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Attentat in Charleston
"Wir brauchen strengere Waffengesetze"

Als "Akt der Grausamkeit" bezeichnete die US-Politikwissenschaftlerin Joyce Mushaben das Attentat auf eine Kirche in Charleston, South Carolina. Sie forderte im Deutschlandfunk strengere Waffengesetze und kritisierte den starken Einfluss der Waffenlobby auf die US-Politik.

Joyce Mushaben im Gespräch mit Friedbert Meurer | 19.06.2015
    Der mutmaßliche Schütze von Charleston auf einem von der Polizei veröffentlichten Foto.
    "Wie können diese jungen Männer Zugang zu diesen Waffen haben?", fragte die amerikanische Politologin Joyce Mushaben im Interview mit dem Deutschlandfunk. ( CHARLESTON PD / AFP)
    Aufgrund der Macht der National Rifle Association sei eine Veränderung des Waffenrechts in den Vereinigten Staaten kaum zu erreichen, sagte Mushaben. Außerdem würden fast 40 Prozent der Waffen in Amerika durch private Käufe erworben, unterlägen also überhaupt keinen offiziellen Kontrollen.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Vor knapp einem Jahr brachen in der Kleinstadt Ferguson im Bundesstaat Missouri schwere Unruhen aus. Ein weißer Polizist hatte gerade einen schwarzen jungen Mann erschossen. Seitdem gibt es immer neue ähnliche Meldungen aus den USA. Aber jetzt in den letzten Tagen die unglaubliche Nachricht: Ein Weißer dringt in eine Kirche ein, geschehen in Charleston im Bundesstaat South Carolina, in den Südstaaten, erschießt alles in allem neun schwarze Gläubige. Und die Polizei geht von einer rassistisch motivierten Tat aus. - Joyce Mushaben ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Saint Louis, was nur wenige Kilometer von Ferguson entfernt liegt. Zurzeit studiert sie in Berlin hier in Deutschland und dort erreichen wir sie auch. Guten Morgen, Frau Mushaben.
    Joyce Mushaben: Guten Morgen, Herr Meurer.
    Meurer: Was haben Sie gedacht, als Sie von dieser Wahnsinnstat gehört haben?
    Mushaben: „It's the gun stupid!" Ich bleibe eigentlich beim Thema und ich fand die Rede von Präsident Obama auch sehr treffend. Ich finde, dieser Akt der Grausamkeit hat eine ganz andere Qualität als die Ereignisse, die wir da in Ferguson, in Baltimore und sonst wo gesehen haben. Ich frage mich: Wie kommt es denn immer wieder, dass ausgerechnet junge weiße Männer - dieser Mann, der ist jünger als mein Sohn - Zugang zu diesen Waffen haben, wo sie denn alle möglichen Problemen austragen können auf diese Art und Weise.
    Meurer: Also das Waffenrecht ist der entscheidende Punkt?
    Mushaben: Für mich eigentlich schon. Wir haben das letzte Mal über diesen strukturellen Rassismus geredet, über Bildungssysteme und so weiter und so fort. Aber diese Art Hassverbrechen hat eine ganz andere Qualität, weil das auch eine lange Geschichte hat, verwurzelt in dieser Ku-Klux-Klan-Bewegung. South Carolina ist natürlich ein Südstaat, der eine lange Geschichte mit der Sklaverei hat. Was auch tragisch ist: Ausgerechnet in dieser Kirche, die sich immer aktiv für die Bürgerreichte eingesetzt hat, da haben sie jetzt die Führungsschicht verloren sozusagen. Aber diese Art des Rassismus, dass es Einzelgänger sind - früher waren das Ku-Klux-Klan-Männer als Gruppen, die gegen Schwarze vorgegangen sind. Aber wo dieser junge Mann diese Einstellung her hat, das frage ich mich auch ernst.
    Meurer: Bei diesem Thema Waffen, Frau Mushaben, sind in South Carolina, in den Südstaaten die Waffen besonders verbreitet? Gibt es da einen besonderen Waffenkult?
    Mushaben: Das kann man nicht so sagen. Wir haben zwar vier Gesetze auf der Bundesebene, aber die Waffen als solche, trotz unserer Verfassung, werden tatsächlich von den einzelnen Bundesländern geregelt. Und das Problem ist, dass es zwar etwa 123.000 Gun Dealers gibt, wo man wirklich die Waffe registrieren muss, und da gibt es dann auch diese sogenannten Background Checks, wo geprüft wird, ob der Mensch psychisch stabil ist und so weiter. Aber 40 Prozent der Waffen in Amerika werden anhand von Privatverkäufern ergattert, und da kann man überhaupt nichts kontrollieren.
    Meurer: Bei der Motivsuche, was den Täter dazu getrieben hat, eine solche Tat zu begehen, Frau Mushaben. Zeugen sagen, er hat folgendes ausgerufen in der Kirche: „Ihr vergewaltigt unsere Frauen und ergreift die Macht in unserem Land und ihr müsst weg."
    Mushaben: Ja.
    Meurer: Wie interpretieren Sie diesen Satz?
    Mushaben: Ich würde sagen, der beruft sich natürlich auf genau diese Einstellung von Ku-Klux-Klan und den anderen White Supremacy Groups, die wie gesagt diese sehr lange Geschichte haben. Die gehen ja ins 17., 18. Jahrhundert zurück. Aber dass so ein junger Mann auf eine solche Einstellung gekommen ist? Ich frage mich auch: Der musste das entweder übers Internet haben, oder wo sind denn seine Eltern gewesen. Aber das sind Sprüche, die ich von keinem 21jährigen erwarten würde.
    Meurer: Diese White Supremacy Groups, also Gruppen, die von der weißen Vorherrschaft träumen, wie verbreitet ist das denn noch in den Südstaaten?
    Mushaben: Das kann man schlecht beurteilen und einschätzen, weil das natürlich eher kleinere Gruppierungen sind. Inzwischen haben sie sich ein bisschen spezialisiert sozusagen. Es gibt die sogenannten Survivor Groups, die hat man eher in den westlichen Bundesländern. Aber der Ku-Klux-Klan als solcher ist natürlich gesetzlich untersagt und diese Hassverbrechen werden dann regelrecht erforscht, Statistiken werden gesammelt und so weiter. Aber so ein Einzeltäter kann sich auf die Tradition berufen. Das heißt aber nicht unbedingt, dass der irgendwie mit anderen da organisiert ist oder Zugang dazu hat. Meine Vermutung wäre, dass er das eher aus dem Internet hat.
    Meurer: Was ist der Schlüssel, um den Rassenhass zu dämpfen. Sie haben eben darauf angesprochen, wir hatten schon mal vor einiger Zeit, als das in Ferguson passierte, miteinander gesprochen. Bessere Bildung für die Schwarzen, mehr soziale Aufstiegschancen, damit es nicht zu Gettos und Kriminalität kommt?
    Mushaben: Das ist nicht das Hauptproblem mit den Waffen, denn ich meine, die Schwarzen in diesem Fall sind die Opfer und nicht diejenigen, die auf die Straßen gehen. Was wir tatsächlich brauchen sind strengere Waffengesetze und die werden wir kaum kriegen, denn diese National Rifle Association trägt mächtig zu den politischen Kampagnen bei - und ich rede jetzt von dem Geld -, die unsere Politik auch betreibt. Es läge an den einzelnen Bundesländern, solche Gesetze zu fassen.
    Meurer: Was würden Sie denn, Frau Mushaben, Weißen sagen, die darüber klagen, in schwarzen Vierteln ist aber die Gewalt ganz besonders verbreitet?
    Mushaben: Das ist wahr in den schwarzen Vierteln. Aber das hat eine andere Qualität als das, was wir da in South Carolina gesehen haben. South Carolina hat in den letzten zehn Jahren etwa 150.000 Leuten dazugesetzt. Das Durchschnittseinkommen und Medieneinkommen ist ein bisschen darüber hinaus, was den nationalen Durchschnitt betrifft. Die Arbeitslosigkeit liegt bei etwa fünf Prozent, wahrscheinlich ein bisschen höher in den schwarzen Vierteln, und das ist eine Gemeinde, die tatsächlich im Kommen ist. Es sollte dort wirtschaftliche Gelegenheiten für mehrere Menschen geben und es ist die Frage, warum dieser 21jährige auch arbeitslos gewesen ist und so viel freie Zeit hatte, dass er sich mit solchen Themen auseinandersetzen konnte.
    Meurer: In den USA sorgt eine Amoktat für Entsetzen. Ein 21jähriger Weißer hat in einer Kirche in South Carolina neun schwarze Gläubige erschossen. - Joyce Mushaben ist Politikwissenschaftlerin in den USA. Frau Mushaben, danke schön und auf Wiederhören nach Berlin.
    Mushaben: Recht herzlichen Dank. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.