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Auf dem politischen Solopfad

Wolfgang Neskovic könnte etwas gelingen, was es seit 1949 nicht mehr gegeben hat. Er könnte als unabhängiger Abgeordneter in den Bundestag einziehen. An prominenter Unterstützung fehlt es jedenfalls nicht: CSU-Mann Peter Gauweiler und auch Linken-Vizeparteichefin Sahra Wagenknecht waren schon bei ihm im Wahlkreis.

Von André Bochow | 12.09.2013
    Auf die Henschels hat das Neskovic-Team schon gewartet. Sie sind so etwas wie das personelle Highlight der Wahlkampfveranstaltung am Grill vor dem Gubener Jugendklub "Komet" in Brandenburg, direkt an der Grenze zu Polen. Die Henschels wohnen in Spremberg, 70 Kilometer von Guben entfernt, und haben an ihrem Haus ein fünfmal sechs Meter Porträt des unabhängigen Kandidaten Wolfgang Neskovic angebracht:

    "Die Idee hatte mein Mann","

    freut sich die professionelle Tagesmutter Annemarie Henschel. Aber warum bekennt sich ein Unternehmerpaar so offensiv zu einem Kandidaten, der von sich selbst sagt, nach wie vor ein Linker zu sein? Annemarie Henschel:

    ""Warum? Wir finden den Mann einfach super."

    Die Henschels haben Neskovic vor vier Jahren, als er noch für die Linke antrat, nicht gewählt. Aber der Einzelkampf des ehemaligen Bundesrichters imponiert ihnen. Der 65-jährige Wolfgang Neskovic ist da angekommen, wo er wohl folgerichtig landen musste. Auf dem politischen Solopfad. Parteilos. Und seit Dezember des vergangenen Jahres ist der Sohn eines serbischen Maurers und einer deutschen Schneiderin der einzige fraktionslose Abgeordnete im Bundestag. Er hat bei der linken Fraktion gekündigt. So wie zuvor bei der SPD und später bei den Grünen. Nicht weil er seine Meinungen geändert hat, sagt er, sondern weil diese Parteien sich untreu geworden sind. Die SPD und die Grünen haben ihn verlassen, sagt Nesvovic. Asylkompromiss, Bundeswehr-Auslandeinsätze, Zustimmung zum Großen Lauschangriff - das sind seine dazugehörenden Stichwörter. Jetzt steht er an diesem Spätsommerabend vor vielleicht zwei Dutzend Zuhörern in Guben:

    "Ich bin hier direkt gewählt worden. Für viele überraschend. Weil ich bestimmte Wahlkampfversprechen abgegeben habe. Das waren die Wahlversprechen der Linken."

    Einigermaßen empört reagiert Nesvovic, wenn jemand behauptet, die Basis der Linken hätte ihn ohnehin nicht mehr für die Bundestagswahl aufgestellt:

    "Das ist eine glatte Fehlinformation, die gern gestreut wird. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das geschehen wäre. Die Frage wäre nur gewesen, was hätte ich dann gemacht? Ich hätte dann einen Wahlkampf mit Funktionären führen müssen, mit denen ich mich nicht verstanden habe, mit denen ich mich auch nicht mehr verstehen wollte. Weil das Funktionäre waren, die nicht von der Macht einer politischen Vision, sondern ausschließlich von der Vision politischer Macht getragen werden. Mit solchen Leuten wollte ich nicht mehr zusammenarbeiten."

    Es geht um die linken Landespolitiker, denn in Brandenburg sitzt die Linke mit in der Regierung. Und es geht vor allem um Braunkohle, um den Energiekonzern Vattenfall und um die Angst vieler Lausitzer vor neuen Tagebauen, denen schon wieder ganze Dörfer zum Opfer fallen würden. Gerhard Lehmann, für die Linken in der Gubener Stadtverordnetenversammlung, ärgert das:

    "Denn die Linken in Brandenburg haben zur Landtagswahl auch das Volksbegehren gegen neue Tagebaue unterstützt. Aber als dann Platzeck um sie geworben hat, in der Koalition, blieb von dieser Unterstützung nur noch Brückentechnologie und CO2 über."

    Gemeint ist die unterirdische CO2-Verpressung, die einen weiteren Abbau von Braunkohle möglich machen soll. Neskovic legte sich damals quer. Wieder einmal. Kerstin Nedoma, Linke-Fraktionsvorsitzende in der Gubener Stadtverordnetenversammlung, war anfangs entsetzt über Neskovics Entscheidung, unabhängig von der Linken zu kandidieren, jetzt unterstützt sie ihn:

    "Dieses historisch einmalige Ereignis, dass ein Linker diesen Wahlkreis gewonnen hat, sollte man nicht leichtfertig aufgeben. Und für mich ist er einer der Abgeordneten, der auch nach der Wahl zu dem gestanden hat, was er vor der Wahl gesagt hat. Und deswegen ist er für mich auch derjenige, der zukünftig im Bundestag sein sollte."

    Im Wahlkampf wirbt Neskovic ausschließlich für die Erststimme. Nur die nützt ihm. Dass er von Teilen der Linken in seinem Wahlkreis favorisiert wird, obwohl die Partei mit der 62-jährigen Birgit Wöllert eine eigene Kandidatin aufgestellt hat, ist sicher ungewöhnlich. Kerstin Nedoma wünscht sich, dass es noch ungewöhnlicher wird:

    "Vielleicht schaffen wir für die Demokratie insgesamt etwas, indem den Wählerinnen und Wählern auch klar wird, dass sie mit ihrer Erststimme etwas erreichen können. Unabhängig von Parteien."

    Wenn es der ehemalige Bundesrichter schaffen sollte, wäre er der erste Unabhängige im Bundestag seit 1949. An prominenter Unterstützung fehlt es jedenfalls nicht. Der CSU-Mann Peter Gauweiler war schon bei ihm im Wahlkreis. Und in der Linkspartei rumort es, weil die Vizeparteichefin Sahra Wagenknecht ihren einzigen Wahlkampfauftritt in Brandenburg ausgerechnet bei einer Neskovic-Veranstaltung hatte. Wolfgang Neskovic selbst wundert sich kein bisschen darüber. Er meint, die Politiker kommen...

    "... weil sie schon meinen, dass sie die Sachkompetenz, die ich auch nach ihrer Meinung verkörpere, im Bundestag brauchen. Bei der Geheimdienstkontrolle können Sie sehen, wer alles sich welchen Forderungen, die ich lange schon zu Papier gebracht habe, nunmehr anschließt."

    Wenn es nicht klappt, meint er, dann werde er sich eben außerparlamentarisch engagieren. Mögen andere ihn für einen Querulanten halten, Wolfgang Neskovic ist einer, der ganz bei sich ist. Ein Ruhestörer mit großer innerer Ruhe.


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