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Atomforum geht von Abschaltung einzelner Kernkraftwerke aus

Das Deutsche Atomforum als Repräsentant der Nuklearwirtschaft wird sich dem Votum der Politik beugen - auch wenn es sicherheitsbedingt zu dauerhaften Abschaltungen von AKW kommen sollte, sagt Präsident Ralf Güldner.

Ralf Güldner im Gespräch mit Peter Kapern | 15.03.2011
    Peter Kapern: Gestern hat die Bundesregierung das Ruder herumgeworfen und den Ausstieg vom Ausstiegsausstieg verkündet. Die Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke, die die Koalition erst im Herbst beschlossen hat, wird ausgesetzt, ein Moratorium verhängt – eines, das schon sehr bald Folgen zeigen wird. Dann stehen einige der ältesten Reaktoren vor dem Aus. Das Ganze soll ohne Gesetzgebungsverfahren über die Bühne gebracht werden, stattdessen aber im Dialog mit den Kraftwerksbetreibern. Das Deutsche Atomforum vertritt die Interessen der deutschen Atomwirtschaft und Ralf Güldner ist dessen Präsident. Guten Morgen, Herr Güldner.

    Ralf Güldner: Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Güldner, welche Sicherheitsrisiken, die bislang unbekannt sind, bergen denn die deutschen Atomkraftwerke?

    Güldner: Nun, wir sind immer davon ausgegangen, dass unter unseren Randbedingungen unsere Kraftwerke den Sicherheitsanforderungen genügen. Wir sehen jetzt in Japan massive Naturereignisse, die die Reaktoren dort sehr stark beschädigt haben. Uns erfüllen die Ereignisse auch besonders dieser Nacht mit großer Besorgnis. Die Situation hat sich dort wohl etwas zugespitzt. Wir werden solche Ereignisse sicherlich bei uns nicht unterstellen müssen. Dennoch ist das natürlich Anlass nachzudenken, ob wir alle Eventualitäten aus dem Restrisiko für unsere Anlagen richtig berücksichtigt haben, oder ob wir da nachbessern müssen. Frau Merkel hat dann gestern in der Pressemitteilung erklärt, dass sie die Laufzeitverlängerung mit einem Moratorium belegen wollen, also für drei Monate aussetzen. In diesem Zeitraum werden wir sicherlich in einem engen Dialog mit den Behörden in Deutschland auf Bundes- und Länderebene, mit den Fachgremien der Behörden, zum Beispiel der Reaktor-Sicherheitskommission, diskutieren und erörtern, welche Folgen wir in der Beurteilung unserer Anlagen und den möglichen Effekten im Bereich des Restrisikos in Betracht ziehen müssen.

    Kapern: Lassen Sie mich noch einmal nachfragen, Herr Güldner. Rechnen Sie denn nun damit, dass Sicherheitslücken entdeckt werden, die bislang nicht bekannt waren?

    Güldner: Nun, wir sind hier in Bereichen des Restrisikos, und hier ist es auch immer eine Einschätzung, welche Restrisiken kann die Gesellschaft in der Anwendung von Technologien – und das gilt ja nicht nur für die Kerntechnik – akzeptieren und gegen welche Restrisiken muss man sich durch technische Maßnahmen so wappnen, dass man sie ausschließen kann. Und wenn sich hier Ansätze ergeben in einem Dialog mit den zuständigen Behörden, dass wir das Niveau des Restrisikos und damit das sehr hohe Sicherheitsniveau, das wir schon haben, also das Niveau des Restrisikos weiter senken wollen und unser Sicherheitsniveau noch weiter anheben müssen, dann müssen wir uns anschauen, ob das angesichts der Situation, der speziellen Situation in den einzelnen Anlagen, technisch möglich ist.

    Kapern: Es erstaunt doch ein wenig, dass nun Dinge als Risiko bezeichnet werden, wie beispielsweise Terroranschläge, Abstürze von Flugzeugen, großen Flugzeugen, die schon lange in der Diskussion sind und die bislang im Rahmen der Sicherheitsdiskussion der Befürworter der Atomkraft immer beiseite geschoben worden sind.

    Güldner: Nein. Wir haben alle unsere Anlagen gegen Flugzeugabstürze ausgelegt. In dem Zeitraum, als wir die Anlagen gebaut haben, war die Auslegung gegen schnell fliegende Militärmaschinen, weil man damals gesagt hat, das Triebwerk einer schnell fliegenden Militärmaschine, das wie ein Projektil auf die Anlage aufschlagen könnte, das ist der größte anzunehmende Einfluss oder Einschlag auf die Reaktorhülle, dagegen haben wir die Anlagen ausgelegt. Nach dem 11. September ist das Thema gezielter Absturz von Zivilmaschinen mit in die Diskussion gekommen. Wir haben auch hier mit den Behörden diskutiert, haben Maßnahmen zur Terrorabwehr ergriffen, die wir natürlich nicht in der Öffentlichkeit ausbreiten können, wir haben das Thema Vernebelung der Anlagen diskutiert, haben also auch hier Maßnahmen ergriffen, um die Risiken von Terrorangriffen auf die Anlage zu reduzieren. Wenn es auch hier Erkenntnislagen gibt, dass wir darüber neu nachdenken müssen, sind wir dafür offen.

    Kapern: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, würden deutsche Atomkraftwerke den Absturz einer Passagiermaschine, den gezielten Absturz, nicht überstehen?

    Güldner: Das kann man so nicht sagen. Sie sind ausgelegt gegen die schnell fliegende Militärmaschine.

    Kapern: Aber ich habe ja nach den Passagiermaschinen gefragt.

    Güldner: Welche Einwirkungen auf die Anlage ein Absturz einer Passagiermaschine auslöst, das ist abhängig von den Absturzbedingungen, in welchem Winkel trifft die Maschine ein, welche Teile der Maschine treffen die Anlage. Auch hier kann man Maßnahmen ergreifen, dass man sagt, wir haben die sicherheitsrelevanten Einrichtungen zum Beispiel an verschiedenen Stellen der Anlage, um auch nach einem Absturz die Anlage noch in gewissem Rahmen kontrollieren zu können. Kritisch ist nach einem Absturz einer großen Passagiermaschine zum Beispiel auch der Kerosin-Brand außerhalb der Anlage. Auch hier muss man dafür sorgen, dass man danach noch in der Lage ist, die Anlage zu kühlen, die Luft zu filtern und so weiter. Es ist nicht so einfach zu sagen, die Zivilmaschine ist etwas ganz anderes als der unterstellte Absturz einer Militärmaschine.

    Kapern: Die Bundeskanzlerin hat gestern gesagt, nach dem Moratorium wird die Lage eine andere sein als vor dem Moratorium. Wie viele Atomkraftwerke werden nach dem Moratorium noch laufen?

    Güldner: Das ist heute schwer zu sagen. Wir müssen das uns für die einzelnen Anlagen anschauen innerhalb des Moratoriums. Wenn es bei den drei bis vier Monaten bleibt, sind es, glaube ich, zwei bis drei Anlagen, die zunächst einmal die Strommengen aus der alten Vereinbarung erreichen, und das heißt Strommengen erzeugen müssten, die aus der neuen Vereinbarung resultieren. Wenn man das Moratorium so versteht, dass das heißt, die Anlagen müssten nach Erreichen der Strommenge aus der alten Vereinbarung abgeschaltet werden, oder zuerst mal runtergefahren werden, dann würden diese Anlagen in dem Zeitraum vom Netz gehen. Was sich danach für die Beurteilung der Sicherheitslage ergibt, kann man jetzt noch nicht sagen. Frau Merkel hat aber ganz klar gesagt, es gibt keine Tabus, also kann man vielleicht davon ausgehen, dass die eine oder andere Anlage danach nicht mehr ans Netz gehen kann.

    Kapern: Könnte es sein, dass die Laufzeitverlängerung komplett wieder kassiert wird nach dem Ablauf des Moratoriums?

    Güldner: Das dürfen Sie nicht mich fragen, das müssen Sie eigentlich die Bundesregierung fragen.

    Kapern: Was würden Sie denn sagen, wenn es so käme?

    Güldner: Wir haben die Situation, dass wir mit der Laufzeitverlängerung eine neue Gesetzeslage geschaffen haben, und das ist ja nicht nur eine Absichtserklärung der Bundesregierung, sondern es sind Gesetze dazu erlassen worden. Also man kann nicht einfach den Schalter wieder umlegen und sagen, wir gehen auf die alte Situation. Man muss das Atomgesetz wieder ändern, könnte dann aber zum Beispiel sagen, wir nehmen wieder die Fassung, die vor der Laufzeitverlängerung gegolten hat, aber das muss wieder durch ein Gesetzgebungsverfahren gehen.

    Kapern: Was würde denn die Atomwirtschaft dazu sagen, wenn es so käme?

    Güldner: Nun ja, das Thema Nutzung von Technologien für die Stromerzeugung oder in der Energiewirtschaft ist natürlich immer ein Thema, das von der Politik mitbestimmt wird, und wir wären natürlich nicht glücklich über die Situation in den Anlagen, wenn wir hier zurückfallen würden. Aber einem Votum der Politik müssten wir uns natürlich beugen.

    Kapern: Ralf Güldner war das, der Präsident des Atomforums, heute Morgen im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch und sage auf Wiederhören.

    Güldner: Bitte sehr! Auf Wiederhören.

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