Dienstag, 16. April 2024

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Audi in der NS-Zeit
3700 KZ-Häftlinge im Einsatz

Die Firma Audi im Dritten Reich: Das ist Thema der Studie "Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatz bei der Auto Union AG Chemnitz im Zweiten Weltkrieg". Wie andere Autokonzerne hätte sich auch Audi immer stärker in das NS-System verstrickt, berichtet Rudolf Boch, Wirtschaftshistoriker und Mitautor der Studie.

Rudolf Boch im Gespräch mit Beatrix Novy | 26.05.2014
    Der neue Auto Union "DKW F 102" bei seiner Vorstellung am 27.08.1963 in Wiesbaden. Es sollte das letzte Modell unter dem Namen DKW sein.
    Vorstellung des Auto Union "DKW F 102" in den 1960ern - einer Zeit, in der die eigene Unternehmensgeschichte noch nicht erforscht wurde. (picture alliance / dpa)
    Beatrix Novy: Heute ist in Buchform eine Studie erschienen: "Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatz bei der Auto Union AG Chemnitz im Zweiten Weltkrieg". Es geht um die Firma, die heute Audi heißt, und um ihre Geschichte im Dritten Reich. Diese Offenlegung erscheint ein bisschen spät, angesichts der Tatsache, dass man vergleichbare Studien von VW, Daimler, Krupp, BMW und anderen ja schon länger kennt, während Audi sein 100-jähriges Jubiläum im Jahr 2009 noch recht unbefangen feierte.
    Die Autoren und Initiatoren der Studie sind Martin Kukowski und der Chemnitzer Wirtschaftshistoriker Rudolf Boch. Der war schon in den 90er-Jahren nach der Wende an Audi in Ingolstadt herangetreten, denn in Chemnitz lag das Audi-Archiv, eines der größten der Autoindustrie. Die Audi AG hat dann auch die Erschließung des Archivs für die Forschung finanziert. Aber, habe ich Rudolf Boch vor der Sendung gefragt, das hieß ja wohl nicht, dass es um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in erster Linie ging?
    Rudolf Boch: Das kann man so nicht sagen. Es gab innerhalb des Audi-Managements durchaus ja Leute mit Antennen für historische Fragestellungen, mit historischem Interesse und andere weniger, und es hat sich dann eben so ergeben, dass auch durch die Arbeit von Herrn Kukowski in Ingolstadt der Wille gereift war, das jetzt mal anzugehen, und das wurde beschleunigt durch einen Artikel in der "Wirtschaftswoche" im Jahr 2010, wo eingefordert wurde, dass Audi – die AG ist kein Rechtsnachfolger der Auto Union AG in Chemnitz – sich doch mal seiner Tradition, auch den dunkleren Seiten seiner Tradition stellen sollte.
    Novy: Denn der Firmenleiter, der im Krieg schon tätig war, Richard Bruhn, war ja auch nach dem Krieg tätig.
    Boch: So ist es. Auch andere Mitglieder des Audi-Managements waren nach dem Krieg, gerade nach der Neugründung in Ingolstadt bis in die 50er-, frühen 60er-Jahre bei der Auto Union in Ingolstadt tätig, die dann ja durch den Zusammenschluss mit NSU zur Audi AG wurde.
    Die dunkle Seite der Tradition
    Novy: Was sind denn die Ergebnisse Ihrer Studie? Heben sie sich vom Verhalten anderer Konzerne damals ab, was Audi getan hat?
    Boch: Nicht wirklich. Wir haben natürlich im Blickfeld auch immer die Branchenkonkurrenz gehabt, über die es ja eine ganze Reihe von Studien in den letzten zwei Jahrzehnten gegeben hat, und wir haben feststellen müssen, dass es, was die Prozentzahl der Zwangsarbeiter angeht, auch die Prozentzahl der KZ-Häftlinge ab etwa Sommer 1944, keine wesentlichen Unterschiede gab. Der Auto Union Konzern hatte etwa 50.000 Mitarbeiter in der Endphase des Krieges und davon waren 3700 KZ-Häftlinge an verschiedenen Produktionsstätten der Auto Union – vor allen Dingen in Sachsen, aber auch bei der Untertage-Verlagerung des Panzermotorenwerkes in Leitmeritz in der Tschechischen Republik.
    Novy: Und was geschah denen? Wie viele überlebten?
    Boch: Das ist unklar. Es geschah ihnen, dass sie für das, was sie leisten sollten, letztlich, was die Lebensmittelversorgung anging, chronisch unterernährt waren. Die Behandlung dieser KZ-Häftlinge war in den Werken unterschiedlich. Dieser ganze Komplex in Leitmeritz hebt sich ab, weil es ein riesiges Projekt war, was auf Führerbefehl unter dem SS-Baustab Kammler eingeleitet wurde im Sommer 1944, um die strategisch wichtige Panzermotorenfertigung vor Luftangriffen zu schützen.
    Da waren über 18.000 Häftlinge mit hoher Sterblichkeitsrate beschäftigt. Davon waren eigentliche Produktionshäftlinge für die Auto Union sehr viel weniger. Die Produktion ist auch sehr stockend überhaupt erst ins Laufen gekommen. Aber nichts desto Trotz ist unser Schluss, dass die Auto Union wie andere Branchenkonkurrenten auch, sich, was den Einsatz von KZ-Häftlingen anging, immer stärker in dieses NS-System verstrickt hat.
    Die einzige Ausnahme der Automobilindustrie war die Firma Opel, die nachweislich keine KZ-Häftlinge angestellt hatte. Zwar Zwangsarbeiter, aber keine KZ-Häftlinge eingesetzt hatte in ihren Produktionsstätten in Brandenburg und Rüsselsheim.
    Novy: Es gibt die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Ist Audi an dieser Stiftung mittlerweile beteiligt?
    Boch: Indirekt war Audi immer beteiligt, weil der VW-Konzern insgesamt eine federführende Rolle bei dieser Stiftung gespielt hat, auch was die finanzielle Ausstattung angeht. Insofern, weil Audi – das wird ja leicht vergessen – Teil des VW-Konzerns ist, war da eine Beteiligung. Ich weiß nicht, ob jetzt zusätzlich möglicherweise ein weiteres Engagement von Audi als Firma innerhalb des VW-Konzerns erfolgt. Das entzieht sich meiner Kenntnis.
    Novy: Der Wirtschaftshistoriker und Autor Rudolf Boch zur gerade erschienenen Audi-Studie.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.