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Atomtests im Pazifik
Frankreich erkennt radioaktive Erblasten an

Rund um das Muruoa-Atoll in Französisch-Polynesien zündete die französische Armee von 1966 bis 1996 insgesamt 193 Atombomben - mit schwerwiegenden Folgen für Menschen und Umwelt. Erst 20 Jahre nach Ende der Atomtests hat die französische Regierung die Auswirkungen jetzt anerkannt und verhandelt über Entschädigungen der Opfer.

Suzanne Krause im Gespräch mit Jule Reimer | 24.02.2016
    Eine Bucht in Tahiti mit dichter Vegetation und bizarr geformten Bergen, im Vordergrund ein typisches Auslegerboot mit Netzen von Fischern der einheimischen Bevölkerung. Aufnahme von 1985.
    Bis heute ist in den Lagunen Polynesiens radioaktive Strahlung nachweisbar. (picture alliance / dpa / Jack und Francoise Rocchio)
    Kennen Sie Französisch Polynesien? Das ist eine Ansammlung vieler kleinerer Inseln, Atolle und Archipele im südlichen Pazifik – irgendwo im Ozean gelegen, weit entfernt auf der einen Seite von Australien und auf der anderen Seite von Lateinamerika. Tahiti ist eine der Inseln – da kommen einem die schönen Bilder von Gauguin ins Gedächtnis. Zu Französisch Polynesien gehört aber auch das Muruoa-Atoll, wo Frankreichs Armee einst ihre Atombomben testete. Staatspräsident Francois Hollande ist jetzt zum ersten Mal in seiner Amtszeit in das französische Überseegebiet im Südpazifik gereist – und er hat zum ersten Mal für Frankreichs Regierung anerkannt, dass die französischen Atomtest dort schädliche Folgen für die Umwelt und die Gesundheit der Polynesier hatten, mit sozialen Folgen, die weit über die Zeit der Atomtests hinausgehen. Bei mir im Studio ist jetzt die Kollegin Suzanne Krause, die seit langem das traurige Thema der Atomtest mitverfolgt.
    Jule Reimer: Wie spektakulär ist Hollandes Bekenntnis?
    Suzanne Krause: Sie müssen sich vorstellen: 20 Jahre nach dem Ende der Atomtests in Polynesien ist es immer noch die offizielle Sprachregelung gewesen, dass die Tests für die Atombombe sauber waren, dass es keinerlei Auswirkungen für Mensch und Umwelt gegeben habe. Und es gibt noch manchen im Beraterkreis von Hollande, der noch kürzlich behauptet hat, in der Bretagne sei aufgrund der natürlichen Radioaktivität des Granitgesteins die Strahlenbelastung höher als das, was heute in den Atolls rund um die ehemalige Atomtestbasis in Polynesien gemessen wird.
    Reimer: Was genau waren das für Tests, die dort durchgeführt wurden?
    Krause: 1966 wurde die erste Bombe in Mururoa oberirdisch gezündet, nachdem Frankreichs Atomtestbasis von der algerischer Sahara nach Polynesien umgezogen war. Innerhalb von 30 Jahren wurden bis Januar 1996 insgesamt 193 Atombomben gezündet, davon 46 oberirdisch.
    Hohe Zahl von Leukämie und Brustkrebs
    Reimer: Welche Folgen hatten die Tests für die Menschen und die Umwelt?
    Krause: In Polynesien wird eine signifikant höhere Zahl von Leukämie-Fällen, also Blutkrebs, registriert, ebenso ein Übermaß an Fällen von Schilddrüsenkrebs, um nur zwei der bekanntesten Krankheiten anzusprechen, die auf radioaktive Verstrahlung zurückgeführt werden. Und überall in der Umwelt, teils weit entfernt von den Lagunen, wo die Tests durchgeführt wurden, ist immer noch eine überhöhte radioaktive Strahlung nachweisbar. Das ist neben der Belastung der Anwohner auch ein wirtschaftliches Problem: Polynesien würde sich gerne stärker entwickeln, das geht aber nur, wenn keine Strahlenschäden mehr auftreten können, wenn die - im wahrsten Sinne des Wortes - strahlende Erblast entsorgt worden ist. Auf dem Hao-Atoll beispielsweise - dort war während der Tests die Militärbasis angesiedelt – wollen chinesische Investoren eine Fischzucht aufziehen. Allerdings ist das Wasser dafür noch viel zu stark radioaktiv belastet.
    Reimer: Was ergibt sich praktisch aus Hollandes Bekenntnis, zum Beispiel bessere Entschädigungszahlungen?
    Krause: Um beim Beispiel Hao zu bleiben: Staatspräsident Hollande will dort die komplette Dekontaminierung, also Reinigung, in Auftrag geben. Auf der Hauptinsel Französisch-Polynesiens, auf Tahiti, soll endlich für 6 Millionen Euro ein richtiges Krankenhaus gebaut werden. Denn bislang müssen alle Krebspatienten zur Behandlung nach Frankreich reisen. Außerdem soll das Loi Morin, also das Gesetz über die Entschädigung von Atomtestopfer neugefasst werden. Dieses Gesetz ist seit zehn Jahren in Kraft und sehr restriktiv. Bei 1200 Anträgen, die inhaltlich dem Rahmen des Gesetzes entsprechen, sind nur 19 Opfer anerkannt worden, darunter lediglich fünf Polynesier.