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Asylpolitik
Flucht vor Allah

Atheismus kann lebensgefährlich sein. Worood Zuhair, Biologin aus dem Irak, und Mahmudul Haque Munshi, Blogger aus Bangladesch, bekamen Todesdrohungen, weil sie in ihrer Heimat als unislamisch galten. Jetzt leben sie in Deutschland. Als Asylgrund wird Religionskritik aber nicht anerkannt.

Von Astrid Prange | 10.10.2018
    Bewohner betreten am 25.07.2016 in Aschaffenburg (Bayern) den gut gesicherten Eingang einer Flüchtlingsunterkunft des Freistaates Bayern in einer ehemaligen Kaserne, in der zur Zeit über 400 Menschen untergebracht sind.
    Für atheistische Frauen aus islamischen Ländern kann es in Flüchtlingsunterkünften gefährlich sein. Das Risiko, auf konservative Männer zu stoßen, ist groß. (dpa / picture alliance / Frank Rumpenhorst)
    Kann Atheismus ein Asylgrund sein? Ja, sagen Worood Zuhair, Biologin aus dem Irak, und Mahmudul Haque Munshi, Blogger aus Bangladesch. Für beide war ihr Hadern mit Gott eine Frage von Leben und Tod. Denn in vielen asiatischen und arabischen Ländern kann der Abfall vom Glauben mit der Todesstrafe geahndet werden.
    Mahmudul Haque Munshi und Worood Zuhair werden in Köln von der Säkularen Flüchtlingshilfe betreut. Sie sind mittlerweile als Flüchtlinge anerkannt.
    Immer wieder sind die ehrenamtlichen Betreuer der Säkularen Flüchtlingshilfe damit beschäftigt, insbesondere Frauen vor einer weiteren Verfolgung hier in Deutschland zu schützen.
    Worood Zuhair bekommt immer noch Morddrohungen über ihre Facebookseite. Mehrfach hat sie bei der Polizei Anzeige erstattet, denn einer der Verfasser scheint in Deutschland zu leben. Fühlt sie sich mittlerweile sicher?
    "Nicht wirklich. Es ist als ob sie auf deinen offenen Wunden herumtrampeln.
    Tiefe Traumata
    Seit zwei Jahren ist die Irakerin aus der Stadt Kerbela in Deutschland. Extreme Rücken- und Beinschmerzen plagen die 31-Jährige, denn ihr Bruder brach ihr die Wirbelsäule und prügelte sie bewusstlos. Der Grund: Sie hatte ohne väterliche Genehmigung das Haus verlassen. Das Verbot war die Folge des langgehegten Verdachtes, sie verhalte sich nicht entsprechen den Regeln des Islam. Schlimmer noch: Sie hatte im Familienkreis Zweifel an ihrem Glauben zu erkennen gegeben.
    Sie erzählt: "Wenn du bemerkst, dass sich in der Familie alle von dir abwenden, was ist dann ist der Gesellschaft, in der du lebst? Was ist mit deinem Zuhause? Mein Vater hat immer wieder gesagt: Ich wünsche, Azrael - das ist der Engel des Todes - würde deine Seele nehmen. Immer sagte er das. Ich sagte: Entschuldigung, aber ich glaube nicht an Gott. Aber wenn ein Vater das zu dir sagt, ist das besonders schmerzlich."
    Eine Wohnung für sich allein
    Mittlerweile schafft es Worood Zuhair, über ihre dramatische Leidensgeschichte zu sprechen. Und sich für andere Frauen einzusetzen, die ebenfalls Gewalt erfahren haben. Mit Morddrohungen sieht sich auch Blogger Munshi weiterhin konfrontiert.
    Er erzählt: "Das Problem ist, ich bekomme jeden Tag Todesdrohungen auf meiner Facebookseite. Neulich waren es 4500 an einem einzigen Tag!"
    2013 gründete er in Bangladesch die Shabag-Bewegung, genannt nach dem Stadtteil in der Hauptstadt Dhaka. Die Bewegung forderte die Bestrafung der Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen aus dem Jahr 1971. Damals kämpfte Bangladesch für seine Unabhängigkeit gegen Pakistan. Während des Kriegs starben über eine halbe Million Menschen.
    2015 floh Munshi mit Hilfe der Heinrich-Böll-Stiftung zunächst nach Nepal, dann nach Sri Lanka, und dann nach Deutschland. Als er schließlich in einem Auffanglanger für Flüchtlinge in Detmold eintraf, traute er seinen Augen nicht: Einige der Bewohner stammten ebenfalls aus Bangladesch. Munshi bekam Angst, dass sich unter ihnen auch einige seiner ehemaligen Verfolger befinden könnten.
    "In dem Flüchtlingsheim, wo ich für zwei Wochen untergebracht war, kannten mich alle Bengalen. Es gab dort keine Möglichkeit, sich in einem Raum zurückzuziehen und die Tür zu zu machen. Weder in den Schlafräumen noch auf der Toilette konnte man die Tür abschließen. Nach zwei Wochen habe ich eine Panikattacke bekommen und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden."
    In seiner Heimat war Munshi ein Star. 500.000 User folgten ihm auf seinem Blog, eine Million Menschen gingen auf die Straße, als sein Netzwerk "Blogger online activist network" zu Protesten aufrief. Mit den Massendemos kamen die Morddrohungen. Die Bewegung sei unislamisch, ihre Anführer Atheisten, argumentierten die Gegner. Eine systematische Jagd auf Munshi und die Anführer des "Shabag Movement" begann. Viele Anhänger trauten sich nicht mehr, an den Demonstrationen teilzunehmen.
    Ein Kampf für Freiheit von Religion
    Er erinnert sich: "Sie haben eine Todesliste erstellt und die Leute der Reihe nach umgebracht. 84 Leute standen auf der Liste, mein Name auch. Danach tauchten auch noch andere Listen auf und überall war mein Name drauf und der Name meiner Freunde drauf. Sie sagten: Diese Leute sind Atheisten. Sie schreiben Blogs und sie sollten exekutiert werden."
    Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht: Der Kampf der atheistischen Flüchtlinge ist kein Kampf gegen den Islam. Es ist ein Kampf für Freiheit von Religion. Bisher wird die kleine Gruppe der Atheisten in der Flüchtlingspolitik kaum beachtet. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bamf, gilt Atheismus nicht als offizieller Asylgrund und wird nicht statistisch erfasst. Die Behörde beruft sich auf den Einzelfall. In der schriftlichen Auskunft heißt es:
    "Die Herkunft aus einem bestimmten Land oder ein bestimmter Fluchtgrund, zum Beispiel Religionszugehörigkeit oder Atheismus, führen nicht automatisch zu einem Schutzstatus."
    Der erste "Einzelfall", in dem Atheismus als Fluchtgrund vom Bamf anerkannt wurde, galt dem iranischen Kameramann Siamak Zare. Nach einer langen gerichtlichen Auseinandersetzung wurde er im April 2010 offiziell anerkannt.
    Bisher wird der juristische und politische Kampf für die Anerkennung von Atheismus als Asylgrund hauptsächlich von Stiftungen vorangetrieben, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Auf parteipolitischer Ebene verläuft die Lobbyarbeit hierzulande eher zäh. So jedenfalls sehen es der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) und die Säkulare Flüchtlingshilfe.