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Atomausstieg
"Wir haben die Konzerne quasi komplett aus der Haftung rausgenommen"

23,3 Milliarden Euro sollen die Energiekonzerne nach dem Willen der Atomkommission für die Kosten des Atomausstiegs zahlen. "Das ist ein dicker Brocken für die Konzerne", sagte der CDU-Politiker Michael Fuchs, der Mitglied der Atomkommission ist, im DLF. Andererseits seien dafür die Konzerne im Jahr 2022 quasi aus der Haftung raus und hätten jetzt endlich Planungssicherheit, so Fuchs.

Michael Fuchs im Gespräch mit Bettina Klein | 28.04.2016
    Dr. Michael Fuchs, stellv. Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
    Michael Fuchs, als stellvertretender Vorsitzender der Unions-Fraktion zuständig für Wirtschaft und Energie, im Interview mit dem Deutschlandfunk zum Atomausstieg. (imago stock&people)
    Mit den 23,3 Milliarden Euro, die die Konzerne in einen Fonds einzahlen sollen, sei die Atomkommission an der Belastungsgrenze für die Energiekonzerne, sagte Fuchs. "Aber sie haben endlich Planungssicherheit." 2022 seien sie aus der Haftung - und das sei auch ein Wert an sich. Eine noch höhere Belastung für die Konzerne sei ein Problem. "Denn ohne große Energiekonzerne werden wir die Energiewende nicht voranbringen."
    Ein "Freikaufen" will Fuchs in dem Beschluss der Atomkommission der Bundesregierung nicht erkennen, auch wenn die Konzerne alle weiteren Risiken an den Steuerzahler weitergeben. Nun habe der Staat 23,3 Milliarden Euro, sagte Fuchs. "Dieses Geld muss er sinnvoll verwenden. Wenn der Staat schnell reagiert und schnell ein Endlager findet, dann kann er sogar Geld verdienen." Eine langwierige Suche nach einem Endlager könnte dagegen für zusätzliche Kosten sorgen.
    Die AKW-Betreiber haben die Empfehlungen der Atomkommission für die Finanzierung des Atomausstiegs als überzogen zurückgewiesen. Die Befürchtung, dass die Unternehmen dagegen klagen, hat Fuchs nach eigenen Worten nicht. Allerdings klagt der Energiekonzern Eon vor dem Landgericht Hannover gegen den Bund und die Länder Bayern und Niedersachsen und verlangt Schadenersatz für den Atomausstieg. Es geht im Kern um die Frage, ob Eon 2011 ohne Entschädigung enteignet wurde.

    Das Interview mit Michael Fuchs in voller Länge:
    Bettina Klein: Viele Politiker von Union, SPD und Grünen haben den Vorschlag gelobt. Die Atomkonzerne wollen das noch eingehend prüfen, haben aber die Einigung trotzdem schon mal in einer ersten Stellungnahme abgelehnt, insbesondere den erwähnten Risikozuschlag von gut sechs Milliarden.
    Michael Fuchs ist stellvertretender Vorsitzender der Unions-Fraktion, zuständig für Wirtschaft und Energie. Ich habe ihn vorhin gefragt, ob er für diese Ablehnung durch die Konzerne Verständnis hat.
    Michael Fuchs: Ich kann das durchaus verstehen. Die Konzerne haben 17,2 Milliarden zurückgestellt in ihren Bilanzen und jetzt ist man bei einer Zahl von 23,3 Milliarden angekommen. Das sind die von Ihnen genannten 6,1 Milliarden, die Differenz, und das ist natürlich ein dicker Brocken für die Konzerne.
    Aber auf der anderen Seite haben die Konzerne jetzt endlich Planungssicherheit. Sie wissen wo sie dran sind. Sie wissen, dass sie im Jahre 2022, wenn sie die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt haben, aus der Haftung raus sind, und das ist natürlich auch ein Wert an sich, den die Konzerne mit bewerten sollten.
    Klein: Planungssicherheit, das Stichwort greifen auch die Kritiker auf, die jetzt sagen, im Grunde genommen haben die Konzerne großes Glück gehabt, denn sie können sich für diese insgesamt 23 Milliarden Euro freikaufen von jeder weiteren Verpflichtung, die finanziell auf die Gesellschaft, auf uns alle als Steuerzahler in den nächsten Jahrzehnten hinzukommen könnte. Im Grunde sind sie doch schön raus aus dem Schneider?
    Fuchs: Na ja, das kann man so nicht sagen, denn der Staat ist ja derjenige, der die Verpflichtungen auferlegt. Die Konzerne sind ja in einer gewissen Weise immer davon abhängig gewesen, welche politische Entscheidung getroffen wird. Wenn jetzt beispielsweise bei den Zwischenlagerungen oder auch bei der Endlagerung es ewig dauert oder ein, ich sage mal, Bohrloch-Tourismus entsteht, weil man sagt, jetzt bohren wir mal in Niedersachsen, dann bohren wir mal in Bayern, dann bohren wir mal in Baden-Württemberg etc., dann ist das schwer zu erklären, dass das auch von den Konzernen bezahlt werden soll.
    Meiner Meinung nach ist das dann eine politische Entscheidung, und da liegt genau die Schwierigkeit, in der wir uns jetzt befinden, und deswegen finde ich es richtig, dass wir jetzt einen Schlussstrich gezogen haben. Jetzt hat der Staat 23,3 Milliarden Euro. Dieses Geld muss er sinnvoll verwenden, für sowohl Zwischenlagerung als auch Endlagerung. Und ich sage es mal: Wenn der Staat schnell reagiert und schnell ein Endlager findet und dieses dann einrichtet, dann kann das sogar so sein, dass der Staat Geld verdient.
    "Staat darf die Endlagersuche nicht ewig ausdehnen"
    Klein: Sie gehen davon aus, dass diese 23 Milliarden, die jetzt über den Fonds ja gewinnbringend angelegt werden sollen, Sie gehen davon aus, dass das am Ende auch über Jahrzehnte die Kosten decken wird? Das heißt, dass der Staat, die Steuerzahler dann nicht mehr zur Haftung herangezogen werden müssen?
    Fuchs: Ich habe meinen Auftrag in dieser Kommission so gesehen, dass ich die Konzerne nicht überfordern darf, aber auch dafür zu sorgen habe, dass am Steuerzahler am Ende des Tages nichts hängen bleibt. Und ich glaube, das haben wir mit dieser Zahlung erreicht. Wir haben ja die Zahlungen erhöht gegenüber den Rückstellungen. Sie haben es eben selbst gesagt, 6,1 Milliarden.
    Aber wir haben das unter dem Aspekt gemacht, dass die Konzerne das erstens tragen können, zweitens aber auch dafür gesorgt wird, dass der Staat damit zurechtkommen kann. Nur das liegt nun in der Hand des Staates, weil ich der Meinung bin, dass der Staat jetzt die Aufgabe hat, schnell eine vernünftige Lösung zu finden und eine Endlagersuche nicht ewig auszudehnen. Denn wenn er die ewig ausdehnt, dann wird es teurer.
    Klein: Bleiben wir doch mal bei diesen 23 Milliarden. Ich habe es angedeutet: Die Konzerne haben sich ja nicht einverstanden erklärt damit. Die haben auch während der Verhandlungen wohl versucht, diese Summe noch zu drücken. Wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, dann gehen Sie aber davon aus, dass am Ende nach diesem Protest, den wir jetzt heute doch schon gehört haben, die Atomkonzerne dieser Summe zustimmen werden?
    Fuchs: Ich will es mal hoffen, dass wir am Ende des Tages einen Kompromiss finden, mit dem die Konzerne leben können. Denn wenn die Konzerne sich jetzt angucken, dass wir sie quasi komplett aus der Haftung rausgenommen haben und dass wir dafür gesorgt haben, dass in dem Moment, wo die Zahlungen eingegangen sind und wo die Waren, sagen wir mal, die radioaktiven Bestandteile - da gibt es low active ways, wie das so schön heißt, schwach radioaktives Material; das ist im Prinzip genau das gleiche, was Sie in jedem Krankenhaus auch haben, was eingelagert werden muss, und es gibt mittelaktives Abfallmaterial, das ebenfalls eingelagert werden muss, und es gibt dieses hoch aktive; das sind ja die berühmten Castoren -, wir haben jetzt Lösungen dafür gefunden, wie das möglichst schnell geschehen kann.
    Die Konzerne sind damit, ich sage mal, in der Phase 2022 bis 2025 enthaftet. Das hat wiederum die Wirkung, dass sie in den Bilanzen sauberer aussehen, und es kann sein, dass sich damit die Refinanzierungssituation der Konzerne verbessert hat. Das müssen die Konzerne mit bewerten. Auf der anderen Seite weiß ich natürlich, dass wir an die Belastungsgrenze der Konzerne herangegangen sind. Das ist dem einen oder anderen inklusive mir auch schwer gefallen.
    "Ohne große Konzerne werden wir die Energiewende nicht voranbringen"
    Klein: Sie sprechen von Hoffnung, dass die Konzerne da zustimmen werden. Sie gehen nicht davon aus, dass da noch mal nachverhandelt wird und jetzt die Vertreter der Politik diese Summe von sich aus nach unten verhandeln werden?
    Fuchs: Ich habe nicht den Eindruck gehabt. Wir haben eine einstimmige Entscheidung getroffen heute in der Kommission. Das war alles nicht einfach. Es gab eine ganze Reihe von Kommissionsmitgliedern, die sich einen deutlich höheren Beitrag hätten vorstellen können. Das haben wir abgelehnt, vor allen Dingen die Vertreter der Wirtschaft abgelehnt, weil wir fähige Konzerne im großen Bereich, große Energiekonzerne brauchen für die Zukunft, denn ohne große Konzerne werden wir die Energiewende in Deutschland nicht voranbringen.
    Klein: Um noch mal diesen letzten Kritikpunkt aufzugreifen, der jetzt von denjenigen kommt, die sagen, die Konzerne sind da relativ gut gefahren mit dieser Einigung, auch wenn sie ihnen selber im Augenblick zu hoch erscheint. Es ist ja ein Berufsrisiko, wenn sich der Markt ändert oder die Vorgaben des Gesetzgebers sich ändern. Dann muss ich ja mein Handeln als Marktakteur darauf einstellen. Und die Konzerne geben doch im Grunde genommen jetzt auch zu, dass sie die Energiewende, die sich seit Langem abgezeichnet hat, im Grunde verschlafen haben und jetzt als Marktakteur den Preis nicht zahlen wollen. Gehört das nicht zur Wahrheit auch mit dazu?
    Fuchs: Nein, das kann man so nicht sagen. Ich meine, die Konzerne haben ja die Energiewende, ich sage mal, aufoktroyiert bekommen. Sehen Sie, wir haben allein in der letzten Legislaturperiode einmal eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke gemacht und dann nach Fukushima eine Verkürzung beziehungsweise sogar das Auslaufen der Laufzeiten beschlossen. Das sind ja nun wirklich schwer voraussehbare Dinge für jemand, der einen Energiekonzern leitet.
    Diese politischen Entscheidungen waren ja auch das Problem und ich glaube, das ist auch der Grund, weswegen die Konzerne am Ende des Tages jetzt froh sein können, weil sie durch politische Entscheidungen nicht mehr getroffen werden können. Deswegen sollten sie jetzt auch anerkennen, dass das hiermit geschehen ist.
    "Der Staat muss sich jetzt zusammenreißen"
    Klein: Und Gerichtsentscheidungen erwarten Sie in dem Zusammenhang nicht mehr?
    Fuchs: Ich glaube es nicht, denn am Ende des Tages sollte jeder versuchen, jetzt mit diesem Kompromiss, den wir gefunden haben, der sicher für die Konzerne nicht einfach ist, machen wir uns nichts vor, aber der auch bedeutet, dass der Staat sich jetzt zusammenreißen muss und möglichst schnell für Endlagerung und Zwischenlagerung zu sorgen hat, um nicht mehr Geld auszugeben als er bekommen hat. Ich glaube, wenn der Staat das richtig macht und die Konzerne das richtig machen, dann haben wir einen vernünftigen Kompromiss gefunden. Kompromisse sind immer Kompromisse, kann man immer dran rummäkeln.
    Klein: Der CDU-Politiker Michael Fuchs über die Einigung der Atomkommission heute, wer welche Kosten für den Atomausstieg zu tragen hat.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.