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Athen verscherbelt sein Tafelsilber

Ob Eisenbahn, Elektrizitätswerk oder gleich ganze Inseln: Griechenlands Regierung sucht zu privatisieren, was zu privatisieren geht. Elf Milliarden Euro soll das bringen. Angesichts 300 Milliarden Euro Schulden ein Tropfen auf dem heißen Stein - und nichts, was den Bürgern gefällt.

Von Thomas Bormann | 20.11.2012
    Athen Hauptbahnhof. Der Vorstadtzug nach Piräus fährt ein; die Seitenwände der Waggons sind mit bunten Grafitti übersät, aber die Bahnkunden stört das nicht, Hauptsache, der Zug fährt.

    "Es ist okay so, aber die Bahn sollte öfter fahren. Wir
    wünschen uns, dass mehr Züge nach Piräus gehen."

    Die Regierung möchte die griechische Eisenbahn verkaufen - an einen privaten Investor. So könnten 200 Millionen Euro in die leere Staatskasse fließen, rechnen Optimisten. Die Bahnkunden aber fürchten:

    "Vor zwei, drei Jahren sind die Fahrkarten teurer geworden.
    Wenn's privatisiert wird, werden die wahrscheinlich noch viel teurer."

    Nontas Theodoropoulos ist ein stämmiger Mann Mitte 50. Seit 30 Jahren arbeitet er als Lokführer. Und genau wie seine Passagiere, die Bahnkunden, hält auch Lokführer Theodoropoulos gar nichts von der Idee, die Bahn zu privatisieren. Privatisierung – das ist für ihn nur ein anderes Wort für
    Massenentlassungen:

    "Persönlich würde das für mich bedeuten: Ich weiß nicht, ob ich dann überhaupt noch Arbeit haben werde - und wenn ja, werden sie mir den Lohn noch weiter kürzen?"

    … sagt er. Die Eisenbahner-Gewerkschaft steht voll hinter Nontas Theodoropoulos und den anderen Lokführern. Sie alle wollen gegen die geplante Privatisierung kämpfen – mit Streiks und Protesten.

    Ähnlich haben auch schon die Beschäftigten der Elektrizitätswerke gedroht:
    Sollte die Regierung all die Werke an private Investoren verkaufen, wollen die Beschäftigten das Stromnetz in ganz Griechenland lahmlegen.

    Ministerpräsident Samaras aber will jetzt ernst machen mit der
    Privatisierung: Nicht nur die Eisenbahn und die Elektrizitätswerke sollen verkauft werden, sondern auch Regionalflughäfen und Gaswerke, kleinere Häfen auf Touristen-Inseln wie Mykonos oder Zakynthos oder gleich ganze Inseln – vieles steht in Griechenland zum Verkauf. Samaras will mit all den Privatisierungen elf Milliarden Euro einnehmen. Angesichts von Staatsschulden in Höhe von gut 300 Milliarden Euro ist das nur sehr wenig Geld, aber Antonis Samaras betont:

    "Wir legen einen Schwerpunkt auf Privatisierungen. Und wenn dafür neue Gesetze nötig sind, werden wir die beschließen. Wir müssen Privatisierungen beschleunigen, denn die bringen Investitionen, mit anderen Worten: Arbeitsplätze und Wachstum."

    Oppositionschef Alexis Tsipras vom Bündnis der Radikalen Linken glaubt nicht, dass diese Rechnung aufgeht. Nein, er ruft zum Widerstand, zum Kampf gegen Privatisierungen auf:

    "Privatisierungen werden unsere Wirtschaft nicht retten, sondern sie ausplündern."

    Seine Partei werde bald an die Macht kommen, sagt Tsipras und verweist auf aktuelle Wählerumfragen, die sein Bündnis tatsächlich als stärkste Partei sehen. So droht Tsipras: Wer sich jetzt für billiges Geld Staatseigentum wegschnappe, könne bald all sein Geld verlieren und strafrechtlich belangt werden.

    Klar, dass solche Töne Investoren abschrecken. Wer sich trotzdem jetzt bei der Regierung in Athen meldet und sagt: Ich hätte Interesse, Ihre Eisenbahn zu kaufen, der wird versuchen, den Preis noch weiter zu drücken.

    Und selbst wenn die griechische Regierung mit dem möglichen Verkauf der Eisenbahn tatsächlich 200 Millionen Euro einnehmen würde – den Schuldenberg könnte die Regierung damit nicht abtragen, nein, sie könnte mit diesen 200 Millionen Euro gerade mal die Zinsen bezahlen, die in nur einer Woche für diese Schulden anfallen.