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Atomausstieg
Karlsruhe urteilt über Entschädigung der AKW-Betreiber

Nach der Fukushima-Katastrophe vollzog die Bundesregierung eine Wende beim Atomausstieg. Die Atomkraftwerksbetreiber fühlen sich enteignet und verlangen Entschädigung. Heute entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

Von Gudula Geuther | 06.12.2016
    Wasserdampf steigt am 9.9.2016 in Emmerthal (Niedersachsen) aus den Kühltürmen des Kernkraftwerk Grohnde.
    Kraftwerk Grohnde in Emmerthal (Niedersachsen). (dpa / picture alliance / Sebastian Gollnow)
    Auch die klagenden Energiekonzerne wollen den Atomausstieg nicht aufhalten. Das betonte am Rand er mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht im März auch E.ON-Chef Johannes Teyssen: "Ich bin heute hier im Interesse von tausenden von Kleinanlegern, die gespart haben in E.ON-Aktien, die ihre Rente in E.ON-Aktien angelegt haben, und die um einen fairen und gerechten Ausstieg aus der Kernenergie bitten. Also um Entschädigung des Vermögens, das man uns aus politischen Gründen entzogen hat."
    Sollte das Bundesverfassungsgericht eine solche Entschädigungspflicht im Grundsatz bejahen, müsste über die Höhe gesondert entschieden werden. Um die 19 Milliarden Euro sollen im Raum stehen. In Frage steht das Ausstiegsgesetz aus dem Jahr 2011. Das Hin und Her, das ihm vorausgegangen war, könnte rechtlich relevant sein. Den Atomausstieg von 2002, den die rot-grüne Bundesregierung im Konsens mit den Konzernen vereinbart hatte, hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung erst zurückgedreht, sie hatte den Konzernen erheblich größere Reststrommengen zugestanden. Um dann, wenige Monate später, nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima, diese Entscheidung zu revidieren. Ein Mailer – Krümmel – war bereits heruntergefahren, sieben weitere, die ältesten, mussten in einer ersten Reaktion folgen. Umweltminister Norbert Röttgen fand die bemerkenswerte Formulierung: "Wir befreien uns von allen Vorfestlegungen, selbst von der Gesetzeslage."
    AKW-Betreiber: "Irrationale Kehrtwende"
    Das Ausstiegsgesetz von 2011 kehrte nicht nur zum Stand der früheren Ausstiegsvereinbarung zurück - die abgeschalteten Mailer gingen nicht wieder ans Netz. Irrational nannten diese Kehrtwende im März in Karlsruhe die Vertreter der Konzerne. Politik dürfe nicht in reine Emotionalität verfallen, kritisierte vor dem Bundesverfassungsgericht Rupert Scholz, der rechtliche Vertreter von E.ON. Das Risiko der Kernkraft sei durch Fukushima in Deutschland nicht größer geworden. Dem widersprach die Bundesregierung auch gar nicht. Umweltministerin Barbara Hendricks sagte auf die Frage, was sich genau durch Fukushima in Deutschland verändert habe: "Es hat sich die Einstellung derjenigen Menschen verändert, die vorher der Auffassung waren, das Restrisiko sei beherrschbar."
    Also eine rein politische Entscheidung? Hendricks: "Es ist selbstverständlich klar, dass Gesetzesentscheidungen immer politische Entscheidungen vorausgehen." Noch in der Verhandlung machten auch die Verfassungsrichter deutlich: Es kommt nicht darauf an, welche Überlegungen hinter einem Gesetz standen, sondern auf den Inhalt. Und: Es gilt, was seit der Kalkar-Entscheidung von 1978 gilt: wie das Restrisiko der Kernkraft zu bewerten ist, entscheiden nicht Gutachter, sondern die Politik.
    Konzerne fühlen sich enteignet
    Nur: muss sie die Konzerne dafür entschädigen? Die Konzerne sehen sich enteignet. "Es geht ja einfach darum, dass wenn ihnen jemand ihr Auto, ihr Haus entzieht, einfach um eine faire Entschädigung, um nicht mehr und nicht weniger", formulierte salopp E.ON-Chef Teyssen. So einfach ist es aber wohl nicht. Unklar ist schon, was den Konzernen entzogen wurde - hat die kurze Zeit mit höheren Reststrommengen ihnen neue Rechtspositionen verschafft, auf die sie vertrauen durften? Kann es überhaupt Eigentum an Reststrommengen geben?
    Eine Enteignung stellt der Ausstieg für die Richter wohl nicht dar. Aber möglicherweise eine Neudefinition dessen, was die Konzerne mit ihrem Eigentum machen können? Eine solche so genannte Inhalts- und Schrankenbestimmung wäre in aller Regel nicht entschädigungspflichtig. Nach den Fragen, die die Richter in der Verhandlung stellten, ist aber nicht ausgeschlossen, dass sie hier rechtliches Neuland betreten wollen.