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Attraktive Brennpunkte
Die Wohnblocks der 50er-Jahre

Früher lagen sie am Rand der Stadt: die Wohnsiedlungen der 50er-Jahre. Inzwischen stehen viele Siedlungen nun in attraktiven Wohnlagen. Doch wie saniert man diese oft sehr maroden Gebäude?

Von Ingeborg Breuer | 28.11.2013
    Auf Balkonen eines 50er-Jahre-Mietshauses in Kassel sind zahlreiche Satellitenschüsseln installiert.
    Die Sanierung der alten Siedlungen könnte viel Wohnraum schaffen (picture alliance/dpa/Uwe Zucchi)
    "Wie gehen wir mit dem Gebäudebestand der Nachkriegszeit um? Das hat baukulturelle Ebenen, das hat energetische Ebenen, das hat soziale Ebenen. Das hat viel damit zu tun, wie es uns gelingt, den Zyklus dieser Nutzung zu erneuern."
    "Das Wohnungsbauerbe der 1950er bis 1970er Jahre" heißt ein Forschungsprojekt, das im Auftrag der Wüstenrot-Stiftung von Wissenschaftlerinnen der Hochschule für Technik in Stuttgart durchgeführt wurde. Denn ein großer Teil des heutigen Wohnungsbestandes stammt aus der Nachkriegszeit. Christina Simon-Philipp, Professorin für Stadtplanung in Stuttgart:
    "Was man sich noch mal klarmachen muss, dass mehr als 50 Prozent des Wohnungsbaus nach dem Krieg entstanden ist. Und ein ganz großer Teil davon in den 50er- bis 70er- Jahren"
    Von den Mietwohnungen stammen sogar über 70 Prozent aus den ersten Nachkriegsjahrzehnten. In dieser Zeit entstanden Wohnquartiere, die den damaligen Ideen des modernen Städtebaus folgten.
    "Die wurden nach Leitbildern gebaut, die damals für die Zeit typisch waren. In den 50er Jahren das Leitbild die gegliederte und aufgelockerte Stadt, die Quartiere sind durch Zeilengebäude gekennzeichnet. Und dann in den 60er und 70er Jahre dann nach dem Leitbild ‚Urbanität durch Dichte‘, da hat man die größeren höheren Wohngebäude, Hochhäuser gebaut, großmaßstäbliche Strukturen, die dann in die Kritik geraten sind."
    Nicht jene Großsiedlungen mit mehreren Tausend Wohnungen, die heute als soziale Ghettos verrufen sind, standen im Fokus des Forschungsprojekts, sondern eher kleinere, überschaubare Quartiere, die häufig im sozialen Wohnungsbau errichtet wurden, oft an den Rändern der Städte. Heute erscheinen sie grau, gestaltungsarm, in die Jahre gekommen: unscheinbar, aber keineswegs unproblematisch, oftmals zum Sammelbecken für sozial Schwache geworden.
    "Es gibt Quartiere, die eher homogen und auch sehr monoton sein können. Es gibt auch eine fehlende Raumbildung, keine Definition von öffentlichen und privaten Räumen, das Abstandsgrün wird wenig genutzt. Wir haben in den meisten Quartieren auch Baumängel, veraltete Gebäudetechnik, unzeitgemäße Grundrisse und dadurch auch einen drohenden Werteverfall. "
    Da wo Städte schrumpfen, können solche Quartiere schnell zu sozialen Brennpunkten werden oder es kommt zu Leerständen. Investitionen in die Bausubstanz lohnen sich dann oft nicht mehr und manchmal kann Abbruch die bessere Lösung sein.
    "Ich denke, dass man in schrumpfenden Regionen nicht um einen gesamtstädtischen Stadtumbauplan umhinkommen wird, wo man ganze Bestände vom Markt nehmen muss, gerade die sehr schlecht erschlossenen."
    Zugleich allerdings, darauf weist Christina Simon Philipp hin, bergen diese Quartiere durchaus Potenziale.
    "Früher oft am Rand der Kernstädte gebaut, inzwischen eingewachsen, meistens geprägt durch großzügige Freiflächen, mittlerweile auch mit alten Baumbeständen. Sie sind durchgrünt mit sehr guter Belichtung der Wohnungen."
    Gerade in den nach wie vor prosperierenden Städten, wo preiswerter Wohnraum dringend benötigt wird, geht es deshalb darum, solche in die Jahre gekommene Wohnviertel an heutige Anforderungen anzupassen. Denn sie gehören zu den wenigen verbliebenen Möglichkeiten, stadtnah und zugleich preiswert wohnen zu können. Doch, damit solche Wohnstandorte attraktiv bleiben, so Dr. Stefan Krämer von der Wüstenrot-Stiftung:
    "… sind energetische Optimierungen notwendig. Das zweite ist, dass viele dieser Gebäude noch auf einen anderen Haushaltstyp ausgerichtet sind, deshalb brauchen wir oft Grundrissveränderung zumindest im Sanitärbereich. Es gibt drittens oft wenig Barrierefreiheit sowohl im Wohngebiet als auch in den Gebäuden selbst. Es gibt eine ganze Reihe Gebäude, die auch keine Balkone haben, was heute dazugehört."
    Anhand von zehn sanierten Wohnquartieren quer durch Deutschland untersuchten die Stuttgarter Wissenschaftlerinnen, wie der Gebäudebestand der ersten drei Nachkriegsjahrzehnte weiter entwickelt werden könnte. Klar wurde dabei, dass es den einen Weg nicht gibt. In manchen Fällen war die Gebäudestruktur so marode, dass sie sich nicht mehr kostenadäquat sanieren ließ. Da half nur Abriss und Neubau, wenn auch unter Respektierung der städtebaulichen Strukturen der 50er-Jahre. Oder es wurde "nachverdichtet"; so der Terminus technicus, z.B. indem vorhandene Gebäude aufgestockt wurden. In anderen Fällen wurde eine altengerechte Sanierung der Quartiere betrieben, Zugänge wurden barrierefrei umgebaut, Aufzüge eingebaut.
    "In Bremerhaven haben wir Quartiere, wo‘s darum ging, auch die älteren Bewohner da wohnen zu lassen. Es gibt aber auch andere Quartiere, wo gewünscht ist, dass junge Familien da wohnen. Man versucht auch, die sehr einseitige Wohnungsstruktur - also nur Zwei- oder Dreizimmer der 50er Jahre - auszudifferenzieren in größere und kleinere Wohnungen, sodass man Wohnungen für vielfältige Gruppen anbietet.
    Oft sind die Sanierungen eine Gratwanderung. Einerseits versucht man, die Attraktivität der Wohngebiete zu erhöhen, andererseits muss man aber die Bedürfnisse und vor allem finanziellen Möglichkeiten der ansässigen Bewohner im Auge behalten. Denn keinesfalls soll die angestammte Bevölkerung durch Mitpreiserhöhungen verdrängt werden."
    "Also nicht in ein hochpreisiges Segment übergehen, sondern für die Haushalte verfügbar bleiben, die kein besonders hohes Einkommen haben. Da geht’s fast immer um Haushalte mit Kindern, also Alleinerziehende, dann auch Familien mit Kindern, die nur ein Erwerbseinkommen haben. Und als dritte große Gruppe sind es die Älteren, vor allem die älteren Alleinstehenden, darunter vor allem die Frauen, die ein relativ geringes Renteneinkommen haben."
    Das Stuttgarter Projekt will den Blick von Kommunen und Wohnungsbaugesellschaften auf solche für die soziale Mischung der Städte unverzichtbare Quartiere lenken, um Strategien für deren Entwicklung aufzuzeigen. In Zeiten knapper Kassen der Kommunen eine große Herausforderung. Doch eine, wie Christina Simon Philipp meint, die sich lohnen wird.
    "Unsere These ist, wenn man sich frühzeitig um diese Quartiere kümmert, dass dann große Chancen bestehen, sie in positivem Sinne auch weiterzuentwickeln und sie als attraktive Wohnstandorte weiter zu erhalten."