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Attacke auf "Hürriyet"
"Das war ein Angriff auf die Pressefreiheit"

Auch wenn bei den Angriffen auf die Redaktion der Zeitung "Hürriyet" und der Zentrale der prokurdischen Partei HDP in Istanbul viele Anhänger der türkischen Regierungspartei AKP dabei waren, sieht der Deutschland-Korrespondent der "Hürriyet", Ahmet Külahci, keine direkte Verbindung zur türkischen Regierung: "Ich kann mir schlecht vorstellen, dass die Regierung diese Menschen organisiert", sagte er im DLF.

Ahmet Kühlahci im Gespräch mit Sandra Schulz | 11.09.2015
    Eine Ausgabe der türkischen Tageszeitung Hürriyet steckt in einem Zeitungsständer.
    Erdogan-Anhängern werfen der Zeitung "Hürriyet" vor, falsch über den Staatschef berichtet zu haben (dpa/picture-alliance/Wolfgang Moucha)
    Etwa 200 Sympathisanten der AKP hatten das Redaktionsgebäude der "Hürriyet" am Mittwochabend attackiert. Die Angriffe bezeichnete der Deutschland-Korrespondent der Zeitung, Ahmet Külahci, im DLF als "einen Angriff auf die Pressefreiheit". Die Demonstranten wollten die "Hürriyet" zum Schweigen bringen. Für ihn besonders skandalös war, dass offenbar auch ein Abgeordneter der AKP an der Attacke auf das Redaktionsgebäude beteiligt war. Trotzdem glaubt Külahci nicht, dass die türkische Regierung etwas mit den Attacken zu tun hat. Seiner Einschätzung nach handelt es sich um "verrückte Menschen, die die AKP unterstützen."
    Mit Blick auf die Situation zwischen türkischer Regierung und Kurden, rief er die Regierung dazu auf, die Friedensinitiative mit der türkischen Arbeiterpartei PKK fortzusetzen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte diese Ende Juli für beendet erklärt.

    Das Interview in voller Länge:

    Sandra Schulz: Ist die Türkei auf dem Weg hin zu einem Bürgerkrieg, oder ist sie schon da? Das ist die bange Frage rund um die Region. Seit einigen Wochen ist der Friedensprozess aufgekündigt zwischen der türkischen Regierung und der als Terrorvereinigung verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.
    Von 2.000 getöteten PKK-Kämpfern in den vergangenen Wochen spricht der türkische Präsident Erdogan. Mehr als 100 türkische Sicherheitskräfte und auch Zivilisten seien bei Anschlägen der PKK gestorben, das sind türkische Angaben. Viele Türken fühlen sich an die 90er-Jahre erinnert. Damals hatten die Kämpfe zwischen PKK und Regierung ihren bisherigen Höhepunkt, in der Sache natürlich eher einen Tiefpunkt.
    Auch gegen die oppositionelle Kurden-Partei HDP ist es in dieser Woche zu Ausschreitungen gekommen, wie auch gegen die regierungskritische Zeitung "Hürriyet". Über die Situation wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. In Konya in Anatolien haben wir Ahmet Kühlahci erreicht, der für die "Hürriyet" normalerweise aus Berlin berichtet. Guten Morgen.
    Ahmet Kühlahci: Guten Morgen. Hallo!
    "Diese Menschen versuchen, die Presse zum Schweigen zu bringen"
    Schulz: Herr Kühlahci, welchen Angriffen ist die "Hürriyet" oder war die "Hürriyet" jetzt ausgesetzt?
    Kühlahci: Es war leider so, dass letzte Woche am Sonntagabend circa 200 Sympathisanten der AKP unsere Hauptredaktion oder unser Hauptgebäude in Istanbul attackiert haben. Die haben mit Steinen geworfen und die Fensterscheiben kaputtgemacht und haben auch versucht, ins Gebäude reinzukommen. Aber Gott sei Dank ist es nicht so weit gekommen.
    Aber das war für mein Verständnis kein Angriff nur auf "Hürriyet"; das war ein Angriff auf die Pressefreiheit, weil auch unter diesen Menschen, unter den Protestierenden war auch ein AKP-Abgeordneter. Ich meine, dass ein frei gewählter Abgeordneter als Anführer sozusagen dort vor einem Pressegebäude steht und sagt, ihr sollt nicht mehr schreiben, was uns nicht passt, das ist unmöglich in einem demokratischen Rechtsstaat.
    Schulz: Sie gehen davon aus, dass diese Proteste durchaus auch von der AKP gelenkt sind?
    Kühlahci: Das würde ich nicht unbedingt behaupten. Aber es sieht ohne Weiteres danach aus. Das heißt, das war, wie ich gesagt habe, ein AKP-Abgeordneter, der als Anführer dort vorstand, und von daher kann man davon ausgehen, dass diese Menschen doch versuchen, die Presse zum Schweigen zu bringen.
    Aber "Hürriyet" existiert seit 67 Jahren in der Türkei. Keine Regierung hat es bis jetzt geschafft, "Hürriyet" zum Schweigen zu bringen oder unsere Kollegen zum Schweigen zu bringen. Ich gehe auch davon aus, dass auch diese Regierung das nicht schafft.
    "In einem demokratischen Land kann es keine solchen Anschläge geben"
    Schulz: Unter welchen Bedingungen arbeiten Ihre Kollegen dort jetzt?
    Kühlahci: Gott sei Dank sehen wir dort wenig Schwierigkeiten. Alle Kollegen machen weiter wie bisher und ich bin davon überzeugt, dass sie auch sehr couragiert und sehr vernünftig wie bisher weitermachen werden.
    Schulz: Sie sagen, es hat einen AKP-Abgeordneten gegeben unter den Demonstranten vor der "Hürriyet". Es gibt andererseits die Äußerung von Regierungschef Davutoglu, der sagt, dass solche Angriffe auf die Oppositionspartei HDP inakzeptabel seien. Ist das denn wirklich so klar und gibt es Beweise dafür, dass die AKP oder die Regierung dahinter steckt?
    Kühlahci: Wie ich vorhin gesagt habe: Ich kann es mir schlecht vorstellen, dass die Regierung diese Menschen so organisiert, dass sie die attackieren. Nein, das will ich nicht unterstellen. Aber wie gesagt, das sind verrückte Menschen, die dort sich für die AKP stark machen, und diejenigen, die ihnen nicht passen, zum Schweigen bringen wollen. Ich meine, das ist unmöglich.
    Ich kann es mir gut vorstellen, dass der Ministerpräsident Davutoglu das ernst meint, dass er sofort die Anschläge auf HDP-Büros als auch auf "Hürriyet" oder die anderen Zeitungen und Zeitschriften nicht gut findet und nicht gut heißen kann, weil in einem Land, das sich demokratisch nennt, und in einem Staat, der sich demokratischer Rechtsstaat nennt, kann es keine solchen Anschläge geben.
    "Man kann nicht wählen lassen, bis man eine Mehrheit bekommt"
    Schulz: Sie haben es gerade schon gesagt: Diese Angriffe gibt es auch gegen HDP-Büros. Das ist die kurdische Oppositionspartei. Jetzt steht die Türkei ja vor Neuwahlen. Für November sind die angesetzt. Wird das der HDP denn politisch nützen, dass sie jetzt so unter Druck gerät?
    Kühlahci: Ich weiß nicht, was die AKP damit überhaupt beabsichtigt. Die wollen wahrscheinlich wieder die Wahlen gewinnen. Das will ja jede Partei. Aber die AKP will ja, dass sie wieder in der Türkei alleine regieren. Aber die ganzen Umfragen zeigen, dass das nicht der Fall sein wird.
    Ich gehe davon aus, dass die HDP doch wieder ins Parlament kommt, aber auch die anderen Parteien, sowohl die CHP, also die republikanische Volkspartei, als auch die nationalistische Partei MHP, ins Parlament kommen. Deswegen wird wahrscheinlich die AKP eine Mehrheit alleine nicht haben und von daher gehe ich davon aus, dass die HDP auch keinen Schaden bekommt von diesen Auseinandersetzungen.
    Schulz: Aber wie geht es dann weiter? Das Problem war ja jetzt auch, dass eine Regierungsbildung gescheitert ist an den Mehrheitsverhältnissen. Wird dann noch mal gewählt?
    Kühlahci: Das wäre doch unmöglich, dass innerhalb eines Jahres oder innerhalb sechs Monaten in der Türkei dreimal gewählt wird. Nein, man kann doch nicht, bis man eine eigene Mehrheit bekommt, wählen lassen. Das geht doch nicht. Wie gesagt, das sind die demokratischen Parteien, die alle demokratisch gewählt werden, und von daher müsste die AKP doch versuchen, mit anderen Parteien sich zusammenzutun und eine Koalition zu bilden.
    Wir sehen ja, dass in der Bundesrepublik Deutschland von Anfang an der Staat mit Koalitionsregierungen geführt wird, und von daher sollte das auch in der Türkei möglich sein. Das ist doch unmöglich, wie ich gesagt habe, dass man immer wieder wählen lässt.
    "Die Friedensinitiative muss weitergeführt werden"
    Schulz: Was heißt das alles denn jetzt für die Eskalation, die Gewalt rund um die PKK, diese neu aufgeflammten Kämpfe? Gibt es die Restchance oder Resthoffnung, wenn das politische Setting ein bisschen gesetzter ist, dass das dann auch wieder zurückgeht?
    Kühlahci: Ich hoffe es sehr, dass sowohl die PKK mit diesen Anschlägen aufhört, mit diesem Terror aufhört. Ich meine, das bringt nichts. Das bringt weder den Kurden was noch den anderen Minderheiten und den Türken. Von daher muss man mit dem Terror aufhören und darüber hinaus muss man selbstverständlich auch mit der Friedensinitiative wieder weitermachen.
    Es hat keinen Sinn, dass man diese Friedensinitiative für beendet erklärt. Nein, das muss so weitergeführt werden. Das hat auch Gott sei Dank der Ministerpräsident Davutoglu gesagt: Nein, die Friedensinitiative ist nicht beendet, das wird weitergeführt, obwohl der Staatspräsident Erdogan gesagt hat, dass die Friedensinitiative zu Ende sei, beendet sei. Aber wie ich gesagt habe, die Friedensinitiative muss durchgeführt werden, weitergeführt werden, damit in der Türkei wieder Ruhe herrscht.
    Schulz: Ahmet Kühlahci, Kolumnist der türkischen Zeitung "Hürriyet", hier heute in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.