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Athletenvereinigung Athletics Association
"Athleten müssen eine Stimme haben"

US-Dreispringer Christian Taylor hatte ihre Gründung bereits im November 2019 angekündigt, nun nahm die "Athletics Association" ihre Arbeit auf. Die Vereinigung wolle sich unter anderem für das Recht von Athletinnen und Athleten einsetzen, "friedlich zu protestieren", sagte Taylor im Dlf.

Christian Taylor im Gespräch mit Raphael Späth | 19.07.2020
US-Leichtathlet Christian Taylor bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2017 in London.
US-Leichtathlet Christian Taylor bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2017 in London. (picture alliance / Anton Denisov / Sputnik / dpa)
Beim internationalen Leichtathletik-Verband "World Athletics" bahnte sich im November 2019 eine Krise an: Der Verband hatte festgelegt, dass im olympischen Jahr 2020 die Diamond League Meetings, in der Leichtathletik die sportlich bedeutendsten Wettbewerbe nach Europa- und Weltmeisterschaften, reformiert werden sollten: Acht Sportarten wurden gestrichen – darunter die 3000 Meter Hindernis und der Dreisprung. Viele Athlet/innen protestierten damals dagegen, am lautesten der US-Amerikaner Christian Taylor.
Seit 2011 dominiert er die Dreisprung-Szene, wurde vier Mal Weltmeister und zwei mal Olympiasieger und kündigte im November an, eine unabhängige Athleten-Vereinigung zu gründen – damit Athlet/innen in Zukunft mehr Mitspracherecht haben.
Diese Vereinigung wurde in der vergangenen Woche offiziell vorgestellt, mit zahlreichen Olympiasiegern und Weltmeistern im Führungsgremium und Christian Taylor als Präsident.
Raphael Späth: Herr Taylor, wieso nimmt die Athletenvereinigung "Athletics Association" erst jetzt ihre Arbeit auf?
Christian Taylor: Die Ankündigung im November war, dass ich Athlet/innen zusammenbringen wollte, aber schlussendlich ist das kein einfacher Verein, sondern eine Vereinigung, die nachhaltig Veränderung anstreben will. Und deshalb hat es auch so lange gedauert, weil wir mit anderen Athleten-Organisationen zusammenarbeiten mussten, die bereits existieren, um einen Weg zu finden, durch den wir nachhaltig sein können, aber gleichzeitig auch sicherstellen, dass unsere Stimme gehört wird. Im November gab es anfangs viel Aufmerksamkeit für die Idee, aber durch den Ausbruch der Pandemie haben sich auch die Interessen verschoben. Wir wollten sicherstellen, dass diese Athleten-Vereinigung auf einem soliden Fundament steht, so dass es auch in schwierigen Situationen Menschen geben wird, die weiter für die Rechte von Athlet/innen kämpfen werden.
Späth: Einer der Hauptgründe für die Gründung dieser Vereinigung war die Entscheidung von World Athletics, bei zukünftigen Diamond League Meetings mehrere Disziplinen aus dem Programm zu streichen, eine davon auch ihre, der Dreisprung. Die Begründung: Man wollte ein kurzweiligeres, spektakuläreres Programm anbieten, das in einen Abend und in 90 Minuten gepackt werden soll. Gibt es Ihrer Meinung nach eine andere Art, dieses Ziel zu erreichen, ohne dabei Disziplinen aus dem Programm streichen zu müssen?
Taylor: Was ich World Athletics direkt nach dieser Ankündigung gefragt habe, worauf diese Entscheidung basiert. Warum muss es ein 90-Minuten-Fenster sein? Sie haben über Fußball und Basketball und deren erfolgreiche Systeme gesprochen, aber ich bin der Meinung: Wir sind kein rechteckiger oder kreisförmiger Sport – wir sind ein Oval. Und wir müssen das auch nutzen und uns auf die Einzigartigkeit unserer Sportart fokussieren und nicht Zeit und Energie damit verschwenden, uns anzupassen, sondern unsere Besonderheiten hervorzuheben. Und Disziplinen aus dem Programm zu streichen, ist da meiner Meinung nach nicht der richtige Weg. Das erscheint mir der einfache Weg zu sein, anstatt wirklich zu recherchieren und Lösungen zu finden, die im Sinne der Athlet/innen sind.
Späth: Und eines der Hauptziele Ihrer Vereinigung ist es ja, dafür zu sorgen, dass Athlet/innen in Zukunft bei genau diesen Entscheidungsprozessen zukünftig mehr Stimmrecht haben. Wie genau wollen Sie dieses Ziel erreichen oder in die Realität umsetzen? Momentan haben Sie noch keine Macht, wenn es um diese Entscheidungen geht.
Meinungen der Athleten und Athletinnen wertschätzen
Taylor: Ja das stimmt, aber World Athletics hat erst vor kurzem einen Vier-Jahres-Plan veröffentlicht, in dem erklärt wird, wie sie den Sport weiterentwickeln wollen, wie das Geld verteilt wird und all diese Details. Aber eine Sache, die besondere Erwähnung fand, war die Tatsache, dass Athlet/innen angeblich die größten Stakeholder oder der Hauptfokus von World Athletics sind. Also ist meine Antwort darauf: Wenn der Verband tatsächlich dafür steht und daran glaubt, dann muss er diese Versprechen auch in Taten umsetzen – nicht nur Pressemitteilungen veröffentlichen, sondern auch den Athlet/innen zeigen, dass der Verband an der Meinung der Athlet/innen interessiert ist und wertschätzt. Das wäre ein Beispiel für mich, um den Athlet/innen zeigen zu können, dass der Verband keine leeren Versprechungen macht, sondern diese auch in die Tat umsetzen möchte. Athlet/innen müssen eine Stimme und Einfluss haben, wenn es um die Zukunft ihres Sports geht.
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Späth: Hatten Sie schon intensivere Konversationen mit Sebastian Coe, dem Präsidenten von World Athletics?
Taylor: Ja, ich war im November, nachdem die erste Ankündigung veröffentlich wurde, bei der Jahreshauptversammlung von World Athletics in Monaco und konnte dort mit ihm, Stabhochspringer Renault Lavillenie und John Richards über unsere Ziele und Pläne sprechen und wie sich diese umsetzen lassen. Aber gleichzeitig war das natürlich auch zu einem sehr frühen Zeitpunkt und ich hoffe dass wir jetzt, nachdem wir die Vereinigung auch offiziell gestartet (launched) haben, in einen weiteren Dialog treten werden. Ich will auch gerne noch einmal betonen, dass ich hoffe, dass wir in Zukunft auch noch intensiver Dialog mit dem Verband führen werden. Das ist keine einmalige Sache, wir wollen in die Strukturen integriert werden. Es muss auch nicht unbedingt mit mir gesprochen werden, so lange es jemand aus der Vereinigung ist, der Gespräche führt, denn nur dann können wir Informationen in Zukunft direkt an die Athlet/innen weiterleiten. Und genau das ist es, was wir brauchen: Wir benötigen mehr Austausch zwischen Athlet/innen und Verband, nicht nur Informationen über getroffene Entscheidungen, sondern Athlet/innen eine Möglichkeit geben, in den Entscheidungsprozess involviert zu sein.
Späth: Sie sind auch ein großer Befürworter für sauberen Sport. Allerdings ist es so, dass die Leichtathletik eine der olympischen Sportarten ist, die am häufigsten mit Dopingfällen zu tun hat. Allein in den letzten Monaten gab es einige prominente Fälle, allein zwei im amerikanischen Team: Sprinterin Deajah Stevens wurde aufgrund von drei verpassten Doping-Tests für 18 Monate gesperrt, auch 100-Meter Weltmeister Christian Coleman droht eine ähnliche Sperre, nachdem auch er drei Mal innerhalb eines Jahres nicht anzutreffen war. Befürchten Sie, dass solche Fälle der Glaubwürdigkeit der Athlet/innen schaden werden?
Taylor: Ja, diese Fälle werfen auf jeden Fall einen dunklen Schatten über unseren Sport und deshalb bin ich auch so frustriert darüber: Wir gehen zwei Schritte nach vorne und dann wieder zehn zurück. Und leider sind wir selbst dafür verantwortlich. Und gerade weil solche Verstöße ganz leicht vermieden werden können, ist es sehr frustrierend für mich. Aber wie Sie schon erwähnt haben: Ich stehe für sauberen Sport und das ist etwas, worauf wir auch als Vereinigung von Anfang den Fokus legen wollen: Wenn es Unklarheiten von Athlet/innenseite gibt, egal um was es geht, wollen wir diese so schnell wie möglich eliminieren und das nicht mehr als Ausrede zählen zu lassen. Wir wollen Athlet/innen wieder in ein besseres Licht rücken, um schlussendlich auch unseren Sport wieder in ein besseres Licht zu rücken.
"Regel 50 muss modifiziert werden"
Späth: In einem Podcast Anfang Juli haben Sie betont, dass "eingeschritten werden muss, wenn es irgendeine Art von Ausschluss von Athlet/innen gibt". Ein solcher Ausschluss steht jetzt kurz bevor: Womöglich dürfen bald keine russischen Athlet/innen mehr an internationalen Wettbewerben teilnehmen, nachdem der russische Verband die Millionen-Strafe für frühere Doping-Vergehen nicht fristgerecht gezahlt hatte – auch nicht mehr unter neutraler Flagge, wie es in den letzten Jahren zumindest noch möglich war. Wird sich Ihre Vereinigung auch für die Rechte dieser Athlet/innen einsetzen – Athlet/innen aus autokratischen Staaten, die ihre Meinung und ihre Rechte nicht in dem Maße einfordern können, wie das Athlet/innen aus den USA oder aus Europa können?
Taylor: Das ist natürlich ein sehr sensibles Thema, das in der Grauzone liegt. Das ist ein Fall, den wir als Vereinigung momentan diskutieren. Weil man beide Seiten der Medaille sehen kann, gerade wenn es um Fairness geht. Wenn ein neutraler Athlet aus Russland sich beweisen konnte und unabhängig vom russischen Verband agiert, sollte er dann trotzdem mit dem Rest der Herde bestraft werden? Das müssen wir uns genauer anschauen. Und wir wollen Athlet/innen keinesfalls ausschließen, sondern allen Athlet/innen eine Stimme geben. Aber gleichzeitig müssen wir auch immer wieder betonen, dass wir versuchen, im Sinne des Sports zu agieren und uns von jedem Athleten und jeder Athletin, die mit solchen Doping-Problemen in Verbindung gebracht werden, distanzieren, weil wir wissen, dass uns das nur zurückhalten wird, wenn wir versuchen, den Sport zu beschützen, den wir alle so lieben. Deshalb müssen wir uns in nächster Zeit intensiv damit beschäftigen und diese Problematik auch von Anfang an thematisieren."
Späth: Dann lassen Sie uns auch noch über ein anderes Thema sprechen, die Black-Lives-Matter-Bewegung, die in letzter Zeit in den weltweiten Fokus gerückt ist. Vor allem in den USA wurde diese Bewegung zum Politikum gemacht und viele Athleten nutzen ihre Plattform, um sich mit dieser Bewegung zu solidarisieren und offen auf dem Spielfeld gegen Rassismus zu demonstrieren – etwa durch den Kniefall bei der Nationalhymne. Und auch ihre erste Forderung als Vereinigung in dieser Woche war die Überarbeitung der Regel 50 der Olympischen Charta, die momentan noch Proteste oder Demonstrationen jeglicher Art während Olympischen Spielen verbietet. IOC-Präsident Thomas Bach hat schon signalisiert, für eine solche Regeländerung offen zu sein, aber nur, wenn die IOC Athletenkommission einen Vorschlag für eine Regeländerung macht. Hatten Sie denn schon Kontakt mit dieser Athletenkommission? Momentan sitzen ja vier Leichtathlet/innen in diesem Gremium.
Taylor: Ja, wie Sie schon gesagt haben, ist das eines unserer Hauptanliegen. Mit dem Launch wollten wir auch direkt ein offizielles Statement veröffentlichen, weil wir glauben, dass die Regel 50 unsere Menschenrechte auf die Probe stellt und Athlet/innen das Recht dazu haben, friedlich zu protestieren. Wir sind auch sehr daran interessiert, in diesen Kampf mit einzusteigen. Aber man muss auch sagen, dass tatsächliche Konversationen mit der IOC-Athletenkommission immer wieder nach hinten verschoben wurden. Aber wir bleiben natürlich an der Sache dran und hoffen, dass wir diese Konversationen in naher Zukunft mit der Athletenkommission führen können und diese dann dem IOC einen Regeländerungsvorschlag präsentieren kann. Und dann hoffen wir, dass Thomas Bach auch die richtige Entscheidung trifft und Regel 50 überarbeitet. Wir wollen nicht, dass Regel 50 komplett abgeschafft wird, weil wir Athlet/innen auch nicht die Möglichkeit bieten wollen, diese Regel zu missbrauchen und die Situation auszunutzen. Aber Fakt ist: Diese Regel muss modifiziert werden.
Jadon Sancho, Fußballspieler bei Borussia Dortmund.
Protestverbot bei Olympia - "Ich glaube, es geht um wirtschaftliche Interessen"
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Späth: Sind Sie optimistisch, dass Regel 50 noch vor den Olympischen Spielen in Tokio angepasst wird?
Taylor: Auf jeden Fall. In diesen Zeiten, in denen wir uns momentan befinden, muss einfach ein Wandel her – und es wird ihn auch geben. Ich bin sehr optimistisch, dass Regel 50 bald geändert wird, weil der öffentliche Druck einfach zu groß wird. Und dann muss das IOC eine Entscheidung treffen.
Späth: Jetzt sprechen nicht alle Athlet/innen Missstände so offen an, wie sie. Viele befürchten Konsequenzen, wenn sie sich zu kritisch äußern, z.B. den Verlust von Sponsoren, weil sie nicht die Plattform und Aufmerksamkeit haben wie Sie als Doppel-Olympiasieger. Würden Sie trotzdem solche Athlet/innen dazu ermutigen, sich öffentlich gegen soziale Missstände auszusprechen?
"Wir wurden von der deutschen Bewegung inspiriert"
Taylor: Ich würde es mir auf jeden Fall wünschen, weil eines der Mottos unserer Vereinigung ist: Deine Stimme hat Gewicht, unabhängig davon, wie du dich äußerst. Nicht alle Athlet/innen nutzen Social Media, nicht jeder fühlt sich wohl damit. Uns ist auch bewusst, dass es Athlet/innen gibt, die Angst haben, ihre Sponsoren oder ihr Image zu verlieren, aber trotzdem eine Meinung über gewisse Themen haben. Deshalb wird es die Möglichkeit geben, über Petitionen oder einstimmige Unterstützung für gewisse Stellungnahmen seine Stimme zu äußern, ohne dabei seinen Namen und Ruf aufs Spiel setzen zu müssen. Wir berücksichtigen auch die Umstände, in denen wir uns momentan befinden, und die Risiken, die damit einhergehen. Aber schlussendlich gibt es genug Athlet/innen, die sich leidenschaftlich gegen Missstände aussprechen, und wir hoffen, dass wir als Vereinigung diese zwei Seiten zusammenbringen und repräsentieren können.
Späth: Würden Sie sagen, dass ein Athlet heutzutage fast schon dazu verpflichtet ist, seine Plattform zu nutzen und sich gegen Missstände auszusprechen?
Taylor: Ich würde nicht verpflichtet sagen. Egal ob du es als Pflicht oder Verantwortung ansiehst: Ich glaube, dass wir durch Social Media heutzutage die Möglichkeit dazu haben, unsere Meinung deutlich zu äußern, aber das muss nicht heißen, dass sie auch genutzt werden muss. Deine Stimme kann auch innerhalb deiner örtlichen Gemeinschaft einen großen Einfluss haben, ohne dass alles auf Social Media mit der Welt geteilt wird. Ich glaube, jeder Athlet und jede Athletin hat das Recht darauf, seine oder ihre Stimme so einzusetzen, wie es ihm lieb ist.
Späth: Und viele Athlet/innen nutzen auch schon die Möglichkeit, ihre Stimme zu erheben. Vor allem hier in Deutschland gibt es schon mehrere Athletenzusammenschlüsse, das bedeutendste Beispiel wohl Athleten Deutschland e.V., wo Athlet/innen aus allen Sportarten versuchen, als Einheit das Wohl der Athlet/innen zu beschützen. Sie sind jetzt seit fast zehn Jahren in der Weltspitze dabei. Haben Sie das Gefühl, dass momentan eine nachhaltige Bewegung für die Rechte der Athlet/innen entsteht?"
Taylor: Auf jeden Fall, auch wir wurden sehr von der deutschen Bewegung inspiriert, die bewirkt hat, dass Regel 40 der Olympischen Charta zumindest in Deutschland gelockert wird und Athlet/innen somit in Sponsorenfragen mehr Freiheiten haben. Wir werden durch diese ganzen Bewegungen inspiriert, und ich glaube, der Trend geht ganz klar in die Richtung, dass Athlet/innen langsam realisieren, wie viel Macht sie tatsächlich besitzen. Und das ist auch eines unserer Hauptziele: Wir wollen das derzeitige Macht-Verhältnis korrigieren und wir versuchen Athlet/innen klarzumachen, dass ihre Stimme zählt. Jede Stimme, jede Person, die aufsteht und ihre Meinung äußert, kann einen Unterschied machen.
Hören Sie hier das Interview im englischsprachigen Original .
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