Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Asylpolitik
Serben sind gegen EU-Sammelzentren in ihrem Land

Beim vergangenen EU-Gipfel sprachen sich einige Staatschefs dafür aus, an der EU-Außengrenze Sammelzentren für ankommende Flüchtlinge zu errichten. Gegenüber Serbien hat die EU dazu noch keine offizielle Anfrage gestellt - die Bereitschaft des Landes damit in der Migrationspolitik zu helfen, ist gering.

Von Sabine Adler | 20.08.2018
    Flüchtlinge stehen am 18.12.2017 in Sid (Serbien), nahe der Grenze zu Kroatien vor einer Mauer mit der Aufschrift "Öffnet die Grenze".
    Vor einer Wand: Seit mehrere EU-Länder ihre Grenze dichtgemacht haben, sind viele Migranten in Serbien gestrandet. (picture alliance / dpa / AP / Darko Vojinovic)
    Am alten Bahnhof von Belgrad liegt der Afghani-Park. Afghani-Park nennen ihn die Hauptstädter, weil hier nicht nur die Einheimischen ihre Hunde Gassi führen und sich die Studenten der Wirtschaftsfakultät auf den Bänken sonnen, sondern weil man hier an jeder Ecke Paschtu hört. Flüchtlinge bevölkern den Park zu jeder Tages- und Nachtzeit, hier ist Nachrichtenbörse, hier finden Schlepper ihre Kunden. Die meisten stammen aus Afghanistan, Pakistan, immer mehr kommen aus dem Iran, weil das Mullah-Regime in Teheran und Serbien den visafreien Tourismus vereinbart haben. Niemand stört sich nicht an den Dösenden auf den Wiesen, die Flüchtlinge seien ja bald wieder weg.
    In Sichtweite liegt das Erstaufnahmezentrum, wo die Handys aufgeladen werden können, es Toiletten gibt, die Angekommenen erfahren, wie es für sie weitergeht. Den meisten ist nicht klar, dass sie für Monate, ja, Jahre in Serbien festsitzen werden.
    "Hussein Jaffa, 38 Jahre alt, startete in Pakistan und kam über den Iran, die Türkei, Griechenland und Mazedonien schließlich nach Serbien. Der Zweite, mit Namen Sukedai, 23 Jahre alt, noch ohne Familie, Klempner von Beruf, gelangte über Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Belgrad. Er will in Österreich arbeiten, sein älterer Landsmann in Italien."
    Sozialdemokrat ist gegen einen schmutzigen Deal
    Die beiden Pakistaner würden als Wirtschaftsflüchtlinge vermutlich aus einem EU-Außenlager in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Dass eines dieser Sammelzentren an der Außengrenze zur Union in Serbien entsteht, ist noch nicht ausgemacht. Dragan Marsicanin von der oppositionellen Demokratischen Partei, die schon zwei Mal mit Boris Tadic den Präsidenten stellte, ist strikt dagegen:
    "Solange die Flüchtlinge hier sind, müssen wir uns um sie kümmern. Aber es ist nicht an uns, ihnen zu sagen, in welche Richtung sie Serbien verlassen sollen, über die ungarische, die kroatische oder bosnische Grenze. Was wir auf keinen Fall akzeptieren können, ist, dass wir in Serbien Lager errichten, in denen geklärt wird, welche Flüchtlinge für die EU in Frage kommen."
    Konstantin Samofalov von der sozialdemokratischen Oppositionspartei verweist auf das Zögern der Regierung:
    "Im Moment würde ich bezweifeln, dass die Regierung überhaupt eine politische Vision und Position zur Migration hat. Ihr geht es nur um einen politischen Vorteil. Deswegen dealt sie mit der EU. Brüssel sollte unserem autoritären Staatschef keinerlei Anreize bieten oder ihn für solche Zentren in Serbien belohnen. Wir befürchten, dass die EU als Gegenleistung dann vor den demokratischen Defiziten die Augen verschließen müsste in den nächsten fünf oder zehn Jahren."
    "Um diese Krise zu lösen, braucht es nicht Serbien"
    Der konservative Oppositionspolitiker Marsicanin, ein älterer Herr, ehemaliger Botschafter, ist aus ganz grundsätzlichen Erwägungen dagegen, der EU in der Migrationspolitik zu helfen.
    "Um diese Krise zu lösen, braucht es nicht Serbien, wir sind nicht wichtig. Die Krise kann nur von denen beendet werden, die daran schuld sind, also die EU und vor allem aber die USA. Sie müssen diese Probleme lösen und die Migranten bei sich unterbringen."
    Mit einer derartigen Verweigerungshaltung ist auch den in Serbien gestrandeten Flüchtlingen nicht geholfen. Seitdem Ungarn und Kroatien die Grenzen geschlossen haben und dort auch vor Gewalt gegen illegal Einreisende nicht zurückschrecken, sitzen rund 7.000 Personen in Serbien fest. Asylanträge haben kaum Aussicht auf Erfolg, nur zwölf Bewerber wurden in diesem Jahr anerkannt.
    Die Serben sind freundlich zu den Migranten, aber nur, weil sie annehmen, dass sie das Land schnell wieder verlassen, wie zu Zeiten der offenen Balkanroute, sagt Vladimir Pejic vom Umfrageinstitut Faktor 4.
    "Wenn von Sympathie und Mitleid für die Flüchtlinge die Rede ist, spielt dabei immer auch die eigene Kriegserfahrung und die Erinnerung an das NATO-Bombardement 1999 eine Rolle. Aus Serbien selbst mussten die Menschen zwar nicht fliehen, aber wir sahen uns als Opfer an und können nachvollziehen, wie sich die heutigen Flüchtlinge fühlen. Wir gehen immer noch von Serbien als Transitland aus, und weil es keine offizielle Anfrage der EU gibt, die Lager zu errichten, gibt es auch keine Antwort, nicht mal ein Nein. Doch sobald uns Brüssel um die Lager bittet, wird die Stimmung komplett umschlagen. Ich bin überzeugt davon, dass Serbien eine solche Forderung nicht akzeptieren wird."
    "Keine Bereitschaft, der EU mit Außenlagern zu helfen"
    Dem serbischen Präsidenten Aleksander Vucic wird ein Deal mit Brüssel zugetraut, sollte er aber mit dem Preis unzufrieden sein, könnte er schnell mobil machen. Die Erinnerungen an die NATO-Bombardements 1999 lassen sich auch gegen die EU instrumentalisieren, die ohnehin oft mit der NATO gleichgesetzt wird. Deren Image ist miserabel in Serbien, erklärt der Meinungsforscher Pejic.
    "Das Verhältnis zur NATO ist extrem schlecht. Das sieht man in den Medien, in den öffentlichen Diskussionen und in unseren Umfragen. Und da oft kein Unterschied gemacht wird zwischen der NATO und der EU gibt es keinerlei Bereitschaft, der EU jetzt mit den Außenlagern zu helfen.
    Auch der junge Sozialdemokrat Samofalov hält eine Instrumentalisierung der NATO jederzeit für möglich:
    "Wenn es jemand auf eine EU-feindliche Stimmung anlegt, wären die NATO-Bomben ein nützliches Mittel. Auch, um den EU-Integrationsprozess zu stoppen. Die EU schaut nicht hin, wenn unsere autoritäre Regierung die Menschenrechte verletzt. Wenn Brüssel es wichtiger findet, stattdessen hier in Serbien Flüchtlingszentren zu bauen, fragen sich die Leute, wo die demokratischen Werte der EU geblieben sind."
    Sein älterer Kollege von der Demokratischen Partei Marsicanin macht die ehemaligen Kolonialmächte verantwortlich für die Instabilität in den Krisenregionen und Deutschland sei Teil dieses Systems. Er spricht sich sogar gegen den von Brüssel Aussicht gestellten EU-Beitritt Serbiens aus, weil das den engen Kontakten zu China und Russland schaden würde.