Mittwoch, 24. April 2024

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Astrid Klein Werkschau in den Deichtorhallen
Denkräume und Collagen aus stürzenden Fassaden

Die Kölnerin Astrid Klein zählt zu den profiliertesten Künstlerinnen ihrer Generation, wurde vielfach ausgezeichnet, nahm 1986 an der Biennale in Venedig teil und war Professorin an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. In den Hamburger Deichtorhallen wird nun ein umfassender Überblick ihrer Werke gezeigt.

Von Rainer Berthold Schossig | 24.03.2018
    Eine grob gemauerte Wand über die sechs schwarze Wölfe wie Schatten springen
    Astrid Klein, Endzeitgefühle, 1982. Fotoarbeit, 330 x 465 cm. (Deichtorhallen / Sprüth Magers / Astrid Klein)
    Die Harburger Ausstellungshallen sind riesig, aber auch irgendwo zu Ende. Und dort, einige Stufen abwärts im toten Raum, stößt man auf ein Schlüsselbild: "Endzeitgefühle". Eine grob vermauerte Wand, verdreckt, verwahrlost - verlassen. Unvermittelt wie Phantome springen sechs schwarze Schatten durchs Bild: Wölfe, die in Deutschland damals ausgerottet waren. 1982 hat Astrid Klein das Bild für Kampnagel collagiert:
    "Das war ja in Hamburg sehr lange in der U-Bahn unter der Kunsthalle installiert – für mich auch wieder diese Mischung: denn die Wölfe sind ja gezeichnet, die Mauer ist ein Foto, eine Kombination von Zeichnung und Fotografie, aber es ist schon eine Zeichnung für mich, die einen Raum eröffnet, einen Denkraum, und da war diese Arbeit besonders wichtig – für meinen Werdegang!"
    Klein schafft Welten des Schreckens und scheinbarer Schönheit
    Denkräume sind es allemal, die Astrid Klein dem Betrachter zumutet. Unerhörte Bildräume. Denken heißt Überschreiten, so der Philosoph der Utopie, Ernst Bloch. Astrid Klein überschreitet sowohl die Doktrin der Abstraktion als auch die der Figürlichkeit. Für sie spricht jedes ephemere Bild, in jedem Satzfetzen einer Werbebotschaft erkennt sie ein abbildungs- also erklärungsbedürftiges Stück Welt. Welten der Käuflichkeit und des Voyeurismus, der Illusionen und Täuschungen. Welten des Schreckens und scheinbarer Schönheit: Seichte Modemädchen à la Brigitte Bardot, Begehren als mediale Vorspiegelung, hart dagegen geschnitten der aufgeschwemmte, späte Elvis Presley: "Sagen Sie nicht, das er fett war…" Alle Ikonen sind antastbar, nichts ist heilig. Treppauf steigend kommt man an 16 riesigen zerschossenen Spiegeln vorbei, ein brennender PKW am Straßenrand mit verkohlter Leiche, eine anonyme Verhaftung, grob gerastert, nirgends Hochglanz – eine Laokoon-Gruppe auf zerknittertem Transparentpapier…
    "Fotografie habe ich als Material verwendet, so wie der Maler seine Pigmente. Habe immer mit den Augen die Sicht eines Malers."
    Die in Köln geborene Astrid Klein war immer Malerin, vor der deutschen Wende und danach, als sie an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst lehrte. Die Filmstils der "Nouvelle Vague" faszinierten sie ebenso wie Rainer Werner Fassbinders Schwarz-Weiß-Filme. Überhaupt Schwarz-Weiß – das war und ist ihre Welt. Die bunten Bilderfluten des Internets perlen von ihr ab. Düster stehen dagegen Visionen einer rauchenden Akropolis, einer Quadriga in Flammen, davor gekrümmte Skelette, Schädelstätten deutscher Volksgenossen in dunkler Vorvergangenheit. Alles in saugendem, tiefem, spanischem Schwarz, wie das des greisen Goya – davon träumen Astrid Kleins Bilder. Fotografien aus privaten Alben, Zeitungen oder Reklame sind für sie nur formale Anlässe, um Durchsichtigkeit, Seelentiefe und Plattitüden des Kommerzes zu portraitieren.
    "Die Unabhängigkeit des Künstlers nicht nur, sondern überhaupt als Mensch die Unabhängigkeit, die man für sich ja nicht haben kann, wie man sie sich erträumt! Man ist ja nicht ein naiver Idealist. Aber ich denke, dass man sich freimachen muss von Zwängen, indem man nicht nur dem Markt gehorcht, sondern dass man dem folgt, was einen treibt, und was man in seiner Zeit als wichtig und richtig empfindet."
    Mühelos neben Gerhard Richter oder Rosemarie Trockel
    Ideologien sind der Malerin fremd. Sie sagt, sie sei für die 68er zu jung gewesen; ihr Prophet sei Albert Camus, der Protokollant der Vergeblichkeit und des Absurden, oder Michelangelo Antonioni und sein Film Blow Up. Das Geheimnis des Vergrößerns, der Recherche im Detail, des herausgerissenen Bedeutungs-Atoms, das sind die Arbeitsfelder dieser großen deutschen Künstlerin, deren Bilder sich – neben denen von Gerhard Richter und Sigmar Polke, Rosemarie Trockel und Katharina Sieverding – mühelos, schwebend leicht behaupten. Dabei ist sie sich der Risiken des Absturzes immer bewusst. "Failure – Scheitern" – so heißt eine ihrer programmatischen Collagen aus stürzenden Fassaden, undurchsichtigen Karossen und Bergen von Banknoten. Zeitlose, nicht nur deutsche Menetekel.
    "Ich glaube, dass Scheitern eine Voraussetzung ist, um etwas aufzubauen oder wieder etwas neu zu machen und wieder Kraft zu bekommen. Ich sehe das nicht depressiv oder als negativ an, das Scheitern, sondern das ist in jedem Leben – auch eines Nichtkünstlers. Und ich glaube dass künstlerisches Scheitern eine Voraussetzung ist, um wieder einen neuen Blick zu entwickeln, eine neue Wahrnehmung."