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Asylpolitik
"Im Moment betreibt man Flickschusterei"

Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, forderte im DLF einen Perspektivenwechsel in der deutschen Flüchtlingspolitik. Er ist für ein Integrationskonzept, das die Menschen auf eigene Füße stellt - und ihnen so ermöglicht, dauerhaft zu bleiben.

Günter Burkhardt im Gespräch mit Martin Zagatta | 29.11.2014
    Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, spricht am 21.05.2014 bei einer Pressekonferenz in Berlin zum Thema "Flüchtlinge aus Syrien - woran scheitert eine schnelle Aufnahme?"
    Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl (picture-alliance / dpa / Christoph Schmidt)
    Martin Zagatta: Es gibt vielerorts große Probleme bei der Unterbringung und der Versorgung, und angesichts steigender Flüchtlingszahlen sehen sich die Kommunen und die Länder unter Druck, auch unter finanziellem Druck. Doch im Streit um die Kosten gibt es jetzt eine Einigung: Die Bundesregierung stellt den Kommunen und den Ländern eine zusätzliche Milliarde zur Verfügung für die beiden nächsten Jahre - so wurde das gestern beschlossen. Ob das ausreicht, ob das eine gute Nachricht ist, das kann ich jetzt Günter Burkhardt fragen. Er ist Geschäftsführer und Mitbegründer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Guten Morgen, Herr Burkhardt!
    Günter Burkhardt: Guten Morgen!
    Zagatta: Herr Burkhardt, ist damit jetzt, mit dem, was da gestern beschlossen wurde, ist damit die Basis geschaffen für einen vernünftigen Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland?
    Burkhardt: Leider nein, denn der Bund hat ja gesagt, er zahlt zwei Jahre einmalig Geld. Was Pro Asyl fordert, ist ein Integrationskonzept, sodass Menschen auf eigenen Füßen stehen können. Das heißt, man hätte gebraucht Finanzierung von Sprachkursen, die Eröffnung der Integrationskurse des Bundes, die Hilfestellungen, um Menschen schnell aus Großunterkünften in Wohnungen zu vermitteln. Denn das erhöht ihre Integrationschancen. Und eine Eingliederung in das normale Gesundheitssystem, sodass an der Stelle auch die diskriminierende Sonderbehandlung, die durch dieses Asylbewerberleistungsgesetz festgelegt ist, beendet wird.
    Zagatta: Herr Burkhardt, wir reden ja jetzt über zusätzliche Kosten. Haben Sie das auch mal gegengerechnet. Alles, was Sie jetzt fordern, was würde das denn an zusätzlichen Kosten verursachen?
    Burkhardt: Das wären vielleicht nicht zusätzliche Kosten, sondern es wäre ein Perspektivwechsel. Im Moment haben wir ja die Situation, dass sehr viele Menschen finanziert werden in großen Unterkünften, dass die Isolierung Kosten produziert, und der Ansatz von uns wäre Starthilfen, damit die Menschen auf eigenen Füßen stehen. Nur dazu müsste man auch dieses Asylbewerberleistungsgesetz, was ja eine diskriminierende Sonderbehandlung ist, abschaffen.
    Zagatta: Was aber auch Vorteile hat, das sagen ja die Befürworter.
    Burkhardt: Die Vorteile dieses Gesetzes sehe ich, ehrlich gesagt, nicht. Es wird argumentiert, man hätte einen Durchbruch bei den Gesundheitskosten erzielt, es ist aber zu lesen, dass nur Länder, die dies möchten, Flüchtlingen eine gesetzliche Krankenkassenkarte geben können. Es ist eher ein abrechnungstechnischer Modus, es ist nicht der Perspektivwechsel, zu sagen, Menschen, die vor Krieg und Bürgerkriegen fliehen, bleiben dauerhaft hier, deswegen wollen wir sie von Anfang an integrieren, sondern man hat sich geeinigt auf einen einfachen Weg der Kostenerstattung.
    Zagatta: Herr Burkhardt, wegen dieser vielen Krisenherde hat sich die Zahl der Asylbewerber ja etwa verdoppelt in einem Jahr. Können die Kommunen das überhaupt so schnell bewältigen, oder sind da Einschränkungen und Nachteile irgendwie auch völlig normal?
    Burkhardt: Es ist normal, wenn in einer Situation wie in Syrien ein Land quasi auf der Flucht ist. Dann sind zuerst einmal die Nachbarländer vor einer kaum bewältigbaren Situation. Wenige kommen nach Deutschland, wir erfahren das hier als sehr viele, und es muss sich darauf eingestellt werden, dass auch in den kommenden Jahren die Flucht nach Europa in einem hohen Maße, in einem höheren Maße als bisher stattfinden wird. Deswegen wäre es ja sinnvoll gewesen, dass sich Bund, Länder, Kommunen zusammensetzen und ein Aufnahmekonzept entwickeln, das auch in die Zukunft weist. Im Moment betreibt man Flickschusterei, indem man Notversorgung organisiert, Obdachlosigkeit vermeidet - was natürlich sehr wichtig ist. Aber man hat sich bisher nicht zusammengesetzt und erreicht, dass man sagt, wir brauchen ein Integrationskonzept, was umschließt, Wohnungen, Sprachkurse, Zugriff im Arbeitsmarkt.
    Zagatta: Herr Burkhardt, Stichwort Wohnung, darf ich da mal was nachfragen?
    Burkhardt: Ja, gerne.
    Zagatta: Was mich überrascht hat, das ist ja die Tatsache oder offenbar die Tatsache, dass sich jetzt zum Beispiel in München Hunderte von Privatpersonen gemeldet haben und Flüchtlinge aufnehmen wollen und das offenbar gar nicht geht wegen der sogenannten Lagerpflicht. Ist das ein Problem in Bayern oder ist das überall so?
    Lagerpflicht für Flüchtlinge
    Burkhardt: Es gibt Hürden, vor allem in Bayern, wo ja der Zwang, in Großunterkünften zu leben, in Lagern, von der Landesregierung jahrelang als zentrales Element der Politik der Abschreckung formuliert gewesen ist, man hat aber auch in anderen Bundesländern das Problem. Es sind zum Beispiel sehr viele Menschen mit Flüchtlingsbiografie hier, auch deutsche Staatsbürger, die sagen, ich würde bei mir gerne in der Nachbarschaft meine Angehörigen aufnehmen, ich vermittle ihnen hier eine Wohnung, ich helfe ihnen bei einer Jobsuche, nur damit müssten sie umziehen können. Das ist so in Deutschland nicht möglich. Wir haben aber auch, wenn ich das aufgreifen darf, in Kommunen eine sehr große Hilfsbereitschaft, wo Bürger bereit sind, Wohnungen bereitzustellen, und die Städte auch aktiv dazu aufrufen.
    Zagatta: Wenn wir da nachfragen, die Debatte um die Flüchtlinge, die hat ja diesen Streit ausgelöst, ob die Deutschen, ob die offen und hilfsbereit sind gegenüber Flüchtlingen, was Sie ja jetzt auch irgendwo betonen, oder ob man da ... Andere behaupten ja, wir seien da oder die Deutschen seien äußerst ablehnend. Wie ist da Ihre Einschätzung?
    Burkhardt: Es gibt nicht die Deutschen pauschal. Was wir erleben - und ich beobachte dieses Feld seit mehr als 20 Jahren - ist eine nie dagewesene Hilfsbereitschaft, aber auch der Versuch, die Ankunft von Asylsuchenden zu instrumentalisieren. Wir sehen, dass gerade Parteien wie die rechtsextreme NPD oder die rechtspopulistische AfD hingehen und mobilisieren gegen Flüchtlingsunterkünfte, wenn sie errichtet werden sollen. Und das stößt dann auf Widerhall, wenn man Hals über Kopf Menschen vor vollendete Tatsachen stellt, wenn man sie nicht informiert, nicht aufklärt, nicht klarmacht, warum Menschen nach Deutschland und nach Europa kommen.
    Zagatta: Da gibt es jetzt in Dresden diese Montagsdemonstrationen, die besonders groß sind. Ist das, was Sie jetzt angesprochen haben, dass es da Widerstand gibt gegen Flüchtlinge, ist das überall ein ähnliches Problem, oder ist es im Osten Deutschlands noch stärker?
    Burkhardt: Das ist in manchen Orten stärker, aber wir sehen das vor allem da, wenn mobilisiert wird von rechts, es auch eine sehr starke Gegenbewegung gibt, die deutlich macht, Flüchtlinge sind willkommen. Und ich glaube, dass im Moment das Thema "Flüchtlinge stoßen auf Ablehnung" eher ein bisschen hochgezogen ist, auch von der öffentlichen Wahrnehmung, aufgrund dieser Demonstrationen, die von der rechten Seite organisiert werden.
    Zagatta: Der Schriftsteller und Nobelpreisträger Günter Grass, der hat ja gerade einen interessanten Vorschlag, vielleicht kann man es so nennen, gemacht, Zwangseinquartierung von Flüchtlingen, hat er da ins Gespräch gebracht. Also die Bundesbürger sollten verpflichtet werden, Flüchtlinge bei sich zu Hause aufzunehmen, wie man das da nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch gemacht hat. Was halten Sie denn davon?
    Burkhardt: Das ist an der Stelle nicht sehr realistisch, was er formuliert. Wir haben ja aber ein Element darin, was richtig ist: Es ist die größte Fluchtbewegung im Moment seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Und darauf muss sich eine Gesellschaft einstellen, aber zuerst einmal dadurch, dass Unterkünfte geschaffen werden, dass Auszüge in Wohnungen vermittelt werden. Also die Zwangsrekrutierung von privatem Wohnraum sehe ich nicht, aber es ärgert mich persönlich schon, wenn ich durch Frankfurt gehe und sehe frühere Wohnungen jüdischer Bürger, die vertrieben wurden, und es ist heute leerstehender Büroraum. Das ist schon ein Ärgernis.
    Zagatta: Günter Burkhardt war das. Er ist Geschäftsführer und Mitbegründer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Herr Burkhardt, ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Gespräch!
    Burkhardt: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.