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Asylrecht
"Wir hätten hart bleiben müssen"

Die Parteivorsitzende der Grünen, Simone Peter, ist unzufrieden mit dem Auftreten ihrer Partei bei der Abstimmung über Änderungen im Asylrecht im Bundesrat. "Ich hätte mir eine einheitliche Linie gewünscht", sagte sie im Deutschlandfunk.

Simone Peter im Gespräch mit Thielko Grieß | 20.09.2014
    Die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Simone Peter, spricht am 17.01.2014 in der Bundespressekonferenz in Berlin bei der Vorstellung eines Eckpunktepapiers für die Energiewende.
    Grünen-Chefin Simone Peter (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Die Grünen hätten mehr erreichen können, wenn sie im Bundesrat deutlich gemacht hätten, dass ihnen der von der Bundesregierung vorgelegte Kompromiss nicht ausreicht, sagte die Grünen-Vorsitzende mit Blick auf den grünen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der dem Kompromiss am Freitag im Bundesrat zugestimmt und damit für die notwendige Mehrheit gesorgt hatte. Es wäre besser gewesen, klar zu machen, das das Angebot der Bundesregierung nicht ausreicht und den Vermittlungsausschuss anzurufen. Sie appelliere, dass Mehrheitsentscheidungen bei den Grünen auch von allen mitgetragen werden.
    Mit den Änderungen im Asylgesetz habe vor allem die Union dem Druck von rechts ein Stück weit nachgegeben. Die Verschärfung des Asylrechts sei ein Versuch, Wähler vom rechten Rand wieder zurückzubekommen. Mit der beschlossenen Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien zu sicheren Herkunftsländern sei weder etwas für die Flüchtlinge noch für die Kommunen in Deutschland getan worden.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Baden-Württemberg hat zugestimmt und damit war die Sache durch: Das Asylrecht wird verändert. Der Bundesrat hat zugestimmt. Aus Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina stammende Asylsuchende haben in Deutschland künftig schlechtere Chancen auf ein Asylverfahren. Für alle anderen dagegen gibt es im Gegenzug Erleichterungen. Flüchtlinge, Asylsuchende dürfen nach einer bestimmten Zeit eine Arbeit aufnehmen, sie dürfen sich frei im Bundesgebiet bewegen und bekommen nicht mehr allein Sachleistungen, sondern Geld, mit dem sie über die Runden kommen müssen. Ein Kompromiss ist das zwischen Schwarz-Rot im Bund und den Bundesländern. Lange hat es Widerstand gegeben aus verschiedenen Landesregierungen, vor allem die Landesregierungen, an denen die Grünen beteiligt sind. Aber nun scherte dann Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident in Baden-Württemberg, aus. Und am Telefon begrüße ich jetzt die Ko-Vorsitzende der Grünen. Guten Morgen, Simone Peter!
    Simone Peter: Guten Morgen!
    Grieß: Kannten Sie Winfried Kretschmann als Umfaller?
    Peter: Wissen Sie, wir haben ja lange in der Partei darüber diskutiert, dass die Bundesregierung derzeit ein Paket schnürt, das grundsätzlich zu einer weiteren Verschärfung des Asylrechts führt und einige vermeintliche Verbesserungen vorsieht. Wir haben immer wieder klar gemacht: Es muss um erhebliche Verbesserungen für die Flüchtlinge vor Ort gehen. Wir können mit der Einstufung als sichere Herkunftsstaaten weder etwas für die Flüchtlinge noch was für die Kommunen tun. Deswegen haben ja sechs der rot-grünen Bundesländer beziehungsweise der rot-grünen und schwarz-grünen Bundesländer gestern diesem Kompromiss nicht zugestimmt. Wir haben als Bundespartei eine klare Position gefasst. Man muss aber immer wieder sagen: Die Länder entscheiden im Bundesrat selber, stufen die Situation für ihre Länder so ein und stimmen dann ab. Ich hätte mir allerdings schon eine einheitliche Linie gewünscht.
    Wir brauchen eigentlich die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes
    Grieß: Hören wir kurz, wie Winfried Kretschmann gestern Abend in den "Tagesthemen" seine Entscheidung verteidigt hat.
    Winfried Kretschmann: Wir haben sehr viel erreicht für die Flüchtlinge, sie können arbeiten, sie haben keine Residenzpflicht. Das sind sehr wichtige Entscheidungen. Das ist mir durchaus nicht leichtgefallen, der Abwägungsprozess, aber es ist ein Kompromiss, der sich sehen lassen kann und kein fauler Kompromiss.
    Grieß: Können Sie froh sein, Frau Peter, dass mit Winfried Kretschmann wenigstens einer bei Ihnen der Union Veränderungen abgekauft hat?
    Peter: Also ich persönlich glaube, dass man mehr hätte erreichen können, wenn wir hier eine klare Position im Bundesrat gezeigt hätten, dass uns dieses Angebot nicht ausreicht. Die sicheren Herkunftsstaaten können Türöffner dafür sein, dass man weitere Bevölkerungsgruppen von der allgemeinen Prüfung ausnimmt. Es ist ja so, dass die Roma eine der stärkstdiskriminierten Gruppen in Europa sind, das wird uns immer wieder bestätigt, und wir müssen alles dafür tun, dass in diesen Ländern die Diskriminierung aufhört, dass die hier auch Möglichkeiten der Unterbringung finden. Von daher halte ich dieses Instrument schon für grundsätzlich falsch. Und uns ging es darum, zu sagen: Wir brauchen eigentlich die Abschaffung des verfassungswidrigen Asylbewerberleistungsgesetzes, damit man humanitär und finanziell was machen kann, dass es eine bessere Unterbringung vor Ort gibt, dass die Menschen direkt Zugang zu Arbeit finden. Der Kompromiss sieht ja jetzt vor, dass sie erst mal 15 Monate warten müssen, um dann nach drei Jahren wieder geprüft zu werden, ob sie weiter arbeiten dürfen.
    Grieß: Also wenn Herr Kretschmann etwas härter gewesen wäre, dann hätten Sie womöglich noch mehr rausholen können?
    Peter: Also wir waren uns ja mit den anderen Bundesländern einig, dass das Angebot nicht ausreicht, dass man den Vermittlungsausschuss anrufen sollte und weitere Verbesserungen einfordern müsste, weil das Gesamtpaket der Bundesregierung jetzt vorsieht, noch weitere Verschärfungen beim Bleibe- und beim Haftrecht, beim Abschieberecht einzufordern beziehungsweise hier in den Prozess einzubringen. Deswegen hätte man jetzt hart bleiben müssen.
    Wir ringen um bestimmte Positionen
    Grieß: Ist Winfried Kretschmann eigentlich ein Kerngrüner, ein echter Grüner?
    Peter: Natürlich ist es ein echter Grüner.
    Grieß: Weil er ja doch gelegentlich anders entscheidet, als Sie es gerne hätten.
    Peter: Er ist genauso der Grüne, in den grünen Bewegungen sozialisiert. Wir haben immer über bestimmte Punkte gestritten und gerungen, allerdings waren wir uns gerade beim Asylkompromiss 93 sehr einig, dass wir hier eine klare Kante gezeigt haben gegen das, was SPD und CDU damals miteinander verdealt haben. Da haben viele Grüne den Weg zu uns gefunden, Entschuldigung, viele Menschen den Weg zu uns Grünen gefunden. Und von daher wäre es mir wichtig gewesen, jetzt hier auch eine klare grüne Position zu verdeutlichen.
    Grieß: Ich erinnere nur an die Steuerpläne zum Beispiel im Wahlkampf – die hat Winfried Kretschmann auch schon nicht richtig mitgetragen.
    Peter: Na, wir sind ja gerade auch dabei, in einer Koordinierungsgruppe das Steuerkonzept für die nächsten Jahre wieder aufzustellen. Wir ringen um bestimmte Positionen, aber natürlich ist es richtig: Wenn man mal einen Beschluss gefasst hat, dann sollte man auch dazu stehen und den auch mittragen. Von daher appelliere ich auch gerade vor dem Hintergrund gestern: Wenn es hier Mehrheitsentscheidungen gibt, dann sollte man sich überlegen, die auch mitzutragen.
    Wir haben immer wieder Verbesserungen eingefordert
    Grieß: Asylpolitik und das Asylrecht gelten ja als Kernthemen der grünen Partei. Wie wollen Sie denn in künftigen Wahlkämpfen diesen Kern künftig verkaufen?
    Peter: Na, wir haben als Partei und die sechs Bundesländer klare Positionen gefasst. Wir haben immer wieder Verbesserungen eingefordert, auch aus der Opposition heraus Erfolge erzielt. Die Länder können weiterhin über den Bundesrat Verbesserungen einfordern. Wir appellieren natürlich auch weiterhin dafür, dass zum Beispiel Dinge wie das Asylbewerberleistungsgesetz - verfassungswidrig - endlich verändert werden müssen. Dafür haben wir eine breite Zustimmung aus der Bevölkerung und aus unserer Wählergruppe hinaus. Ich glaube, dass deutlich wird, dass wir hier Verbesserungen, weitere Verbesserungen brauchen und da auch Unterstützung bekommen.
    Grieß: Haben Sie das Gefühl, Winfried Kretschmann steht schon so ein bisschen unter Druck, weil im übernächsten Jahr gewählt wird in Baden-Württemberg?
    Peter: Sehen Sie, ich habe jetzt durchaus dieses Angebot der Bundesregierung auch so verstanden, dass man dem Druck, der von rechts, vonseiten der Wahlerfolge durch die AfD entstanden ist, ein Stück weit nachgeben will. Ich glaube, diese Debatte müssen wir intensiv führen. Es kann nicht sein, dass wir im Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik bestimmte Dinge aufweichen, um diesen rechten Tendenzen entgegenzustehen. Diese Debatte führen wir auch innerhalb der Partei. Wir brauchen ganz klare Signale, zu sagen: Wir wollen Verbesserungen, wir brauchen Akzeptanz vor Ort und dürfen nicht denjenigen, die hier besonders scharf vorgehen - und diese Debatte wird ja gerade in Baden-Württemberg auch sehr heftig geführt -, nachgeben.
    Scharfe Debatte in einigen Bundesländern
    Grieß: Aber das habe ich noch nicht so ganz verstanden, Frau Peter, Entschuldigung: Warum muss Sie der Druck von rechts, Sie meinen die AfD, denn kümmern? Ich habe mir die Wähleranalysen angeschaut nach den Landtagswahlen: Die Grünen haben verhältnismäßig wenige Wähler verloren an die AfD. Das trifft eher die anderen Parteien.
    Peter: Genau. Deswegen habe ich auch eben angefangen damit, dass die Bundesregierung, gerade die Union hier möglicherweise den Druck erhöht, Vorschläge unterbreitet, die das Asylrecht verschärfen, um Wählerinnen, Wähler vom rechten Rand wieder zu bekommen. Dem dürfen wir nicht nachgeben. Und diese Debatte wird in einigen Bundesländern besonders scharf geführt, auch vor den Wahlkämpfen. Deswegen ist und bleibt der Appell: Wir müssen unsere Linie durchhalten und die Interessen der Menschen, der Flüchtlinge vertreten und nicht die des rechten Randes.
    Grieß: Und in Baden-Württemberg gelten aber andere Bedingungen?
    Peter: In Baden-Württemberg gelten keine anderen Bedingungen. Die Landesregierung hat dort einige wichtige Schritte in Richtung Schutz der Flüchtlinge unternommen in den letzten Monaten. Wir haben immer wieder zusammen deutlich gemacht, dass wir die Verbesserung der Flüchtlinge brauchen, dass wir eine bessere Unterstützung der Kommunen vor Ort brauchen. Winfried Kretschmann hat gestern für sich entschieden, dass der Kompromiss ihm im Land hilft, und wir werden weiterhin zusammen darüber entscheiden, wie wir Verbesserungen für die Flüchtlinge hinbekommen in den nächsten Monaten.
    Grieß: Das nicht ganz leichte Verhältnis zwischen den baden-württembergischen Grünen mit Winfried Kretschmann an der Spitze und den bundesdeutschen Grünen mit Simone Peter unter anderem als der Spitze – das war Thema unseres Gespräches. Frau Peter, herzlichen Dank für die Stellungnahme heute Morgen im Deutschlandfunk!
    Peter: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.