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Auch Bahnlärm macht krank

Für das ehemalige Bundesunternehmen Bahn gelten noch einige Sonderrechte: So dürfen Züge im Vergleich zum Straßenverkehr mehr Lärm erzeugen. Um Anwohner zu entlasten, hat der Bundestag beschlossen, diesen "Schienenbonus" abzuschaffen - es fragt sich nur, wann.

Von Daniela Siebert | 30.11.2012
    Bahnlärm kann krankmachen. Jedenfalls, wenn man nah an den Gleisen wohnt, sagt Manfred Beck, der die Bundesvereinigung gegen Schienenlärm in Berlin vertritt, und beruft sich auf Studien:

    "Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse beweisen, dass in der Nähe von Bahnstrecken die Erkrankungsrate an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vegetativen Nervenstörungen wesentlich höher ist, als beispielsweise außerhalb dieser Gebiete."

    Besonders laut seien die Güterzüge, so der Berliner, vor allem wenn sie leer sind.

    Trotzdem wurden Güterzüge beim Lärmschutz bislang bevorzugt behandelt. Im Vergleich zum Straßenverkehr schenkte man der Bahn einfach fünf Dezibel, die bei der Lärmbemessung nicht berücksichtigt wurden: der sogenannte Schienenbonus. Dazu Enak Ferlemann, CDU-Politiker und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium.

    "Man ging früher davon aus, dass ein Zug gelegentlich kommt, also gewisse Spitzen in der Lärmbelastung hat, aber auf die Dauer nicht und deswegen hat man gesagt, um planerisch diese Spitzen nicht zu deutlich in den Planungen zum Ausdruck bringen zu müssen, dass man das mit einem Bonus rechtfertigt und dann die Auflagen nicht so hoch sind, wie sie sonst wären, wenn es den Bonus nicht gäbe."

    Diese Einschätzung gilt inzwischen als überholt. Es fahren viel mehr Güterzüge, vor allem nachts, und es sollen noch mehr werden. Deshalb schafft die Bundesregierung den "Schienenbonus" nun ab. Besser gesagt bald, denn bis die gestrige Bundestagsentscheidung greifen könnte, dauert es noch etwas. Erst muss noch der Bundesrat zustimmen. Start laut Enak Ferlemann daher voraussichtlich:

    "Mit der Verabschiedung des nächsten Schienenwegeausbaugesetzes, wir gehen davon aus, dass wir 2015 den Bundesverkehrswegeplan vorlegen, 2016 die Ausbaugesetze, sodass ich mal heute prognostizieren würde: ab 1.1.2017 ist der entfallen."

    Auch die Bündnisgrünen in der Opposition wollen den "Schienenbonus" los werden. Aber nicht so. Denn das werde alles viel länger dauern als Ferlemann kalkuliert glaubt die bahnpolitische Sprecherin der bündnisgrünen Bundestagsfraktion Valerie Wilms.

    "Die Bundesregierung will das zum Sankt-Nimmerleins-Tag abschaffen und wir wollen es sofort abschaffen. Alle Schienenstrecken, die im Planfeststellungsverfahren begonnen haben, vor diesem Stichtag, wo dieses Schienenausbaugesetz kommt, die unterliegen alle noch dem alten Recht mit Schienenbonus! Also wir haben noch locker dann 40 Jahre da dran zu arbeiten. Es ist eine echte Lachnummer."

    Der Aktivist Manfred Beck sieht das Vorgehen der Bundesregierung gelassener und merkt an, die Grünen hätten selbst nicht am Schienenbonus gerüttelt, als sie die Macht im Bund hatten.

    "Wichtig ist dass, man erkannt hat in der Politik, dass hier der falsche Weg in den vergangenen Jahren gegangen wurde."

    Ganz in diesem Sinne gefällt ihm auch eine Neuerung, die zum Fahrplanwechsel am 9. Dezember greifen wird: der lärmabhängige Trassenpreis. Enak Ferlemann:

    "Da wo wir ihn auf den Strecken einführen, muss derjenige, der mit lauten Güterzügen fährt, mehr bezahlen, als derjenige, der mit leisen Güterzügen fährt und derjenige wird belohnt und bekommt Geld aus dem, was der andere mehr bezahlt, und kann davon Waggons umrüsten."

    Umrüsten: Das heißt von den verbreiteten alten lauten Bremsbelägen auf die moderneren leisen, die sogenannten K-Sohlen.

    Zu kurz gesprungen kritisiert abermals die bündnisgrüne Opposition. Valerie Wilms.

    "Da gibt es Lärmbonus, der so um die 0,5 bis 1 Cent betragen soll, pro Achskilometer, ja, wenn man das richtig machen will, dann muss man eine saubere Spreizung, eine ausreichend große Spreizung haben, zwischen den Preisen, den die lauten Züge bezahlen müssen und denen, die die leisen Züge bezahlen müssen. So. Da hat sich die Bundesregierung aber nicht rangetraut."

    Was der wichtigste Akteur in Deutschland von all diesen Veränderungen hält, war gestern nicht zu erfahren. Der Konzern Deutsche Bahn AG sah sich nicht in der Lage dazu, einen Interviewpartner zu stellen. Schon vor Monaten hatte Bahn-Chef Rüdiger Grube immerhin geäußert. Zitat:

    "Die Verringerung des Schienenverkehrslärms ist gemeinsames Ziel von Bundesregierung und DB AG."

    Das Bundesverkehrsministerium hat noch diverse weitere Lärmminderungsmaßnahmen im Köcher, darunter ein Beihilfe-Programm zur Umrüstung auf K-Sohlen sowie regionale Entlastungen.