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Atomausstieg
Politik ebnete Weg zu Schadenersatzklagen der Energiekonzerne

Drei Tage nach Beginn des Super-GAU in Fukushima verfügte die damalige Bundesregierung eine Reaktorschnellabschaltung für acht Akws. Nach Recherchen des ARD-Magazins "Monitor" habe die Politik den Atomkonzernen durch unzureichende Begründung die Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe ermöglicht.

Von Jürgen Döschner | 05.02.2015
    Das Atomkraftwerk Grohnde, fotografiert am 06.08.2013 nahe Grohnde an der Weser (Niedersachsen).
    Das Atomkraftwerk Grohnde, fotografiert am 06.08.2013 nahe Grohnde an der Weser (Niedersachsen). (picture alliance / dpa - Holger Hollemann)
    Die "Reaktorschnellabschaltung" gehört zum Sicherheitskonzept eines jeden Atomkraftwerkes weltweit. Werden bestimmte Grenzwerte überschritten, wird der Reaktor sofort herunter gefahren. Am 14. März 2011, drei Tage nach Beginn des Super-GAU in Fukushima, verfügte die damalige Bundesregierung sozusagen eine politische "Reaktorschnellabschaltung" - und das gleich für acht der 17 Atomkraftwerke in Deutschland.
    "Genau aus diesem Grund werden wir die erst kürzlich beschlossene Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke aussetzen. Und dies ist ein Moratorium, und dieses Moratorium gilt für drei Monate."
    Fehlende Begründung
    Eine weitreichende und bis dato weltweit einmalige Entscheidung, zu der die Politik nach Paragraph 19 des Atomgesetzes zwar grundsätzlich berechtigt ist, allerdings nur unter sehr strengen Voraussetzungen.
    "In diesem Fall ging es ja darum, dass aus sicherheitstechnischen Gründen die Anlagen stillgelegt werden sollen. Und das bedeutet, dass man diese sicherheitstechnischen Gründe im Einzelnen benennen muss in einer solchen Verfügung gegenüber den Betreibern", erklärt Dieter Majer, zu jener Zeit stellvertretender Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, die für die Stilllegungsverfügung zuständig war.
    Doch genau diese Begründung fehlte. Stattdessen war in der Anordnung des damaligen Umweltministers Röttgen nur allgemein von "Gefahrenverdacht" nach der Katastrophe von Fukushima die Rede. Ein schlichtes Versäumnis? Ein dem Zeitdruck geschuldeter Fehler? Keineswegs. Aus Unterlagen, die dem ARD-Magazin "Monitor" vorliegen, geht hervor: Die zuständige Fachabteilung im Umweltministerium mit dem Namen "RS I,3" wurde gezielt daran gehindert, an der Begründung des Moratoriums und der anschließenden Sicherheitsüberprüfung der Atomkraftwerke mitzuwirken.
    "Es ist ein völlig unübliches Verfahren, die einzigen, die fachkompetent sind in einer Behörde, aus einem Verfahren herauszuhalten", sagt Wolfgang Renneberg, früherer Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Umweltministerium.
    Brandbrief an den Umweltminister
    Aber nicht nur das. Selbst ein Brandbrief an den damaligen Umweltminister Röttgen ignoriert wurde, in dem mehrere Mitarbeiter des Fachreferats RS I,3 vor den "rechtlichen und finanziellen Risiken" des schlecht begründeten Moratoriums warnen. Das ist schwer nachzuvollziehen, meint der damalige stellvertretende Chef der Abteilung Reaktorsicherheit, Dieter Majer - zumal es gute Argumente für die Stilllegung gegeben hätte.
    "Durch Fukushima wurden diese Anlagen ja nicht sicherer oder unsicherer. Also hätte man hier mit der nicht vorhandenen Sicherheit der Altanlagen argumentieren müssen. Und solche Sicherheitsdefizite gab es auch bei den Altanlagen. Also es wäre aus meiner Sicht kein Problem gewesen, die Sicherheitsdefizite zu benennen und damit eine rechtlich einwandfreie Stilllegungsverfügung zu erlassen."
    Aber warum hat die damalige Bundesregierung trotzdem eine unzureichende Begründung abgeliefert, die nun Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe ermöglicht? Eine Antwort könnte Gerald Hennenhöfer geben. Er war damals Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium - und über Jahre hinweg Lobbyist der Atomindustrie.
    "Ich persönlich habe es eigentlich nicht für möglich gehalten, dass jemand, der über Jahre hinweg eine führende Funktion bei den Energieversorgungsunternehmen hat, nun ins Ministerium kommt und dort an verantwortlicher Stelle für die Aufsicht über gerade diese Unternehmen zuständig ist", sagt Hennenhöfers damaliger Stellvertreter, Dieter Majer heute.
    Hennenhöfer selbst wollte sich auf Anfrage des WDR nicht zu den Vorgängen äußern. Und so kann man über die Motive der Verantwortlichen für das unzulänglich formulierte Moratorium nur spekulieren - so wie Hennehöfers Vorgänger als Chef der Abteilung Reaktorsicherheit, Wolfgang Renneberg:
    "Es gibt für mich eigentlich nur eine Antwort: Man wollte keine sicherheitstechnischen Mängel in die Begründung der Anordnung hineinschreiben. Und sicherlich auch deshalb, um gerade das zu ermöglichen, was jetzt passiert, nämlich Schadenersatzforderungen der Betreiber zu ermöglichen."