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Asylverfahren
"Kosovo ist kein Krisenland"

Die Menschen, die den Kosovo verlassen, haben laut der bayerischen Europaministerin Beate Merk in Deutschland "keine Chance" auf Asylrecht. Es werde auch nicht eine "Visa-Liberalisierung durch einen Massen-Exodus" geben, sagte die CSU-Politikerin im Deutschlandfunk.

Beate Merk im Gespräch mit Thielko Grieß | 14.02.2015
    Bei ihrem Besuch des Kosovo habe sie Probleme erlebt, aber auch eine engagierte Regierung. Diese wolle das Land an Europa heranführen, sagte Merk im Deutschlandfunk. Politiker seien wegen der aktuellen Auswanderungswelle verzweifelt. Diese versuchten die Menschen darüber zu informieren, dass sie in Europa kein Asyl erhalten. Und für Deutschland bestätigte die CSU-Politikerin das: Asyl sei nicht dafür da, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten eines Landes zu beheben, sondern für Menschen, "die um Leib um Leben fürchten". Und der Kosovo sei "kein Krisenland", so Merk.
    Deshalb müsse es beim Asylverfahren darum gehen, "schnell zu entscheiden und schnell zurückzuführen". Das sei auch der Wunsch der kosovarischen Regierung. Das Land müsse seine Angelegenheiten selbst anpacken und den Menschen signalisieren: "Bewegt euch in Richtung Europa – in eurem eigenen Land."

    Das Interview in voller Länge:
    Am Telefon begrüße ich jetzt Beate Merk, die bayerische Europaministerin. Guten Morgen, Frau Merk!
    Beate Merk: Guten Morgen!
    Grieß: Sie sind gestern von einer etwa 24-stündigen Reise zurückgekehrt, die Sie ins Kosovo geführt hat. Sie haben das Land besucht, sich Eindrücke verschafft. Sagen Sie uns, was treibt die Menschen zu Tausenden aus dem Kosovo heraus?
    Merk: Ich kann das bestätigen, was ich jetzt gerade von Ihrem Mitarbeiter gehört habe, muss sogar sagen, manches ist immer noch so, dass zum Beispiel die Energieversorgung immer noch nicht fit ist, der Strom fällt immer wieder aus. Die schulische Versorgung ist schlecht, die Kinder gehen teilweise in Schichten in die Schulen, und vieles andere mehr. Auf der anderen Seite ist eine neue Regierung da, eine Regierung, die vor einer ganzen Menge Baustellen steht, die ihnen die Vorgänger hinterlassen haben, und die mit sehr, sehr viel Engagement herangeht, Kosovo in Richtung Europa bringen möchte und jetzt, mit diesem Massenauswandern der eigenen Leute ein Riesenproblem hat. Man merkt, dass die Straßen leer sind, man merkt, dass auch eine gewisse Verzweiflung ist in den Ortschaften. Ich hab mit einem Bürgermeister gesprochen, der hat gesagt, er fühlt sich verletzt, weil seine Mitbürgerinnen und Mitbürger in diesen Massen die Stadt verlassen. Und ich denke, das ist im Moment auch so ein bisschen die Situation, wie man sie sich vorstellen muss. Eine Regierung, die massiv um Information der Bevölkerung ringt und diese Information natürlich selber auch gibt, um ihnen zu sagen, wenn ihr nach Europa geht in der Hoffnung, Asyl zu bekommen, dann seid ihr auf dem falschen Weg, ihr werdet das nicht kriegen.
    Die Leute verkaufen alles, was sie haben
    Grieß: Und meinen Sie denn, Frau Merk, dass, wenn Sie diese Kunde verbreiten wollen im Kosovo, dass es die jungen Mittelschichtfamilien und Männer, die jetzt eben kommen, überzeugen wird?
    Merk: Nun, ich maße mir nicht an, dass ich hier jetzt quasi die große Überzeugung mitbringe. Aber auf der anderen Seite ist es noch mal was anderes, wenn jemand von außen kommt und aus seiner eigenen Heimat berichtet, wie dort die Regeln sind, wie dort das Verhalten ist, und dass wir ganz klar Asylverfahren jetzt schnell durchführen, vor allen Dingen, dass Asylverfahren keine Chance haben und dass dann alle, die nach Deutschland reisen, zurückgeschickt werden. Und dazu muss man natürlich wissen, dass die, um erst mal dort hin zu kommen, sehr viel Geld aufwenden müssen. Denn inzwischen kosten die Tickets sehr viel, zwischen 3.000 und 5.000 Euro, was für einen Kosovaren eine Menge Geld ist. Das heißt, die Leute verkaufen alles, was sie haben. Sie verkaufen ihre Elektrogeräte, sie geben ihre Wohnungen auf. Da ist dann nichts mehr da. Das Geld wird Schleusern, wird Schleppern in die Hand gegeben, die dann diese Menschen per Bus aus dem Land bringen, und wenn sie von uns zurückgeführt werden, stehen sie vor einem Nichts. Da ist nichts mehr da, auf was sie aufbauen können.
    Bewegt euch nach Europa, aber auch in eurem eigenen Land
    Grieß: Womit Sie natürlich ein weiteres Problem ansprechen: Selbst, wenn diese Menschen wieder zurückgebracht werden in den Kosovo, der Drang nach Zentraleuropa, unter anderem nach Deutschland zu kommen, wird ja wohl bleiben. Braucht Deutschland andere Regeln für die geregelte Zuwanderung auch von Kosovaren?
    Merk: Ich denke, dass es im Moment eine Angelegenheit ist, die vor allen Dingen erst einmal im Kosovo selbst auf die Reihe gebracht werden muss. Das heißt, im Moment ist es so, dass man aus dem Kosovo ja nur mit einem Visum herauskommt. Die Kosovaren haben die Möglichkeit, Richtung Osten zu reisen, sie können nicht Richtung Westen reisen. Und das ist für die Jugend besonders schwierig, weil die Menschen dort sehr europafreundlich sind. Also muss man doch dort anpacken und muss sagen, bewegt euch nach Europa, aber auch in eurem eigenen Land. Und dahin arbeiten, dass die Liberalisierung der Visapflicht kommt. Ich glaube, wenn man weiß, dass man wieder ausreisen kann, dass das freiwillig ist, dann kommt man auch wieder zurück, dann sieht man das wirklich als eine zeitweilige Distanz von der Heimat, und kommt dann in die Heimat wieder zurück. Das ist schon mal ein ganz anderer Weg. Und diese Visa-Liberalisierung, die bekommt man ganz bestimmt nicht dadurch hin, dass ein Massenexodus stattfindet.
    Asyl ist nicht dazu da, wirtschaftliche Schwierigkeiten zu beheben
    Grieß: Die bayerische Staatsregierung hat das Ziel verfolgt, den Kosovo zu einem sicheren Herkunftsland zu erklären. Gestern in der Konferenz, der Telefonkonferenz, muss man sagen, der zuständigen Minister der Bundesländer gab es dafür keine Mehrheit. Bleibt Bayern bei diesem Ziel?
    Merk: Ich bin der Meinung, ja, denn das ist ein wichtiges Signal. Man muss auch sehr deutlich unterscheiden zwischen den Krisenländern, Syrien vor allem im Moment, und sicheren Herkunftsländern, und muss ganz deutlich machen, dass Asyl nicht dazu da ist, wirtschaftliche Schwierigkeiten eines Landes zu beheben, sondern dass das Asyl dafür da ist, dass Menschen, die wirklich in Gefahr um Leib und Leben ihr Land verlassen müssen, Zuflucht finden.
    Grieß: Ihr Unionskollege im mittelbaren Sinn, Thomas de Maizière, der Bundesinnenminister im Bund, hat gesagt, er würde eine Länderinitiative unterstützen, so es die denn gäbe. Setzt sich der Freistaat Bayern an die Spitze einer solchen Initiative?
    Merk: Nun kann ich nicht für alle meine Kollegen sprechen, aber wir haben das bisher so beschlossen als Staatsregierung, und es gibt keinen Grund, weshalb wir davon jetzt abweichen sollten. Ich meine, es ist ein ganz wichtiges Signal, um klar zu machen, dieses Land ist inzwischen kein Krisenland mehr, dass ein Asyl, ein Asylrecht quasi trägt, sondern es ist ein Land, in dem sicherlich noch eine ganze Menge getan werden muss, aber in dem man auf eine andere Art und Weise helfen muss.
    Grieß: Es gibt von den Asylanträgen nur eine sehr geringe Zahl, die tatsächlich bewilligt werden, ein Prozent. Aber immerhin, ein Prozent der -
    Merk: Nicht mal, nicht mal, man sagt im Moment 0,3, man sagt -
    Grieß: Ja, genau. Richtig. Bevor wir über die Kommazahlen streiten, bleiben wir dabei, dass es wenige Fälle sind. Aber diese wenigen Menschen werden natürlich ihre Einschätzung bestreiten, dass der Kosovo ein sicheres Herkunftsland sei.
    Merk: Aber diese Menschen werden nicht wegen einer Verfolgung ihr Asylrecht bekommen, sondern aus humanitären Gründen, das muss man, glaube ich, auch immer noch dazufügen. Aus humanitären Gründen, das bedeutet -
    Grieß: Also etwa die Sinti und Roma.
    Merk: - sie sind krank, zum Beispiel, sie sind nicht mehr in der Lage, zurückgeführt zu werden, weil sie krank sind.
    Schnell entscheiden, aber dann auch sehr schnell zurückführen
    Grieß: Und das betrifft zum Beispiel - ich denke eben zum Beispiel an die Minderheit der Sinti und Roma.
    Merk: Das kann ich so jetzt nicht bestätigen. Man hat mir ganz klar gesagt, dass es sich um Fälle handelt, in denen es den Menschen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zumutbar ist, in die Heimat zurückgeführt zu werden, weil sie Behandlung brauchen.
    Grieß: Reicht es aus, das, was die Bundesländer gestern beschlossen haben, nämlich unter anderem, die Behörden aufzustocken, um zumindest in manchen Bundesländern - Ihres gehört dazu - die Bearbeitung der Asylanträge zu beschleunigen auf 14 Tage?
    Merk: Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt. Wir machen das schon bei den Herkunftsländern, die als sicher, also offiziell als sicher gelten. Und ich glaube, wenn sehr schnell gehandelt wird, dass dann das Thema Asyl auch für die Menschen, die hierher kommen, nicht mehr im Vordergrund stehen kann. Dass sie wissen, mit einem Asylrecht habe ich nicht zu rechnen. So was spricht sich, das muss man einfach auch sehen, sehr schnell herum, auch über die sozialen Netzwerke spricht sich das sehr schnell herum, und das ist das Allerwichtigste. Schnell entscheiden, aber dann auch sehr schnell zurückführen. Das muss Hand in Hand gehen, es muss hier sehr konsequent gehandelt werden. Und ich muss dazu sagen, dass ist auch der Wunsch der kosovarischen Regierung, dass wir so handeln.
    Grieß: Ganz kurze Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort. Haben Sie sich schon überlegt, wie Sie den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann von diesem Vorhaben überzeugen?
    Merk: Nein, das habe ich nicht. Ich meine, dass er das eigentlich sein müsste, überzeugt, denn auch in seinem Land muss er mit diesen vielen Asylanträgen kämpfen. Und ich glaube, das Thema sichere Herkunftsländer, das darf für ihn auch kein Grund sein, sonst müsste er sich vielleicht auch den Kosovo mal anschauen.
    Grieß: Man wird sehen, ob er da hinreist. Sie waren schon da. Danke schön, Beate Merk, die bayerische Europaministerin heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Schönes Wochenende!
    Merk: Das wünsche ich Ihnen auch!
    Grieß: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.