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Auch ein soziales Problem

Zwei Drittel aller Gewalttaten gegen Frauen geschehen in ihrem sozialen Umfeld, in der Partnerschaft und Familie. Häusliche Gewalt macht oft dauerhaft krank: Die Frauen leiden häufig unter erheblichen psychischen, psychosozialen und gesundheitlichen Folgen. Deshalb hat das Familienministerium ein Modellprojekt mit dem Titel "Medizinische Intervention gegen Gewalt" gestartet.

Von Doris Arp | 24.02.2009
    "Jede Frau geht zum Arzt, früher oder später. Nicht unbedingt in der akuten Gewaltsituation, aber irgendwann."

    Doch längst nicht immer nehmen Ärzte Patientinnen mit Gewalterfahrung auch als solche wahr, sagt die Sozialpädagogin Marion Steffens. Sie leitet zusammen mit zwei anderen Frauen das vor fünf Jahren im Ennepe-Ruhr-Kreis gegründete Netzwerk "Gesine", zur Intervention gegen häusliche Gewalt.

    "Da häusliche Gewalt Langzeitfolgen hat, oft auch zu chronischen Traumatisierungen führt, ist es eigentlich ziemlich wahrscheinlich, dass Ärzte als Berufsgruppe, nicht jeder einzelne Arzt, mit jeder betroffenen Frau Kontakt haben und da auch handeln können."

    Das richtige Handeln müssen sie aber erst lernen. Denn Mediziner sind auf somatische Symptome fixiert. Häusliche Gewalt aber ist ein soziales Problem. Und die Frauen brauchen vor allem psychosoziale Hilfe und Beratung. Zum Arzt gehen sie aber mit Schlafstörungen, Kopf- und Bauchschmerzen.

    "Viele Frauen, die eigentlich mit dem Thema häusliche Gewalt irgendwo ankommen möchten, kommen zunächst und sagen, ich fühle mich nicht wohl, ich habe die und die körperlichen Beschwerden. Und wenn der Arzt nicht weiterfragt, es kein Arzt-Patientinnen-Gespräch gibt im weiteren dann bleibt das Thema Gewalt völlig im Verborgenen."

    Die Frauen bleiben weiter allein und werden nicht selten chronisch krank. Solche Erzählungen hörten die Mitarbeiterinnen der Frauenberatung in Schwelm häufig und gründeten deshalb vor fünf Jahren das Netzwerk "Gesine". Der erste Schritt war Ärzte und Ärztinnen, Mitarbeiter und Pflegende in Krankenhäusern und Praxen sensibel für das Thema zu machen.

    "Erst in dem Moment, wo ein Arzt sensibel reagiert und behutsam nachfragt, kann es sein, dass sie besonderen Belastungen ausgesetzt sind, man fällt ja auch nicht gleich mit dem Wort Gewalt mit der Tür ins Haus, erst dann hat die Patientin die Möglichkeit zu sagen, ja es gibt einen Hintergrund für meine Beschwerden und erst dann kann der Arzt oder die Ärztin auch adäquate Angebote machen, zum Beispiel in eine qualifizierte Beratungsstelle zur Unterstützung zu vermitteln."

    "Gesine" hat inzwischen ein bundesweit einmalig dichtes Netzwerk an sensibilisierten Ärzten geknüpft. Die Mediziner wurden zum Thema häusliche Gewalt geschult, es wurde gemeinsam mit den Beraterinnen Material erarbeitet und die Mediziner haben ihre Zusammenarbeit mit dem Netzwerk anschließend verbindlich zugesagt. Weitere Partner sind andere Beratungsstellen, die Polizei und die Rechtsmedizin. Ihre Erfahrungen gibt das Netzwerk jetzt in das bundesweite Modellprojekt zur Medizinischen Intervention gegen Gewalt. An vier weiteren Standorten, Düsseldorf, Kiel, München und Berlin werden zur Zeit jeweils 25 vor allem hausärztliche und gynäkologische Praxen zur Mitwirkung geworben. Im März sollen auch dort die ersten Schulungen beginnen.

    "So ist MIGG konzipiert, Ärzte zu finden, die sich verlässlich und verbindlich dazu bereit erklären, sich mit dem Thema Gewalt auseinander zu setzen, damit wir die dann auch an die Gewalt betroffenen Frauen vermitteln können und umgekehrt, die Frauen an die Ärzte."

    2010, wenn das Modellprojekt des Familienministeriums ausläuft, soll zum einen ein wirklich praxistauglicher Leitfaden zum Thema häusliche Gewalt für niedergelassene Ärzte vorliegen. Und es soll bis dahin ein Strukturkonzept der Vernetzung stehen, ähnlich wie "Gesine" sie bereits für den Ennepe-Ruhr-Kreis geschaffen hat.

    "Es geht ja nicht darum, dass Ärzte plötzlich Sozialarbeiter werden und beraterisch tätig werden. Es geht lediglich darum, dass sie den Frauen schnell Hilfsangebote offerieren."

    Marion Steffens setzt dabei nicht auf jeden einzelnen Arzt. Sie hofft auf die Herausbildung einiger spezialisierter medizinischer Anlaufstellen mit einem dichten Netzwerk an psychosozialen Hilfen für die betroffenen Frauen.