles gespeichert auf den Festplatten der National Security Agency. Das berichtet "Der Spiegel". Und im Rest Europas dürfte die Neugier der US-Schlapphüte kaum geringer sein. Pikantes Detail am Rande: Selbst die Politiker der US-Partnerregierungen hier in Europa wurden offenbar ausspioniert. So soll der US-Geheimdienst beispielsweise das Ratsgebäude der Europäischen Union in Brüssel verwanzt haben. – Bei uns am Telefon ist nun Jean Asselborn, der Außenminister Luxemburgs. Guten Morgen, Herr Asselborn.

    Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Asselborn, wie ist das? Wer jetzt Kritik an den USA übt, der ist antiamerikanisch?

    Asselborn: Ich habe Ihren Innenminister gehört. Ich glaube, okay, das ist etwas unterkühlt gesagt, seine Meinung. Ich hoffe, dass wir alle nicht in Antiamerikanismus verfallen müssen oder dürfen. Darum muss ganz, ganz schnell wieder diese Verzerrung, die da geschehen ist, behoben werden. Ich glaube, dass es schon schlimm ist, ganz ehrlich gesagt, Herr Kapern, dass das Land, was von sich selbst jetzt sagt, dass es für Freiheit, für Toleranz, für Demokratie steht, durch Abhörsysteme, die angebracht werden in der EU, in der UNO, in verschiedenen Ländern, an die elementarste Substanz des Vertrauens nagen geht. Ich bin neun Jahre Außenminister, ich bin kein großer Diplomat, aber hier wird Diplomatie zur Heuchelei deklassiert. Wenn jedes Land das machen kann, was die USA sich erlaubt, dann brauchen wir keine Diplomatie mehr, denn wir haben keine Diplomatie mehr, und das ist schlimm.

    Kapern: Was ist denn eigentlich schlimmer, wenn die USA europäische Politiker ausspionieren, oder wenn sie Millionen von europäischen Bürgern abhören?

    Asselborn: Das Zweite selbstverständlich ist das aller-allerschlimmste. Das kann man ja eigentlich nicht hinnehmen. Ich weiß nicht, wo diese Phobie herkommt. Vielleicht ist das dieser Kampf gegen den Terror, was ja berechtigt ist nach 9/11. Aber wenn das so ist, wenn die Amerikaner diese Mentalität ausbauen, dann haben die Attentäter von 9/11 das Ziel erreicht, nämlich die Rechtsstaatlichkeit entscheidend zu unterwandern und "den Westen" in Polizei-Staatsmaschinerien zu stellen, und das wäre sehr, sehr ernst.

    Kapern: Was erwarten Sie nun von den USA?

    Asselborn: Das erste ist, dass man versucht zu verstehen. Es ist schwer vorstellbar, dass Präsident Obama sich im Detail bewusst ist, was alles da geschieht. Vielleicht bin ich naiv, aber ich nehme das an. Er weiß, dass diese Dienste, die er hat, nicht philanthropisch unterwegs sind, selbstverständlich, aber er muss doch auch einsehen, dass diese Dienste außer Kontrolle geraten sind, dass hier Totengräber der demokratischen Spielregeln am Werke sind. Wenn man Wanzen anlegt in Brüssel oder auch bei der UNO zum Beispiel in Brüssel, kann das ja nicht nur in Handelsfragen spielen. Das ist ja ganz allgemein für unsere Positionen, und als Europäer sind wir ja alle Verbündete der Vereinigten Staaten. Darum ist es sehr, sehr schwer, das zu verstehen.

    Kapern: Nun sagen ja alle amerikanischen Stellen, man werde da für Aufklärung sorgen auf den üblichen diplomatischen Kanälen. Reicht Ihnen Aufklärung über das, was da jetzt im Raum steht?

    Asselborn: Nein. Was man feststellen kann ist, dass die Reaktionen aus den USA zurzeit wenigstens äußerst, äußerst spärlich sind. Das ist ein Zeichen, glaube ich, dass diese Aufdeckung im "Spiegel" und im "Guardian" nicht mit banalen Dementis zu kontern ist. Ich will jetzt Brüssel keine Gebrauchsanweisung vorschreiben, das steht mir nicht zu. Aber ich kann doch sagen, dass die Phase der abwartenden Haltung schnellstens in Brüssel auch überwunden werden muss. Wenn die USA ausspioniert werden, dann reagieren sie doch sehr, sehr aggressiv, sehr nachhaltig, zum Beispiel auch bei den engsten Verbündeten der USA. Denken Sie an den Fall Jonathan Pollard, einen Israeli. Die Europäische Union – und wir haben Institutionen – müssen klare Kante zeigen, eine klare Sprache sprechen, damit die Amerikaner auch verstehen, wie weh uns das tut und wie unmöglich es ist, als Verbündeter zu operieren, wenn bewusst dieses geschieht, was nun eben Realität ja ist, dass wir abgehört werden und dass wir überwacht werden.

    Kapern: Also auch, wenn Sie keine Vorgaben machen wollen für Ihre Amtskollegen in Brüssel, Herr Asselborn, was heißt das oder was könnte es heißen, klare Kante zu zeigen? Welche Optionen hat die Europäische Union?

    Asselborn: Die Europäische Union muss Garantien bekommen, und zwar auf oberster Ebene, dass dies gestoppt ist, respektive gestoppt wird. Sie wissen, am nächsten Montag, also in weniger als einer Woche, soll das Handelsabkommen mit Amerika angefangen werden zu diskutieren, verhandelt werden. Das ist unter diesen Bedingungen, glaube ich, einfach nicht möglich. Wir sollten jetzt nicht hingehen und sagen, wir machen das nicht, sondern bis dahin müssen ganz klare Garantien kommen.
    Das Zweite ist: Die Antwort, Herr Kapern, darf nicht auf den diplomatischen Kanälen nur kommen. Hier muss im offenen Kanal mit der Weltöffentlichkeit geredet werden. Und das Dritte ist, dass, glaube ich, wir auch klar sagen müssen, die viel beschworenen unbegrenzten Möglichkeiten Amerikas, die dürfen nicht in einen digitalen Kalten Krieg führen. Herr Seibert hat im Namen der Kanzlerin ja gestern das richtig gesagt, dass der Kalte Krieg vorüber ist. Ich glaube – und das ist auch vielleicht eine Antwort an Herrn Friedrich, obwohl ich mich aus der deutschen Innenpolitik selbstverständlich meilenweit heraushalte -, dass es fatal ist für das Bild Amerikas auch in Deutschland, auch in unserem Land oder in Europa, wenn wir dieses Bild eines Verbündeten Amerika haben, das uns nicht traut. Das ist ja der Punkt, dass nicht getraut wird, weder den Menschen noch der Diplomatie. Man kann, glaube ich, ja nicht davon ausgehen, dass es in Amerika eine Einstellung gibt, wir haben Wanzen, die performant sind, wir haben Computer, die performant sind, die technisch ermöglichen, jede Kommunikation in der Welt zu kontrollieren, Terrorismus ist überall, also haben wir das Recht, sogar die Pflicht, diese Systeme einzusetzen. Das ist der Simplizissimus, das ist ein Staatsverständnis, was außerhalb der Demokratie, glaube ich, anzusiedeln ist.

    Kapern: Schauen wir doch noch mal zehn Jahre zurück, Herr Asselborn. Schon 2003 waren die Büros im Ratsgebäude in Brüssel verwanzt und schon damals fiel der Verdacht auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Damals waren Sie noch nicht Außenminister, aber Sie sind es kurz darauf ein Jahr später geworden. Hat das Thema denn nie wieder eine Rolle in Brüssel gespielt, wenn Sie da in den Sitzungssälen des Ratsgebäudes getagt haben?

    Asselborn: Herr Kapern, ich habe von 2003 gehört. Es war nicht klar, wer es damals war und was es war. Es wurde jedenfalls nie aufgedeckt. Da wurde der Deckel draufgelegt und fertig.

    Kapern: Von wem wurde der Deckel draufgelegt?

    Asselborn: Ich kann Ihnen das nicht sagen. Ich weiß nur von unseren Diplomaten, mit denen ich gesprochen habe, dass niemals 2003 bis zum Ende aufgeklärt wurde, wer es war und was damals richtig war. Ich bin jetzt seit 2004 dabei, ich habe mich in den neun Jahren frei gefühlt, sowohl am Telefon als auch wenn ich E-Mails gemacht habe oder sonst was. Das Gegenteil, das kann ja auch nicht funktionieren, weder für ein normales Leben als Bürger, noch wenn man Arbeit zu verrichten hat im Interesse eines Landes als Minister bei der Europäischen Union oder bei der UNO. Ich habe mich wirklich frei gefühlt, ich habe nie daran gedacht. Wenn man dieses immer im Hinterkopf hätte, wäre ja eine freie Aussprache oder auch eine freie Meinungsbildung nicht möglich. Wir müssen ja hier sehen, dass Methoden aufgebaut wurden, mit Wissen oder ohne Wissen, die eigentlich nur in totalitären Staaten die Demokratie nicht ermöglicht haben. Das ist ganz, ganz schlimm, was geschieht. Darum kann ich nur den Ruf machen aus Luxemburg hier über den Deutschlandfunk, dass wirklich wir als Europäische Union, die Instanzen, dass wir uns sehr, sehr schnell und sehr, sehr klar äußern und diese Garantien einfordern. Wenn dies nicht geschehen würde, wäre etwas zerstört, was so schnell nicht wieder gut zu machen ist.

    Kapern: Jean Asselborn, der Außenminister unseres Nachbarlandes Luxemburg. Herr Asselborn, danke für das Gespräch und einen schönen Tag nach Luxemburg.

    Asselborn: Bitte, Herr Kapern.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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