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Auch das Gehirn hat ein Geschlecht

Dass auch das Gehirn von Frauen und Männern verschieden arbeitet, wurde bei einer Tagung an der Universitäts-Klinik in Tübingen deutlich. Forscher erwarten deshalb für die Zukunft geschlechtsspezifische Therapieverfahren.

Von Cajo Kutzbach | 15.07.2010
    Männer und Frauen verstehen sich während des Verliebtseins meist recht gut, aber im Alltag zeigt sich, dass sie unterschiedlich denken. Wenn dann Kinder kommen, scheint das gegenseitige Verstehen noch mehr nachzulassen. In Wirklichkeit funktionieren die Gehirne von Mann und Frau verschieden. So liest er Autozeitschriften, sie Mode- oder Klatschblätter. Bilder von Gehirnaktivitäten haben das jüngst bestätigt.

    Professor Larry Cahill von der Irvine Universität in Kalifornien legte Männer und Frauen in einen Gehirnscanner und zeigte ihnen dabei einen Film:

    "Wir fanden einen Unterschied zwischen der Aktivität der Amygdala genannten Strukturen - während Personen ein gefühlvolles Ereignis erlebten - und der späteren Erinnerung an dieses Ereignis. Die beiden Amygdala in der rechten und linken Gehirnhälfte führten bei Männern und Frauen nicht auf die gleiche Weise zur Erinnerung. Die linke Amygdala war bei Frauen deutlich mit Erinnerung verknüpft, aber nicht bei Männern, die rechte bei Männer, aber eben nicht Frauen. Dieses Ergebnis weckte mein Interesse für Geschlechter-Unterschiede bei Gehirnfunktionen."

    Da die Gehirnregion mit dem Namen Amygdala, oder zu deutsch Mandelkern, mit vielen Bereichen in ihrer Gehirnhälfte verbunden und für das Lernen wichtig ist, weist schon dieser Befund darauf hin, dass sich die Gehirne von Männern und Frauen sicherlich verschieden entwickeln.

    Bei Frauen ändert sich die Gehirnaktivität bei Tests innerhalb des monatlichen Zyklus'. Wenn man das bei Studien nicht berücksichtigt, werden sie ungenau. Auch die Pille bewirkt Veränderungen in der Wahrnehmung, sodass Larry Cahill dies bei zukünftigen Tests berücksichtigen wird.
    Marina Pavlova, Professorin an der Kinderklinik der Universität Tübingen skizziert, woran seit wenigen Jahren geforscht wird:

    "Männer können viel besser parken, oder sie können besser einen Weg von Punkt A zu Punkt B finden, aber wir denken auch, dass Frauen zum Beispiel besser in soziale Kognition sind. Aber wir wissen noch nicht genau, welche Gehirnareale für diese Fähigkeit verantwortlich sind."

    Da das Gehirn ziemlich kompliziert ist, ergibt das eine Menge Arbeit für die Forscher, die aber auch sehr wichtig ist. Ein Beispiel für die Bedeutung von Wahrnehmung:

    "Körpersprache lesen ist sehr wichtig für uns. Auch, weil zum Beispiel, wenn wir verbal miteinander kommunizieren, dann können sie diese Information - Information flow - sehr gut kontrollieren. Aber unsere Körperbewegung können wir nicht so gut kontrollieren. Und natürlich dann wir können sozusagen sehen oder lesen, wenn man wirklich irgendwelche falschen Informationen uns vermitteln will."
    Da kleine Kinder sehr viel über die Nachahmung lernen, untersuchte Marina Pavlova mit einer ganz einfachen Figur aus Punkten, die an eine Tür klopft, ob Frauen und Männer die Stimmung dieser Figur an der Bewegung ablesen können:

    "Wir haben gefunden, dass zum Beispiel, wenn man bei Frauen und Männer Magnetoenzephalographie macht, dann sind diese Gehirnantworten bei Frauen einfach schneller und stärker, als bei Männern. Das bedeutet wahrscheinlich: Frauen sind nur einfach sensibler für soziale Stimulation."

    Einerseits wäre das leicht zu erklären, weil schon die Steinzeitmenschen bei der Brutpflege darauf angewiesen waren, das Befinden des Kindes anhand seiner Bewegungen und Mimik zu erkennen, solange es noch nicht sprechen kann. Andererseits scheint das Entwickeln einer Art "sozialen Gehirns" auch vor Krankheiten zu schützen.

    Kevin Pelphrey, Professor für Kinderpsychologie an der Yale-Universität, arbeitet an Verfahren zur Autismus-Früherkennung. Bei Mädchen ist Autismus nämlich seltener:

    "Es gibt eine mindestens vier Mal größere Wahrscheinlichkeit für Jungens, Autismus zu bekommen. Mädchen zu sein, wirkt wie ein Schutzfaktor. Einer der neurobiologischen Mechanismen, warum das so ist, scheint, dass sie früher ein "Soziales Gehirn" entwickeln, oder die Gehirnfunktionen für soziales Verhalten. Im Schnitt können sie ein robusteres Gehirn entwickeln und damit den Schutz vor Autismus. Sie sind wirklich das stärkere Geschlecht, vor allem, wenn es um die Neigung zu Verhaltensstörungen geht. In dieser Hinsicht wäre ich lieber eine Frau."

    Autismus nimmt zu. Gelingt es ihn, früher zu erkennen, ehe er sich durch Verhaltensveränderungen zeigt, könnte das helfen, die Folgen zu mildern. Eine Möglichkeit böten Hirnscans im Schlaf, denn das Gehirn von Autisten zeigt deutliche Veränderungen gegenüber gesunden Zwillingsgeschwistern, die dasselbe genetische Risiko haben.

    Nicht nur bei Autismus findet man je nach Geschlecht eine ungleichmäßige Verteilung von Krankheiten. Larry Cahill berichtet von einem Wissenschaftler, der bei 95 Prozent der Bilder die die Struktur eines Gehirns zeigen, sagen kann, ob es einer Frau oder einem Mann gehört. Für ihn ist deshalb klar: "Sex matters", also das Geschlecht spielt eine Rolle bei der Entstehung und damit auch bei der Therapie von Krankheiten. Er ist überzeugt, dass diese Forschung in Zukunft durch maßgeschneiderte geschlechts- und personenspezifische Therapien bessere Heilung ermöglicht:

    "Absolut! Das bedeutet: Langfristig können wir optimal angepasste Therapien für jeden Patienten entwickeln. Ganz genau, das bedeutet es!"