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Auf das Tier gekommen

Ein bisschen kurios klingt es schon, was da am Montag höchstoffiziell in Münster eingeweiht wurde: das Institut für theologische Zoologie. Grundlegender Gedanken: Nicht mehr allein der Mensch ist Krone der Schöpfung, auch der Würde des Tieres soll wieder mehr Beachtung geschenkt werden.

Von Hans Peylo | 17.12.2009
    Wenn Pastöre beider Konfessionen sich ernsthaft um ihre "Schäfchen" sorgen, dann sind damit die Menschen in ihrer Gemeinde gemeint. Wenn der Priester Dr. Rainer Hagencord aus Münster sich um seine "Schäfchen" sorgt, dann nimmt er diese Aufgabe ebenfalls sehr ernst, tierisch ernst sogar, doch ihm kommt es weniger auf den Menschen als Krone der Schöpfung an, ihm geht es um die Tiere. Ein Priester, der Theologie und Zoologie in einen Zusammenhang bringt.

    In der katholischen St. Michaelkirche in Münster-Gievenbeck ist die Messe zu Ende. Stellt man dort den Menschen die Frage, was Theologie und Zoologie miteinander zu tun haben, bekommt man fast ausschließlich ratlose, eher unheilige Antworten als Gegenfragen:

    "Wieso theologische Zoologie? Sollen die Affen im Zoo etwa getauft werden?"

    "Im Moment sehe ich keinen Sinn da drin."

    "Vielleicht die Lehre der Esel, Ziegen und anderes Getier, was so zu Weihnachten aufgetreten ist?"

    "Dass der Kirche die Menschen weglaufen, das weiß man ja, aber will man jetzt unsere Haustiere zu gläubigen Christen machen?"

    "Es sei denn, die Kirche will uns zu gläubigen Vegetariern machen, um die Tiere zu schützen?"

    In der letzten Antwort steckt ein wahrer Kern. Dem Theologen Dr. Rainer Hagencord aus Münster geht es in der Tat um Schutz und Würdigung der Tiere als Geschöpfe Gottes, die im Sinne einer Anthropologie, also der Wissenschaft vom Menschen, zusammen mit ihm Teil der Schöpfung sind.

    "Was ist der Mensch? Diese Frage stellt die Bibel. Und die Bibel sagt deutlich, finde ich – und das sagen auch andere Wissenschaftler – der Mensch ist Teil der Natur, Teil der Schöpfung. Mit dem Tier im Boot, wenn Sie an die Noah-Geschichte denken. Und dieser Grundbestand auch einer christlichen Anthropologie, einer biblischen Anthropologie, ist fast verloren gegangen in der Theologie. Und deswegen mache ich durch den Akzent auf eine theologische Zoologie letztlich noch einmal einen Akzent auf die Anthropologie: Der Mensch versteht sich als Teil der Natur und nicht aus der Natur herausgenommen."

    Um diesen Anspruch wissenschaftlich zu verwirklichen, wurde jetzt in der Schlossuniversität in Münster das "Institut für Theologische Zoologie" eröffnet, eine weltweit bislang einmalige Einrichtung, deren Leiter Dr. Hagencord ist.

    Das Institut bezieht seine Legitimation letztlich auch aus einem Versäumnis der Kirche.

    "Mein Institut ist deswegen entstanden, weil ich feststelle, dass die Tiere im Bewusstsein der Menschen, auch in Europa, kaum vorkommen. Sie kommen vor als Schoßtiere, als Tiere die wir füttern mit Haustierfutter, oder sie kommen vor als Ware, als Fleisch, Eier und Milchprodukte, die im Regal rumliegen. Eine theologische Zoologie, also eine entsprechende theologische Würdigung des Tieres, die sozusagen in der Bibel vorliegt, ist aber letztlich nicht ausgearbeitet worden innerhalb der Theologie. Und das ist so mein Grundanliegen."

    In der Bibel ist das Tier präsent. Zusammen mit dem Menschen Noah überlebte es die Sintflut. Ochs und Esel sind mit dabei als Jesus geboren wird. Der Kirchenlehrer Thomas von Aquin sagt über die Tiere, dass ihnen im Gegensatz zu den Menschen eine größere "Gottunmittelbarkeit" zukommt. In Kirchen und Klöstern wird das Tier in zahlreichen Abbildungen als Geschöpf Gottes dargestellt. Warum verschwand es aber aus dem Bewusstsein der Kirche?

    "Nach meiner Auffassung liegt es an dem großen Wandel des europäischen Denkens in der Neuzeit durch die großen Denker des 16./17. Jahrhunderts, von René Descartes bis Immanuel Kant, die den Menschen ganz neu definiert haben als natürlich einerseits der Natur zugewandt, aber andererseits auch wiederum der Natur entfremdet. Wenn Sie einfach mal das Wort von Descartes über die Tiere meditieren, der sagt, Tiere sind seelenlose Automaten, dann merken Sie die verheerende Folge dieses Wortes. Und die Kirche, die Theologie, ist vielfach eben eher Descartes gefolgt als anderen Denkern. Ich denke an Nikolaus von Cues, der 100 Jahre vor Descartes gelebt hat, der ein völlig anderes Denken über die Natur und den Menschen grundgelegt hat, aber ein Denker wie Nikolaus von Cues ist eher in Vergessenheit geraten."

    Als das "Institut für Theologische Zoologie" jetzt in Münster der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, war auch die weltweit anerkannte Primatenforscherin Jane Goodall, anwesend, die Schimpansen eine Persönlichkeit zugesteht, von der wir Menschen behaupten, dass nur wir sie haben können. Dr. Hagencord zieht daraus einen Umkehrschluss.

    "Wenn ich tatsächlich das Tier wertschätze und das tun kann von der Bibel her, dann komme ich auch zu einer Wertschätzung des Animalischen im Menschen und muss dann ganz neu wahrscheinlich nachdenken, denn das Animalische, und damit ist Sexualität, Aggressivität, alles, was wir das Emotionale nennen, sozusagen neu auf dem Schirm. Also, welche Würdigung müssen wir diesen Kräften des Menschen, diesem Animalischen, zusprechen, bis hin zur Frage, muss nicht in unserer eigenen Frömmigkeit, auch in einer kirchlichen Frömmigkeit, die Natur einen viel größeren Wert bekommen?

    Wenn das Institut für Theologische Zoologie die Würde des Tieres wieder herstellen will, wenn es also zu einer Wende in der Sicht auf unsere Mitgeschöpfe kommen soll, dann sieht der Priester Dr. Rainer Hagencord darin auch eine Notwendigkeit, die mit der Bibel nicht unmittelbar etwas zu tun hat, sondern mit dem Stichwort "Umweltgedanke" umschrieben ist.

    "Wenn Sie an all diese Fragen von Massentierhaltung, Fleischkonsum und damit verbunden die Verelendung der Dritten Welt denken, dann wird es, glaube ich, höchste Zeit, dass die Kirche sich deutlicher positioniert. Ich kann damit im Grunde eine Vision verbinden, denn stellen Sie sich vor, alle christlichen Gemeinden einerseits und auch christliche Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser, Schulen würden ab Morgen nur noch Fleisch aus artgerechter Tierhaltung kaufen."

    Von dieser Vision aber sind wir sicher noch weit entfernt, doch Theologie und Zoologie, sie haben schon heute mehr miteinander zu tun, als es den Kirchgängern nach der Sonntagsmesse in Münster-Gievenbeck bewusst war. Dr. Hagencord steht vor großen Aufgaben. Und wer weiß, vielleicht wird sein Institut schon bald nicht mehr die alleinige Spezies seiner Gattung sein.