Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Asylbewerber hoffen auf mehr Geld

Das Asylbewerberleistungsgesetz soll Asylsuchende, Kriegsflüchtlinge und Geduldete das Nötigste zum Leben sichern. Seit 1993 wurde es nicht verändert, die Verbraucherpreise sind aber seitdem um 35 Prozent gestiegen.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 12.07.2012
    "Mein Name ist Eva Steffen, ich bin Rechtsanwältin in Köln."

    Die blonde, hochgewachsene Frau vertritt derzeit nicht nur zwei Mandanten vor dem Bundesverfassungsgericht, sondern sie hat Hunderte von Fällen, die das Asylbewerberleistungsgesetz betreffen. Dem Namen nach ein schwer verständliches, bürokratisches Konstrukt. Es betrifft hauptsächlich Asylsuchende, Kriegsflüchtlinge und Geduldete sowie deren Familien. Dieses Gesetz soll ihnen das Nötigste zum Leben sichern, in Form von staatlichen Geld- oder Sachleistungen. Eva Steffen:

    "Sachleistungen sind zum Beispiel die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft, die Form von Essenspaketen. Das heißt, es wird ein Essenspaket gepackt, was gravierende Auswirkungen hat auf das Selbstbestimmungsrecht. Sie können nicht selbst bestimmen, was Sie essen, was Sie trinken. Und auch Windeln, Toilettenpapier etc. wird in dieser Form dann zur Verfügung gestellt."

    Und zwar für volle vier Jahre.

    "Der Zeitraum ist viel zu lang. Man kann niemanden zumuten, vier Jahre lang mit Essenspaketen zu leben. Hinzu kommt natürlich ein geringer Barbetrag."

    Pro Monat 20,45 Euro für Kinder und Jugendliche und 40,90 Euro für Erwachsene.

    "Mit diesem Betrag muss dann alles abgedeckt werden, was den persönlichen Bedarf anbelangt: Den gesamten Bereich der Freizeit, für Schreibwaren, für Telekommunikation, also alles, was man sich vorstellen kann, was man außerhalb von Kleidung, Essen, Körperpflegemittel etc. ausgeben muss."

    Wie es ist, nicht sein eigenes Essen kochen oder dem Sohn keine neuen Fußballschuhe kaufen zu können, darüber reden die Betroffenen nicht gerne, die Scham ist bei vielen groß. Eva Steffen hat Mandanten zum Interview dazu gebeten, aber sie sind nicht erschienen. Nicht einmal die beiden Personen, um deren Fall es am kommen den Mittwoch in Karlsruhe geht. Ein junger Iraker und ein Mädchen aus Liberia waren vor das Sozialgericht Aachen gezogen, weil Geld und Sachleistungen zum Leben nicht ausreichen. Die Klage wurde abgewiesen und landete beim Landessozialgericht in Essen. Von da an nahm der Fall eine entscheidende Wende: Denn die Richter dort sind der Ansicht, dass das Asylbewerberleistungsgesetz, kurz ABLG, an sich dringend reformbedürftig sei.

    "Sie müssen sehen, dass das Asylbewerbergesetz 1993 in Kraft getreten ist und seit diesem Zeitpunkt nicht mehr erneuert oder die Beträge nicht mehr geändert worden sind."

    Sagt Michael Wolff-Dellen, Sprecher am Landessozialgericht Essen. Die Verbraucherpreise hingegen sind seitdem um 35 Prozent gestiegen, anders eben als der Betrag für Asylbewerber:

    "Er ist sozusagen noch in D-Mark errechnet. Das Gesetz weist die Leistungsbeträge in D-Mark aus."

    Allein schon das sieht das Gericht als Beleg dafür, dass das Gesetz kein menschenwürdiges Existenzminimum bietet und daher mit dem Grundgesetz offenbar nicht vereinbar ist, so jedenfalls die Sichtweise in Essen.

    "Außerdem hat es beanstandet, dass der Bedarf nicht nach konkreten Berechnungsmethoden, wie sie vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben worden sind, berechnet worden ist, sondern es hat ausdrücklich formuliert, der Bedarf sei ins Blaue geschätzt worden."

    Im Kern geht es auch hier – ähnlich wie bei den Gesetzen zur sogenannten Eurorettung – vor dem höchsten deutschen Gericht nicht allein um juristische, sondern vor allem um politische Fragen:

    "Ich sehe durchaus, dass ein Anlass, die Sätze geringer anzusetzen, die Frage gewesen sein wird, wie der Zulauf von Asylbewerbern in Deutschland ist. Ich meine, das sei damals auch ausdrücklich Gegenstand der Gesetzesdiskussion gewesen."

    Damals, das war Anfang der 90er-Jahre. Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kamen, nahm stetig zu. Asylbewerberheime brannten, und der vielfache Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland bestimmte die Landtagswahlkämpfe in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg. Auf diese Entwicklung reagierte 1993 die von Helmut Kohl geführte Bundesregierung – es kam zum Asylkompromiss mit der SPD und zur Verabschiedung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Ein Instrument der Abschreckung – davon ist auch Rechtsanwältin Eva Steffen überzeugt:

    "Im Prinzip wurde der Leistungssatz bemessen auf der bloßen Schätzung, und rein aus migration- und fiskalpolitischen Interessen heraus, und eben nicht an dem – angeblich geringeren – Bedarf der betroffenen Personen."

    Den Vorwurf des Missbrauchs lässt Eva Steffen nicht gelten. Denn nur selten erhalten ihre Mandanten in Deutschland eine Arbeitserlaubnis. In manchen Fällen führt das direkt in die Schwarzarbeit oder zum Leistungsmissbrauch. Doch beides, so betont die Anwältin, seien keine speziell aysl- oder ausländerrechtlichen Probleme. Dann formuliert sie vorsichtig:

    "Sicherlich werden Menschen, denen das Existenzminimum nicht gewährt wird, in eine Situation gedrängt, in der sie nach Alternativen suchen müssen, zwangsläufig."

    Die Lage sei auch deswegen so verfahren, weil die Politik fast 20 Jahre nicht reagiert habe:

    "Es gibt Bund-Länder-Arbeitsgruppen, die auch bisher nicht zu tragbaren Ergebnissen gekommen sind. Das musste die Bundesregierung ja auch einräumen, sie hat auch eingeräumt, dass sie bis heute weder eine Bemessungsgrundlage noch in irgendeiner Form einen Tag nennen kann, an dem es eine Neuregelung geben wird, sodass man schon daran messen kann, dass das Interesse der Bundesregierung minimal ist."

    Das gilt auch für die Bundesländer, denn auf sie würden im Falle einer Reform neue Ausgaben zukommen. Um so mehr hofft die Anwältin jetzt auf die Justiz: Denn vor zwei Jahren hat Bundesverfassungsgericht schon die Hartz-IV-Sätze für verfassungswidrig erklärt. Begründung: Sie seien willkürlich festgesetzt worden – wie die Leistungen für Asylbewerber. Deshalb ist Eva Steffen zuversichtlich.

    "Der Vorsitzende des Bundesverfassungsgerichts, der hat es eigentlich auf den Punkt gebracht: 'Ein bisschen weniger zu essen, und dann gehen sie schon – das kann nicht der Maßstab, nicht das Motto sein.'"