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Auf dem Pilgerweg des Vertrauens

Seit mehr als 30 Jahren ruft die Brüdergemeinschaft von Taizé Jugendliche aus ganz Europa auf, den Jahreswechsel in einer europäischen Großstadt zu verbringen. Was suchen die jungen Menschen bei einem solchen religiösen Großereignis?

Von Andreas Main | 27.12.2011
    Seit ihrer Gründung auf einem Hügel im französischen Burgund hat die Brüdergemeinschaft von Taizé einen starken Deutschland-Bezug. Während des Zweiten Weltkriegs versorgte Roger Schutz, der Gründer von Taizé, dort jüdische Flüchtlinge – und deutsche Kriegsgefangene. Später wurden auch Deutsche Brüder dieser internationalen und ökumenischen Communauté:

    "Deutschland war von Anfang an fast sehr wichtig. Die ersten Brüder kamen in den 50er-Jahren schon nach Berlin. Also, das geht sehr weit zurück. Und als die Mauer gebaut wurde, hat ein Bruder gesagt: Wenn die nicht in den Westen kommen können, dann müssen wir dahin gehen. Und so war da eine ganz tiefe Verbindung."

    Frère Richard ist Schweizer. Spaltungen und Mauern waren den Brüdern von Taizé immer ein Dorn im Auge: egal ob konfessionell oder politisch. Und so reisten regelmäßig Brüder in die DDR ein – als Touristen. Sie trafen Christen und Gemeinden, legal – aber in den 60er- und 70er-Jahren nie von der DDR-Führung abgesegnet.

    "Diese Trennung Deutschlands war ja etwas Unerträgliches auch für uns. Es war ja so die Trennung Europas im Kleinen sozusagen. Also, was eine so große Frage war die ganze Zeit in Taizé. Und dann konnte in 1980 Frère Roger auch zum ersten Mal in die DDR kommen. Da gab’s Gebete in Dresden und in Erfurt und ein kleines noch in Leipzig dazwischen. Und dann in 86 auch sogar in Berlin – in Ost-Berlin. Hier."

    Hier, in Ost-Berliner Kirchen. 1986: Eine derjenigen, die das damalige Gebetstreffen vorbereitet hat, ist Katharina Jany. Sie ist damals 22 Jahre alt. Sie baut internationale Kontakte auf – nach Ost und West. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit – in der DDR. Und doch:

    "Als subversiv haben wir das nicht wirklich empfunden. Wir wussten natürlich, wir werden beobachtet. Ich habe dann auch später wirklich auch einige Stasi-Unterlagen bekommen. Einiges existiert nicht mehr, aber was ich bekommen habe, das waren eigentlich so Dinge, die mit Taizé zu tun hatten. Ich hatte dann ja auch Jugendliche eingeladen aus Westdeutschland – und das wurde sehr genau beobachtet und registriert. Das war dann also auch in meiner Stasi-Akte dann zu sehen. Ja."

    Die Staatssicherheit fragte Nachbarn aus: Katharina Jany hatte West-Besuch. Damit fiel sie auf. Sie erinnert sich an jenen Tag vor 25 Jahren mit dem charismatischen Gründer von Taizé: Frère Roger.

    "Ich sehe diese wirklich ganz, ganz volle Hedwigskathedrale. Diese vielen Leute, die dann doch von Taizé gehört hatten und die gekommen waren. Und das Besondere eigentlich war ja auch, dass damals sehr viele Tschechen, Slowaken und Ungarn dabei waren, und das war auch nicht ganz offiziell, aber die Leute hatten nicht die Möglichkeit, solche Treffen zu veranstalten, weil die Kirche ja viel mehr unterdrückt war. Vieles musste da ganz im Geheimen ablaufen – und da hatten wir in der DDR einfach schon viel mehr Freiheit."

    Die wurde genutzt. Christen, die in Opposition zu ihrem jeweiligen Regime standen, verknüpften sich: lokal, national, international. Das Berliner Taizé-Treffen vor einem Vierteljahrhundert habe eine Rolle gespielt auf dem Weg zur friedlichen Revolution. Davon ist Katharina Jany überzeugt. Laura Weber könnte ihre Tochter sein. Laura Weber ist 1986 geboren, in genau jenem Jahr, als die Brüder von Taizé nach Ost-Berlin kamen. Aus der Erfahrung der Christen in der DDR lasse sich einiges lernen, sagt die junge Frau.

    "Für uns ist es, glaube ich, wirklich wichtig, uns bewusst zu machen, was Mauern bedeuten und auch wirklich zu schätzen, welche Freiheit wir heute haben und dafür auch zu kämpfen. Ich glaube, das ist ganz, ganz wichtig."

    Laura Weber studiert Soziale Arbeit und Diakonie. Seit drei Monaten bereitet sie das aktuelle Taizé-Jugendtreffen vor. Freiwillig und ohne Lohn. So wie ein Dutzend Brüder und mehrere Dutzend junge Leute. Sie sind durch Berlin gezogen und haben geworben: für das Jugendtreffen und für Gastfreundschaft. Das habe die Berliner Kirchengemeinden aufgemischt, sagt Wilhelm Gräb, Professor für Religionssoziologie und Praktische Theologie an der Berliner Humboldt-Universität. Die Wirkung von Taizé werde häufig unterschätzt:

    "Wilhelm Gräb: Also, wer etwas aufmerksam die kirchliche Landschaft in den letzten 20 Jahren beobachtet hat, der konnte schon sehen, dass von Taizé, vielleicht ähnlich wie von dem nahe gelegenen Cluny im 12. Jahrhundert die Zisterzienserbewegung ausgegangen ist als große kirchliche Reformbewegung, man das durchaus auch von Taizé sagen kann mit Blick aufs 20. und beginnende 21. Jahrhundert."

    Monat für Monat reisen Tausende von jungen Leuten für eine Woche oder länger nach Burgund. In den Sommermonaten sind es wöchentlich rund 6.000. Die Zahlen steigen eher, als dass sie sinken. Aber das säkulare Berlin und Taizé? Der Religionssoziologe ist zuversichtlich, dass die Berliner mitspielen:

    "Es ist eine Kirchendistanz da, aber es ist keine Unfreundlichkeit gegenüber solchen Bewegungen, wie sie von Taize ausgeht, weil ein Empfinden dafür, dass hier Werte menschlichen Zusammenlebens praktiziert werden und als für unsere Gesellschaft insgesamt wichtig hoch gehalten werden, in der Aufmerksamkeit dieser Stadt sind, was vielfach übersehen wird, wenn man nur auf kirchliche Zugehörigkeit und Mitgliedschaftsverhältnisse blickt."

    Es sind ganz gewöhnliche junge Leute, die zu Taizé-Treffen gehen. Keine Sektierer eher Gebildete, eher jene, die die Zukunft dieses Landes prägen werden. Sie werden in schlichten Messehallen beten, schlichte Mahlzeiten einnehmen und sich dem entziehen, was die Party-Hauptstadt für die Massen attraktiv macht. "Pilgerweg des Vertrauens" lautet das Motto für Berlin. Frère Richard:

    "Wir möchten hier wie überall, wo wir hingehen, dass Vertrauen wächst. Kein Mensch, keine Familie, keine Stadt kann ohne Vertrauen leben. Und das ist etwas, was wir hier anstoßen können. Oder freilegen können: Quellen des Vertrauens. Wege bahnen, wo Menschen sich begegnen in dieser Offenheit, sich einzulassen auch auf die, die anders denken, anders sind, den Anderen nicht als Bedrohung zu erleben, sondern als eine Bereicherung."