Donnerstag, 25. April 2024

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"Auch in Japan eine Debatte um die Zukunft der Kernenergie"

Bundespräsident Christian Wulff hat sich für engere Beziehungen Deutschlands zu Japan ausgesprochen. Mit Blick auf die Atomkatastrophe in Fukushima plädierte er für einen Austausch in technologischen Fragen. Japan habe bei der Speichertechnik einen Wissensvorsprung, Deutschland sei bei Windenergie und regenerativen Energien führend.

Christian Wulff im Gespräch mit Gerd Breker | 29.10.2011
    Jürgen Zurheide: Bundespräsident Christian Wulff hat Japan besucht. Zwei Themen standen dort ganz besonders im Vordergrund: natürlich die Konsequenzen aus der Atomkatastrophe Fukushima einmal und die europäische Finanzkrise und die möglichen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Dort gibt es erhebliche Besorgnisse. Unser Kollege Gerd Breker hat Wulff besucht, begleitet und hat vor dem Rückflug mit ihm diskutiert für den Deutschlandfunk exklusiv. Die erste Frage war: Was kommt denn eigentlich, woher kommt das Besondere an der Beziehung zwischen Deutschland und Japan, die Wulff besonders am Herzen liegt? Woher kommt denn das eigentlich? Das war die erste Frage von Gerd Breker.

    Christian Wulff: Es gibt seit jeher immer positive Reiseberichte aus Japan über mehrere Hundert Jahre. Es heißt, die Deutschen haben sich immer von Japan faszinieren lassen und Respekt vor japanischer Kultur gehabt. Umgekehrt haben sich Japaner früh für ihre Modernisierung Ratschläge in Deutschland geholt, und es hat damit zu tun, dass wir zwar geografisch sehr weit auseinanderliegen, uns aber in vielem sehr nah sind, was den Fleiß anbetrifft, was den Anspruch anbelangt, Lösungen zu entwickeln und nicht Teil der Probleme zu sein, die Technikbezogenheit, der Erfindungsgeist, die Zuverlässigkeit, sich aufeinander verlassen zu können - das sind doch sehr große Ähnlichkeiten. Wir sind heute halt Wertepartner in der Welt, und wir sind auch Technologiepartner und könnten das viel mehr ausbauen. Es lohnt sich, die Kontakte zu intensivieren auf dem Feld der Wirtschaft, der Wissenschaft, des Sports, der Kultur, daran würde ich jedenfalls gerne mitwirken.

    Breker: Ein großes Thema war die europäische Währungs- und Eurokrise, auch hier in Japan wurden Sie darauf angesprochen. Die Sorge ist, dass diese Krise durchschlagen könnte auf die reale Wirtschaft. Sie haben ja immer darauf verwiesen, Herr Bundespräsident, dass die Lösungskompetenz in Brüssel und in Europa durchaus vorhanden ist. Nun hat man sich geeinigt. Aber was kann man aus dieser Krise lernen, was muss man aus dieser Krise lernen?

    Wulff: Die Japaner haben sehr überzeugend gefunden, dass es gar keine Eurokrise ist, sondern eine Bankenkrise in der Welt mit relativ viel Problemen bei Banken und eine Staatsschuldenkrise, weil wir Wachstum zum Teil durch Schulden finanziert haben zulasten kommender Generationen, und damit muss Schluss sein. Es braucht eine Kehrtwende zu nachhaltigem Haushalten und Wirtschaften, und das gilt keineswegs nur für europäische Länder, das gilt genau so für die Vereinigten Staaten von Amerika und für Japan in besonderer Weise, auch da waren wir uns letztlich einig. Ich konnte deutlich machen, dass der Euro eine große Erfolgsgeschichte ist mit wenig Inflation, der uns geholfen hat als Schutzschild in der Weltwirtschaftskrise, und - was ich sicher ganz wesentlich in Japan deutlich machen musste - dass uns Deutschen der Euro jede Anstrengung wert ist, dass wir pro-europäisch sind, eine Lösung wollen, an einer Lösung mitwirken, aber Grundvoraussetzung natürlich ist, dass die einzelnen Staaten in Europa sich verpflichten, in Zukunft Absprachen einzuhalten, also die Maastricht-Kriterien auch tatsächlich einzuhalten, die wir gemeinsam bei Einführung des Euro vereinbart hatten.

    Breker: Fukushima, die Atomkatastrophe, hat die Diskussion um die Verantwortbarkeit dieser Energieform befördert. Deutschland hat daraufhin den schnellen Ausstieg beschlossen. Wie steht man in Japan zum schnellen Ausstieg der Deutschen, was hält man davon?

    Wulff: Meine Japanreise fand ja statt vor dem Hintergrund der 150-jährigen diplomatischen Beziehungen. Dass sie so lang wurde, hat ganz deutlich damit zu tun, dass ich Mitgefühl auch äußern wollte in den betroffenen Katastrophengebieten durch Erdbeben, durch Tsunamiwelle, gigantische Schäden durch den Atomkraftfall, wo letztlich jetzt Bürger ausgesiedelt sind, evakuiert sind, die ich aufgesucht habe, um deutlich zu machen, wir Deutschen empfinden Sympathie für Japan, wir haben viel Geld gesammelt, viele haben gespendet, es hat eine breite Solidaritätswelle gegeben. Wir stehen an der Seite der Japaner und teilen ihr Leid. Das ist auch entsprechend positiv in Japan - nicht in den Medien so sehr, sondern bei den Bürgern vor allem - aufgenommen worden. Und das ist sicher gut und richtig gewesen. Meine Gesprächspartner haben mir gesagt, dass auch in Japan eine Debatte um die Zukunft der Kernenergie geführt wird, welche Kraftwerke gehen überhaupt wieder ans Netz? Wie viele braucht man, wie lange braucht man sie noch? Und man kann sagen, in Deutschland ist diese Diskussion breit abgeschlossen, in großem Konsens im Parlament mit dem Ausstieg bis 2022. So weit sind die Japaner noch nicht, aber die Debatte wird jetzt auch offen geführt, und wir sollten die Zeit nutzen, uns zu verständigen, wo Japan was voraushat bei Energiespeicherung, bei Batterietechnik, wo wir etwas voraushaben, bei Windenergie, bei regenerativen Energien, und dass wir uns hier viel schneller austauschen. Interessant ist, dass derzeit in Japan von 54 Kernkraftwerken nur elf am Netz sind, und dass man innerhalb von Wochen in der Not 20 Prozent des Stromes einsparen konnte. Daraus kann man vielleicht auch Erfahrungen sammeln und Lehren ziehen für unsere deutsche Situation, um diese Energiewende wirklich zu schaffen, denn das ist klar: Der Ausstieg aus der Kernenergie, so anspruchsvoll wie in Deutschland beschlossen, ist ein Mann-auf-dem-Mond-Projekt. So wie damals die Amerikaner gesagt haben, da wollen wir jemanden hochbringen, und nicht wussten, ob es klappt, so wissen wir natürlich nicht genau, wie es klappt, aber wir müssen es jetzt schaffen, denn die Welt schaut auf Deutschland, ob wir es hinbekommen, verlässlich, bezahlbar Energie bereitzuhalten, auch für die Industrie, ohne Kernenergie, und das erfordert alle Anstrengung, und da muss jetzt das gesamte Hirn der beteiligten Forscher, Wissenschaftler drauf gerichtet werden, Energie einsparen, Energieeffizienz und saubere Energieerzeugung.

    Breker: Deutschland und Japan haben ähnliche demografische Probleme, Stichwort: Generationengerechtigkeit. Die hohe Verschuldung, Druck, die sozialen Gesetze anzupassen, die umweltschonende Verwendung von Ressourcen - wer kann in diesem Bereich von wem was lernen und vor allen Dingen, was können wir lernen?

    Wulff: Manche bezeichnen es ja als eine weitere industrielle Revolution, wenn man Wachstum von Ressourcenverbrauch, von Umweltschädigung entkoppelt, wenn man also mehr produziert, aber weniger Schaden für die Umwelt auslöst, wenn man die Klimaschutzziele berücksichtigt, also ein qualitatives Wachstum schafft, wo man Lebensqualität, wo man Glück, wo man Zufriedenheit anders bewertet als nur in Wachstumsraten, wie das herkömmlich traditionell der Fall ist, darüber lohnt sich die Diskussion, das hat sich gezeigt, und mit Japan, mit seinen Einflüssen des Buddhismus, seinen Einflüssen Shinto - wir waren ja auch in einem bedeutenden, dem ältesten Schrein Japans und haben hierüber Diskussionen geführt, wie weit die Zufriedenheit von Menschen eben auch nicht nur von Materiellem allein abhängt, aber für die, die in der Not leben, ist natürlich erst mal die materielle Grundlage zu schaffen, und das erfordert auch eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung, die man immer im Blick haben muss. Man darf also nicht nur ein Thema Umwelt oder ein Thema Arbeitsplätze, man muss das miteinander kombiniert im Blick haben. Das ist die neue Aufgabe der Politik, hier zu qualitativen Wachstumssprüngen zu kommen.

    Breker: Herr Bundespräsident, es war ein besonderer Besuch, dieser Staatsbesuch in Japan. Inwieweit repräsentiert er Ihr persönliches Verständnis von Ihrem Amt? Inwieweit spiegeln sich die Akzente, die Sie während Ihrer Präsidentschaft setzen wollen, in diesem Staatsbesuch wieder?

    Wulff: Die Mehrheit der Aufgabenfelder eines Bundespräsidenten sind außenpolitisch. Ich vertrete die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich nach außen und möchte natürlich unser Land optimal im Ausland darstellen, die Möglichkeiten von Vereinbarungen, von Handel, von wirtschaftlicher Entwicklung begünstigen. Ich gehe davon aus, dass viele Fragen heute entweder international lösbar sind oder gar nicht mehr lösbar sind, also sind solche Kontakte wichtig. Japan und Deutschland sind die dritt- und viertgrößte Industrienation der Erde, beide forschen nicht nur, sondern sie produzieren auch. Das schafft auch eine gewisse gemeinsame Interessenlage. Wir kämpfen für den Freihandel in der Welt, für offene Grenzen, damit sich die besten Produkte durchsetzen gegen Protektionismus, für die Reform der Vereinten Nationen. Wir haben in weiten Teilen gemeinsame Wertvorstellungen in einer Welt, wo die Schwellenländer - Brasilien, Indonesien, Indien, China - eine wachsende Bedeutung haben, was ja auch die Japaner realisieren, und da frühzeitig an einer Welt mit zu bauen, in der wir uns auch morgen noch wohlfühlen, wenn sie sich verändert hat in den Strukturen. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe, und dazu dienen diese vielfältigen ausländischen Kontakte. Und es war einfach großartig, die Freundlichkeit der Japaner zu sehen, wenn der Kronprinz sich Stunden Zeit nimmt, als Schirmherr dieser Feierlichkeiten, wenn der Kaiser mit beiden Söhnen sich Stunden Zeit nimmt, wenn die Regierung Japans mit dem Ministerpräsidenten und fünf Kabinettsmitgliedern sich Stunden Zeit nehmen, dann zeigt das eine Wertschätzung für Deutschland, die wir erwidern sollten.

    Sprecher: Das war Bundespräsident Christian Wulff im Interview mit dem Deutschlandfunk mit dem Kollegen Gerd Breker. Das war die Bilanz der Reise nach Japan.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.