Donnerstag, 25. April 2024

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Michael Kretschmer (CDU)
"Tests sind kein Allheilmittel"

Der Gedanke, über Ostern alles runterzufahren, sei richtig gewesen, aber leider nicht richtig vorbereitet worden, kritisierte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) im Dlf. Das habe Vertrauen zerstört. Er warnte davor, dass mit den derzeitigen Instrumenten die Pandemie nicht aufgehalten werden könne.

Michael Kretschmer im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 26.03.2021
Porträt des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) im Rahmen der 1000. Sitzung des Bundesrat in Berlin
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) appelliert angesichts steigender Coronazahlen an die Eigenverantwortung der Bürger (imago / Political-Moments)
Die Entscheidung der Ministerpräsidenten und Ministerpräsidenten und der Kanzlerin währte nur wenige Tage. Mit der Entschuldigung von Angela Merkel war der harten Oster-Lockdown am Mittwoch bereits wieder vom Tisch. "Dieser Gedanke über Ostern alles einmal runter zu fahren ist in der Sache absolut richtig, aber leider nicht gut vorbereitet und kann deswegen nicht stattfinden", sagte der Ministerpräsident Michael Kretschmer im Dlf. Die Ankündigung von Lockerungen wie im Saarland und die steigenden Inzidenzzahlen passten aber nicht zusammen. Der CDU-Politiker mahnte, weiter wachsam zu sein.

Appell an Eigenverantwortung der Bürger

Kretschmer appellierte im Dlf an die Eigenverantwortung der Bürger, die Coronamaßnahmen einzuhalten. Tests seien kein Allheilmittel, das sehe man in Österreich. "Bei einer viel zu hohen Inzidenz – und wir sind jetzt schon sehr weit oben – ist das auch keine Sicherheit mehr", so Kretschmer. Das Virus habe eine deutlich stärkere Kraft als im vergangenen Jahr und die Ansteckung habe deutlich zugenommen. "Deswegen greifen viele Maßnahmen, viele Hygienekonzepte, viele Dinge, die damals gut geklappt haben, nicht mehr. Also müssen wir auch miteinander vorsichtiger sein", so Kretschmer.
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"Wir müssen zusammenhalten"

Allerdings sei die Bevölkerung müde und verliere an Kraft und die Politik dringe mit dem, was man sage, nicht durch. Mit Sorge beobachte er auch, dass die Bevölkerung diese Dinge nicht so sehe wie sie Virologen oder das Pflegepersonal auf Intensivstation. Es sei leider so, dass mit dem jetzigen Instrumentenkasten diese Pandemie nicht aufgehalten werden könne. "Ich bin sehr dagegen, Schuldzuweisungen untereinander vorzunehmen. Das gilt auch für das Verhältnis von Bürgern, Unternehmen und politisch Verantwortlichen – wir müssen zusammenhalten", so Michael Kretschmer im Deutschlandfunk. In Anbetracht der Situation könne es aber keinen Osterurlaub geben, so Kretschmer. Mit Blick auf die Impfsituation sagte Kretschmer im Dlf: "Ich vermute, Ende Mai werden wir in der Situation sein, dass das Impfen, die Immunisierung der Bevölkerung eine echte Wirkung auf diese Pandemie hat und uns dabei hilft."
Coronavirus
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Jörg Münchenberg: Herr Kretschmer, wie groß ist der angerichtete Scherbenhaufen nach der Pleite der Bund-Länder-Runde, trotz der Entschuldigung der Kanzlerin?
Michael Kretschmer: Ich habe eine andere Sichtweise auf die Dinge. Aus meiner Sicht haben wir eine wirkliche Verschärfung der Situation dieser Pandemie. Diese Mutation verändert alles. Die ist viel, viel ansteckender. Und es ist die Suche nach Instrumenten, die möglichst wenig kosten, die die Bevölkerung möglichst wenig einschränken. Dieser Gedanke, über Ostern alles einmal runterzufahren, ist in der Sache absolut richtig, aber leider nicht gut vorbereitet und kann deswegen nicht stattfinden. Aber wir müssen weiter wachsam sein und wir müssen versuchen, uns neue Instrumente zu geben.

Kontaktvermeidung als oberstes Gebot

Münchenberg: Die Kanzlerin hat ja anschließend gesagt, wir, die Ministerpräsidenten und sie auch, müssen besser werden. Aber wie, das ist nicht wirklich erkennbar. Beim Impfstoff gibt es weiterhin viel zu wenig. Die Impfkampagne, sagen viele, ist völlig überbürokratisiert. Und auch das Testen funktioniert ja mehr schlecht als recht, während gleichzeitig die Infektionszahlen nach oben schießen. Wie soll es besser werden?
Kretschmer: Beim Impfen, ist oft genug gesagt worden, aber man kann es auch noch mal wiederholen, haben wir eine begrenzte Menge. In Europa wird der Impfstoff gleichmäßig nach Anteil der Bevölkerung verteilt und damit haben wir auch einen großen Schutz, weil es nützt nichts, ein Land ist durchgeimpft, in einem anderen klappt es noch nicht. Die Vorstellung ist auch absolut unsolidarisch, die Deutschen sind alle geimpft und im Nachbarland sterben die Menschen in Größenordnungen. Das kann niemand wollen. Von daher brauchen wir eine Zeit des Übergangs. Ich vermute, Ende Mai werden wir in der Situation sein, dass dieses Impfen, die Immunisierung der Bevölkerung eine echte Wirkung auch auf diese Pandemie hat und uns dabei hilft.
Ansonsten gilt, der Virus ist das Problem und es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Optionen. Kontaktvermeidung – das ist das, was wir jetzt auch als Bevölkerung uns immer wieder sagen müssen. Der Virus kann nicht übertragen werden von sich selbst aus, sondern nur durch menschliche Kontakte. Die Ansteckungskraft dieses Virus hat deutlich zugenommen. Also müssen wir auch miteinander vorsichtiger sein. Und wir sehen auf der kommunalen Ebene ein unglaubliches Engagement beim Ausbau von Testzentren. Das beeindruckt mich sehr. Je mehr dort an Kapazität vorhanden ist, je mehr kann man Öffnungen an diese vorhandenen Testzentren koppeln. Wir werden damit hier auch in Sachsen am 6. April beginnen, mit den ersten Dingen, und dann wird das sukzessive zunehmen. Allerdings – und das muss man ganz deutlich sagen -, wir sehen in Österreich, Testen ist kein Allheilmittel. Bei einer viel zu hohen Inzidenz – und wir sind jetzt schon sehr, sehr weit oben – ist das am Ende auch keine Sicherheit mehr. Deswegen liegt es jetzt, glaube ich, noch mehr als vorher an der Eigenverantwortung von uns allen, diese klaren Regeln, die zur Bekämpfung einer Pandemie jeder einzelne hat, auch anzuwenden.
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Kretschmer (CDU): Osterurlaub wäre unverantwortlich

Münchenberg: Trotzdem würde ich ganz gerne mal bei der Runde von Bund und Ländern bleiben, Herr Kretschmer. Die Kanzlerin hat sich entschuldigt, einige Ministerpräsidenten auch. Aber sollte nicht vielleicht auch der Gesundheitsminister mehr Demut an den Tag legen, weil der ist ja schließlich fachlich und organisatorisch für das Corona-Management verantwortlich?
Kretschmer: Das ist eine gemeinsame Verantwortung. Das habe ich auch ganz deutlich gesagt. Das wird jetzt hier nicht einem einzelnen zugeschoben. Wir haben eine sehr unterschiedliche Situation in den Bundesländern, Länder mit einer ganz niedrigen Infektionslage derzeit, die auch mit dem klaren Wunsch in diese Konferenz gekommen sind, Osterurlaub muss möglich sein. Die Gespräche miteinander haben gezeigt, das wäre unverantwortlich. Wir haben eine exponentielle Entwicklung, eine Verdoppelung innerhalb von gewissen Zeiten, und deswegen geht das jetzt nicht.
Ja, die Bevölkerung ist müde und verliert an Kraft, wir alle miteinander. Ich merke das auch bei mir selbst. Man wird in den Worten lauter und auch drastischer. Aber wir dringen mit dem, was wir sagen, derzeit nicht durch. Das ist ein Effekt, den wir auch in anderen Ländern gesehen haben. Polen und Tschechien sind unmittelbar bei uns vor der Tür. Dort ist das vor Wochen und auch vor Monaten eingetreten. Es hilft nur nichts, auch das lernen wir dort.

"Ein Virus mit einer deutlich stärkeren Kraft als im vergangenen Jahr"

Münchenberg: Aber trotzdem, Herr Kretschmer, wenn ich vielleicht einhaken darf. Gerade solche Ergebnisse, wie wir sie diese Woche erlebt haben, vermehren ja den Frust bei vielen, und die Frage ist gleichzeitig, was bringen solche Bund-Länder-Runden am Ende, wenn dann doch jeder Ministerpräsident, jede Ministerpräsidentin das macht, was er oder sie persönlich für richtig hält?
Kretschmer: Sie haben recht. Die politischen Entscheidungen beispielsweise bei der Frage der Wirtschaftshilfen, die sehr schleppend, sehr bürokratisch nur ausgezahlt worden sind, haben Kraft gekostet, haben Vertrauen zerstört. Das muss man sich vorstellen: 80 Milliarden Euro. Das ist eine gewaltige Summe, die dafür zur Verfügung steht, Unternehmen zu retten. Und dann so ein schwieriges Management, was so einen Ärger erzeugt. Da gebe ich Ihnen recht.
Ich gebe Ihnen auch recht, was die Frage der Vorbereitungen angeht für diese Osterruhe. Das war nicht gut und hat auch deswegen Vertrauen zerstört. Es ist am Ende natürlich in dieser besonderen Zeit wirklich die Suche nach Instrumenten. Wenn Sie sich zurückerinnern an den 3. März, die damalige Ministerpräsidenten-Konferenz: Der Wunsch nach Öffnungen, der in der Bevölkerung überall zu spüren war, und der Versuch, es jetzt doch möglich zu machen, war auch ein Fehler. Es ist eben so: In einer Pandemie ist nicht der Mutige der Erfolgreiche, sondern der, der umsichtig ist und besonnen. Jetzt haben wir ein Jahr hinter uns und es ist einfach furchtbar, dieses zu erleben, diese vielen Schäden, diese vielen Ungerechtigkeiten. Nur ich muss es noch einmal sagen: Ursache und Wirkung darf nicht verwechselt werden. Es ist ein Virus mit einer deutlich stärkeren Kraft als im vergangenen Jahr und deswegen greifen viele Maßnahmen, viele Hygienekonzepte, viele Dinge, die damals gut geklappt haben, nicht mehr. Wir sind auf der Suche nach Antworten. Wir haben sie, muss man sagen, nur in einem ganz begrenzten Maße, weil diese Naturkatastrophe sich nicht von uns Regeln aufzwingen lässt.
Münchenberg: Herr Kretschmer, dann will ich mal das Stichwort Mut und Besonnenheit aufgreifen, was Sie gerade genannt haben. Der Ministerpräsident des Saarlandes, Tobias Hans, ebenfalls CDU, hat jetzt ein Modellprojekt für landesweite Öffnungen nach Ostern angekündigt. Die Kanzlerin warnt gleichzeitig vor einem völlig neuen Virus. Die Inzidenz-Zahlen gehen steil nach oben. Wie passt das zusammen?
Kretschmer: Es passt nicht zusammen und Sie wissen, Tobias Hans ist einer der besonnensten und ruhigsten Ministerpräsidenten, hat eine Inzidenz von 67, glaube ich, gestern gehabt, wir in Sachsen von 167. Und man kann sich, wenn man Sachsen sieht, die vielen Kinderschuhe, die ich in den letzten Tagen entgegengenommen habe, riesige Protestaktionen von Eltern, von Kindern, von Lehrerinnen und Lehrern, von Kindergärtnern, die das nicht mehr aushalten, dass auch bei einer so hohen Infektionszahl die Einrichtungen geschlossen werden. Dieser unglaubliche Wunsch, jetzt diese Öffnungen zu haben, und nicht mehr das Sehen für diese Dramatik, die gerade entsteht, dann kann man sich vorstellen, wie im Saarland bei einem viel geringeren Infektionsgeschehen die Bevölkerung die Dinge gerade sieht. Deswegen sage ich noch einmal, wir sind ein offenes Land, eine Demokratie, und wir sehen gerade, dass die Bevölkerung diese Dinge nicht so sieht, wie sie Virologen sehen, wie sie Menschen von der Intensivstation sehen, wie ich sie auch sehe. Das muss man einfach jetzt akzeptieren.

Zahlen und Lockerungen im Saarland passen nicht zusammen

Münchenberg: Aber vielleicht noch mal zur Klarstellung, Herr Kretschmer. Das was im Saarland geplant ist, halten Sie auch für den falschen Weg?
Kretschmer: Ich bin da nicht derjenige, der da zu richten hat. Die Menschen im Saarland haben, glaube ich, da eine klare Vorstellung, wie aus ihrer Sicht die Situation ist. Es ist unsere Aufgabe, ohne dabei in der Wortwahl drastischer und lauter zu werden – das ist ja das, was wir auch von anderen erwarten, und ich beobachte auch bei mir in Anbetracht der Dramatik, wie ich sie erlebe. Ich habe deutlich gesagt, es kann keinen Osterurlaub geben. Ich habe viele Dinge, auch diese Entscheidung vom 3. März, die Öffnungen kritisiert. Sie können sich nicht vorstellen, was ich da für eine Kritik bekommen habe. Das habe ich deswegen getan, weil ich die Sache so einschätze. Aber am Ende muss ein Land, muss ein Volk einen Weg gehen, und das heißt nicht, dass man sich als Politik jetzt danebenstellen darf und mit verschränkten Armen sagt, dann ist es jetzt eben so – das macht niemand, auch die Bundeskanzlerin nicht -, aber es ist eine Realität, dass zurzeit mit diesen Argumenten, die wir haben, und den Fakten, die da sind, wir nicht durchdringen. Es kann sein, dass es in einer Woche anders ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine Veränderung in der Bevölkerung in der Stimmung bekommen werden. Es ist leider so, dass mit dem jetzigen Instrumentenkasten diese Pandemie nicht aufgehalten werden kann. Wir werden eine weitere drastische Zunahme erleben und darüber werden wir in den nächsten Wochen, nächste Woche, übernächste Woche sicherlich wieder zu sprechen haben. Dann ist es möglicherweise so, dass in Anbetracht der Fakten, der Realitäten, wie sie dann gegeben sind, auch eine andere Bereitschaft in der Bevölkerung wieder existiert, die Dinge mitzutragen. Das muss man auch sagen.
Münchenberg: Trotzdem, wenn Sie mir erlauben, noch mal ein Widerspruch. Auch in Berlin heißt es jetzt, die vereinbarte Notbremse, die eigentlich bei einer Inzidenz von 100 greifen soll, nicht alle Lockerungen sollen zurückgenommen werden. Auch das ist eigentlich auch ein Widerspruch zu dem, was man in dieser Bund-Länder-Runde beschließt.
Kretschmer: Noch einmal: Das Zentrale ist etwas anderes aus meiner Sicht. Wir können auch gerne darüber reden. Das Zentrale ist aus meiner Sicht folgendes: Wir erleben in vielen Gesprächen und es wird auch darüber berichtet, die Menschen haben die Kraft nicht mehr. Es wird immer wieder auch der Satz gesagt, ich mache das nicht mehr mit, und viele halten sich nicht mehr daran, oft in der Kombination, die Maßnahmen sind nicht verständlich und nachvollziehbar. Aber unter dem Strich bleibt, viele machen bei dem eigentlichen Zentralen, Kontaktvermeidung, AHA-Regelungen, für sich selber Ausnahmen im privaten Umfeld, im Arbeitsumfeld, und dann versucht die Politik, mit immer drastischeren Maßnahmen die Dinge auf andere Weise einzuschränken. Das sorgt für eine immer stärker werdende Spirale, die sich immer stärker dreht, die zu einem Auseinandergehen von Politik und Bürgern führt. Ich glaube, das ist das, was wir gerade erleben. Das geht so nicht. Deswegen ist es richtig, auch wenn jetzt die Zahlen sehr, sehr schwierig sind, erst einmal innezuhalten, gemeinsam sich ein Stück weit zu besinnen, noch mal einen Blick auf die Situation zu bekommen. Das heißt nicht, dass nicht diese Notbremse beiseitegeschoben wird und dass man nicht ganz intensiv darüber spricht, welche Optionen es gibt, aber ich bin sehr dagegen, Schuldzuweisungen untereinander vorzunehmen. Das gilt auch übrigens für das Verhältnis von Bürgern oder Unternehmen zu politisch verantwortlichen Trägern. Wir müssen zusammenhalten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.