Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


"Auch der Mensch ist ein Tier"

Menschen unterscheiden sich durch die aktive Gestaltung einer kulturellen Umwelt und die Möglichkeit der Abstraktion von anderen Wesen, sagt der Philosoph Markus Wild. Dennoch sei der Mensch selbst nur eine sehr spezielle Tierart.

Markus Wild im Gespräch mit Dina Netz | 03.10.2012
    Dina Netz: Am 3. oder 4. Oktober 1226 starb der Heilige Franz von Assisi – die katholische Kirche gedenkt seiner am 4. Oktober. Und in Erinnerung daran, dass er die Weihnachtskrippe mit lebenden Tieren gestaltete, dass er den Vögeln predigte, ist der 4. Oktober inzwischen Welttierschutztag. Der Tag soll uns Menschen an unsere Verantwortung gegenüber den Tieren erinnern (übrigens direkt nach dem Weltvegetariertag, der schon vorgestern war). Keine Sorge, ich will Ihnen jetzt nicht am frühen Morgen den Schinken vom Brot schwatzen.

    Uns geht es jetzt im Gespräch mit dem Philosophen Markus Wild um die Frage: Was kann der Mensch eigentlich vom Tier wissen? Markus Wild ist SNF-Förderprofessor an der Universität von Fribourg in der Schweiz. Und er hat eine ganze Reihe Texte zum tierischen Geist und Denken veröffentlicht, unter anderem eine "Einführung in die Tierphilosophie". Herr Wild, lassen Sie uns ein bisschen in die Geschichte blicken: Dass wir uns vom Tier durch die Massentierhaltung entfremdet haben, ist offensichtlich. Aber die Forderung nach Tierrechten ist schon viel älter, sie geht zurück bis in die Aufklärung. Was steckte denn damals dahinter?

    Markus Wild: Wir haben in der frühen Neuzeit sehr früh viele Autoren, ganz bekannt ist der französische Philosoph, Michel de Montaigne, der sich mit dem Unterschied zwischen Mensch und Tier beschäftigt hat und der hat versucht zu zeigen, dass eigentlich so ein richtiger Unterschied gar nicht aufzufinden ist. Und der hat angefangen darauf zu fordern, dass wir mit dem Tier nicht alles machen dürfen, was uns gerade so einfällt. Das unterstehe nicht unserer Willkür. Und er hat dafür die Formel geprägt: Wir schulden den Menschen Gerechtigkeit, den Tieren schulden wir Wohlwollen. Das war so ein erster Ansatz, vielleicht nicht für Tierrechte, aber für eine Tierethik, dass wir, weil es gewisse Ähnlichkeiten zwischen uns und ihnen gibt, wir auch, sozusagen das moralische Verhalten, das wir, sagen wir Kindern angedeihen lassen, vielleicht auch Tieren angedeihen lassen könnten.

    Netz: Ein weiterer Schritt der Annäherung war ja dann sozosagen Darwin und seine Evolutionstheorie. Denn da ist uns das Tier ja biologisch nähergerückt. Hat das unser Verhältnis zu den Tieren eigentlich verbessert?

    Wild: Ich glaube in gewisser Weise schon. Einerseits hat es das Verhältnis verbessert, in dem wir anfangen uns für die Verwandtschaft stärker zu interessieren zwischen uns und den Tieren. Ich glaube aber, dass der Einfluss von Darwin auf das Verhältnis zu den Tieren sehr oft übertrieben wird. Natürlich zeigt uns Darwin, oder die Evolutionstheorie, dass wir sozusagen eine große Familie bilden. Aber das wichtige ist ja, dass sich im Prozess der Evolution ganz unterschiedliche Arten ausdifferenzieren und die sind nun halt einmal unterschieden. Man kann sogar argumentieren, dass der Vulgärdarwinismus mit dem Kampf des Stärkeren, oder dem Überleben des Stärkeren, dazu führt, dass wir uns im Recht glauben, mit anderen Arten schalten und walten zu wollen, wie wir das für richtig halten. Also ich bin da eher skeptisch, ob der Darwinismus allein dem viel Vorschub gibt. Aber natürlich, die Grundidee, die Verwandtschaft alles Lebens, das ist ein wichtiger Gedanke, auch für unser Verhältnis zu nichtmenschlichen Tieren.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Das vollständige Gespräch mit Markus Wild können Sie mindestens bis zum 3.3.2013 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.