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Assessement-Center in der Kritik

Vor allem in großen Betrieben galt das Assessment Center lange Zeit als das Nonplusultra bei den Personalern. Doch scheint dieses Auswahlverfahren längst nicht immer die beste Methode bei der Stellenbesetzung zu sein.

Von Stephanie Kowalewski | 18.01.2011
    Christina Scherb kann sich noch sehr gut an ihr erstes und einziges anderthalbtägiges Assessment Center nach ihrem Betriebswirtschaftsstudium erinnern:

    "Es war ein Interview dabei, Rollenspiele, es waren Mitarbeitergespräche dabei, Präsentationen, wo man eben auch verschiedenes Datenmaterial analysieren und präsentieren musste vor den anwesenden Personalern. Und am Ende hat man auch ein Feedback bekommen. Richtig mit Stärken und Entwicklungsfeldern, sodass man schon einmal wusste, oh, sieht schon mal gut aus oder nicht."

    Solche Übungen sind wie Arbeitsproben, sagt Diplom-Psychologe Michael Paschen, der für Unternehmen maßgeschneiderte Assessment Center, kurz AC, entwickelt:

    "Der Vorteil für das Unternehmen ist natürlich, dass ich wirklich sehe, wie jemand praktisch was tut. Im Gespräch kann ich ja nur darüber philosophieren, wie sie es tun würden. Und im Assessment Center geht es im Allgemeinen darum, dass sie es auch machen."

    Durch die simulierten Arbeitssituationen wollen die Unternehmen erkennen, wie schnell die Auffassungsgabe der Kandidaten ist, wie strukturiert sie Dokumente analysieren, wie sie Ergebnisse präsentieren und wie sie sich in einem Konfliktgespräch verhalten.

    "Arbeitsproben sind, wenn man der Lehre glaubt, sicherlich das beste Instrument um jemanden zu beurteilen."

    Meint auch Dirk Pfenning, der bei der Bayer AG für die Personalauswahl verantwortlich ist. Und dennoch werden in dem Großunternehmen lediglich zehn Prozent der Stellen über das klassische Gruppen AC besetzt:

    "Wir führen Gruppen-Assessment-Center durch im Bereich der Berufseinsteiger, schwerpunktmäßig im betriebswirtschaftlichen Bereich. Der ganz überwiegende Teil wird aber über Einstell-Interviews abgedeckt."

    So kommt das AC bei Firmen wie Bayer oder auch Ford lediglich bei Hochschulabsolventen und Bewerbern für Trainee-Programme zum Einsatz, weil es hier weniger um die fachliche Kompetenz, sondern um das Führungspotenzial der Kandidaten geht, sagt der Psychologe Michael Paschen:

    "Da können sie als Hochschulabsolvent einfach nicht so viel von sich sagen. Sie können sagen, sie waren mal Klassensprecher oder haben an der Uni eine Projektgruppe gemacht oder so. Aber das ist deutlich weniger aussagefähig, als wenn ich sie mal in eine Situation bringe, wo sie Feedback geben müssen, wo sie Orientierung stiften müssen, wo ich sehe, mit wie viel Autorität, Klarheit und mit wie viel Selbstverständlichkeit können sie tatsächlich auch Anleitung geben. Das ist der Vorteil eines Assessments."

    Aber wenn es um Fachkompetenz geht, stößt das AC an seine Grenzen. Dann setzt Bayer auf strukturierte Interviewtage, bei denen die Ingenieure oder Naturwissenschaftler mit speziell geschulten Fachkollegen über den Tag verteilt Gespräche führen. Zusätzlich muss der Kandidat einen Vortrag zum Beispiel über seine Diplomarbeit oder sein jüngstes Forschungsvorhaben halten.

    Pfenning: "Und zwar dann nicht vor einem, sondern vor einer größeren Gruppe. Das heißt, da werden Fachkollegen eingeladen aus dem Bereich, wo dann auch eingestellt wird, wo dann auch am Ende des Vortrags diskutiert wird. Also auch hier eine gewisse Stresssituation. Er muss quasi seine Thesen verteidigen dort."

    Dieses Verfahren garantiert dem Unternehmen erfahrungsgemäß einen bessern Einblick in die fachliche Qualifikation, als es selbst das Beste AC je könnte, betont Dirk Pfenning. Obendrein schließen sich Gruppen-Assessments auch bei berufserfahrenen Kandidaten aus, die ja meist noch bei einem anderen Arbeitgeber unter Vertrag sind. Hier muss die Geheimhaltung gewahrt werden. Viele Firmen, wie etwa das Technologieunternehmen 3M, setzen dann auf Einzel-Assessments, weiß Personalentwickler Michael Paschen:

    "Ich kann ja auch vier Bewerber einladen, die setzte ich nebeneinander in vier Räume, und die Unternehmensvertreter pendeln durch die vier Räume. Und vielleicht wissen sie als Bewerber noch nicht einmal von einander und vielleicht wissen sie gar nicht, dass sie eigentlich als Gruppe eingeladen worden sind."

    Letztlich kommt es also immer drauf an, welche Stelle ein Unternehmen gerade besetzten möchte, sagt Christina Scherb, die nach erfolgreichem Assesment Center inzwischen selbst als Personalerin bei Bayer arbeitet:

    "Natürlich hat man im Assesment Center eine andere Vergleichbarkeit. Jeder hat die gleichen Chancen das Beste aus dem Material zu machen. Letztendlich ist aber eben im Interview auch die Möglichkeit gegeben, eben tiefer an die Person ranzukommen. Man kann nicht sagen, das Eine oder das Andere."

    Und deshalb raten Experten zum Methodenmix, denn dann ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, den richtigen Bewerber auszuwählen.