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Auf dem Weg zum K2

Unter den 14 Achttausendern gilt der K2 als der schwierigste. Schwieriger als der Everest. Trotz der Gefahren versuchen Bergsteiger immer wieder, ihn zu bezwingen. So wie die Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner. Sie wäre die erste Frau, die alle 8000er ohne Sauerstoff bestiegen hat.

Von Sabine Lipka und Brigitte Baetz | 10.07.2011
    "Es hat wahrscheinlich mit der Kristallform des Berges zu tun, er hat eine unglaubliche Symmetrie, also, wenn man sich einen Bergkristall vorstellt, diese Pyramide, dann hat man schon das Bild des K2 vor sich, wirklich, es ist ein wunderbarer Berg."

    Ein schöner Berg ist er, der K2, das weiß nicht nur der Österreicher Kurt Diemberger, der ihn schon bestiegen hat. Und er ist auch ein gefährlicher. Diembergers eigene Seilpartnerin Julie Tullies überlebte den erfolgreichen Aufstieg nicht. Sie blieb am Berg, wie schon mehr als 70 andere vor ihr. Unter den 14 Achttausendern gilt der K2 als der schwierigste. Schwieriger als der Everest, dem er die Krone als höchstem Gipfel der Welt überlassen muss.

    Der K2 liegt auf der Grenze zwischen Pakistan und China und ist der unerfüllte Traum der Gerlinde Kaltenbrunner.
    Die Frau aus Oberösterreich ist eine der besten Bergsteigerinnen der Welt, für viele vielleicht sogar die beste, denn sie orientiert sich am sogenannten Alpinstil. Das heißt, sie versucht, mit kleiner Seilschaft und möglichst ohne fremde Hilfe, den Gipfel zu erreichen – im Grunde so, wie sie es schon in ihrer Kindheit gelernt hat. Damals, als der Gemeindepfarrer von Spital am Pyhrn, in ihr und in anderen Jugendlichen die Begeisterung für die Berge geweckt hat.

    "Wir sind immer schon mit dem Rucksack und mit den Bergschuhen in die Kirche gekommen. Der Herr Pfarrer hat immer sein rot-kariertes Hemd unterm Gewand angehabt, die Knickerbocker, die Bergschuhe, und das waren keine fünf Minuten später, da haben die Kirchenglocken geläutet, da waren wir schon draußen, da sind die Leute aus der Kirche herausgegangen, da san mir schon irgendwo rausgefahren zum Bergsteigen. Das war Sonntag für Sonntag wirklich schon ein schönes Erlebnis und da hab ich mich schon jedes Mal gefreut drauf, wenn das Wochenende gekommen ist."

    Ihre Freude am Bergsteigen hat die inzwischen Vierzigjährige sich bewahrt, hat ihr Hobby längst zum Beruf gemacht. Anders ist Höhenbergsteigerei ab einem gewissen Niveau auch kaum zu betreiben, sagt ihr Lebens- und Bergpartner Ralf Dujmovits:

    "Was kostet eine Genehmigung für den K2? Das sind 12000 Dollar zum Beispiel für den K2. Für den Mount Everest ists deutlich teurer. Für sieben Personen 70000 Dollar. Dann gibt’s jede Menge anderer Kosten, die man zusammenfassen kann – die Flüge, die Kosten vor Ort, das Hotel, die ganzen Träger und was man so alles braucht. Und unterm Strich sind wir dann für ne Expedition zum Beispiel in Pakistan bei circa 15- bis 18000 Euro, wenn wir als kleine Gruppe unterwegs sind."

    Zum vierten Mal ist Gerlinde Kaltenbrunner nun zu ihrem Schicksalsberg K2 gereist. Und diesmal begibt sie sich auf ein für sie vollkommen unbekanntes Terrain: über Kirgistan ist sie mit ihrem Mann, drei weiteren Bergsteigern und einem Helfer mit Bus, Jeep und Lastwagen in den chinesischen Teil des Karakorum gefahren, will es nun erstmals von der chinesischen und nicht von der pakistanischen Seite des Berges aus versuchen.

    Über staubige Straßen und hohe Pässe erreichte die Mannschaft vor wenigen Tagen die chinesische Grenze und sattelte kurz dahinter im wahrsten Sinne des Wortes auf Kamele um. Denn: Nach der Überschreitung des 4.800 Meter hohen Aghil-Passes musste der Fluss Shaksgam durchquert werden und das ging nicht ohne die Hilfe dieser Tiere. Danach ging es alleine weiter zum Basislager.

    Ein Abenteuer im Abenteuer, das auch erklärt, warum diese Route so selten begangen wird. Doch Gerlinde Kaltenbrunner hat körperliche wie psychische Anstrengung noch nie gescheut. Und: für sie zählt der Weg genau so viel wie das Ziel. Ihre zierliche Erscheinung und ihre herzliche und gleichzeitig bedächtige Art können nicht darüber hinweg täuschen, dass sie sich ihren Spitznamen Cinderella Caterpillar - zu Deutsch in etwa "Cinderella Planierraupe" – redlich verdient hat. Ihr wird ein eiserner Wille nachgesagt.

    "Wir sitzen oft zwei Wochen im Basislager, weils Wetter schlecht ist, wann da jemand ungeduldig ist, dann haut er die Nerven weg und des san Dinge, ja, die san so selbstverständlich, aber dort wird das echt auf die Probe gestellt, also das man wirklich Geduld mitbringt und je disziplinierter man ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ma gut durchkommt und das fangt schon an beim Schneeschmelzen, dass man wirklich ausreichend trinkt, das ist da oben bei der Höhe, auf 7000 Meter, alles ne große Überwindung. Man muss Schnee holen, Eis holen, man ist eigentlich müde und würd sich gern mal kurz zurücklegen, aber es steht im Vordergrund eben Schnee zu schmilzen und viel zu trinken, des san alles so Dinge, die da ne große Rolle spuin."

    Und natürlich macht man es sich schwerer als andere Bergsteiger, wenn man auf zusätzlichen Sauerstoff verzichtet und die vorgefundenen Fixseile früherer Expeditionen, die zum Teil an klettertechnisch schwierigen Stellen zu finden sind, nur zum Sichern benutzt und ansonsten aber aus eigener Kraft klettert.

    Und natürlich ist auch die Todesgefahr ein ständiger Begleiter. Noch so viel Disziplin, Planung und bergsteigerisches Geschick sind vergebens, wenn die Natur sich von ihrer unberechenbaren Seite zeigt. Gerlinde Kaltenbrunner musste das selbst schon mehrfach erleben, obwohl sie als äußerst vorsichtig gilt und im Zweifel immer umkehrt, bevor sie sich und andere in Gefahr bringt. Zum letzten Mal schlug das Schicksal vor einem Jahr zu, als ihr schwedischer Kamerad Fredrik Ericsson am K2 vor ihren Augen mehr als 1000 Meter tief in den Tod stürzte. Wie lebt man nach einem solch tragischen Ereignis weiter?

    "Ich bin vielleicht geprägt auch von meinem früheren Beruf als Krankenschwester. Do hab i auch oft Sterbeseminare besucht und hob scho gelernt mit dem Tod umzugehen und der Tod gehört einfach zum Leben und bei jedem ist es ein bisschen anders und Fredrick, so seh i des, der hat eben wirklich seine Träume gelebt und ist leider Gottes dabei umkommen. Aber jetzt deswegen zum Bergsteigen aufhörn, des würd ihm net helfen und mir genauso wenig. Des is in mir drin, des is mei große Leidenschaft und wird’s bleiben und passieren kann immer und überall was."

    Gleichwohl schlägt Höhenbergsteigern gerade nach Katastrophen am Berg auch oft starke Ablehnung entgegen oder zumindest Unverständnis darüber, dass sich Menschen absichtlich in Gefahr begeben. Gerlinde Kaltenbrunners Lebensgefährte Ralf Dujmovits, selbst ein bekannter und erfahrener Bergsteiger, glaubt, dass diese Reaktion auf unsere westliche Lebensweise zurückzuführen ist

    "Wir leben in einer total überversicherten Gesellschaft. Das heißt, jeder hat für tausend Dinge die Versicherungen und es darf um Gottes Willen nichts passieren und die Eigenverantwortlichkeit für jeden Einzelnen geht immer weiter zurück. Und beim Bergsteigen ist unglaublich viel Eigenverantwortlichkeit gefragt und es passiert eben auch was. Ich möcht in dem Fall nicht von Risiken reden, sondern eher von Wagnissen sprechen, ein altes deutsches Wort, was sehr fein zwischen Gefahr und Risiko besteht, dass man sich des Risikos bewusst ist, dass man des sehr bewusst eingeht und das man das auch sehr genau ausloten kann."

    Und ein kalkulierbares Risiko, so ergänzt Gerlinde Kaltenbrunner, wäre ihr zumindest lieber als der Verzicht auf das, was ihr Leben für sie lebenswert macht: in der Natur zu sein, auf den höchsten Bergen der Welt. Dort, wo statistisch gesehen, auf vier gelungene Besteigungen ein Todesfall kommt. Eine Faszination, die vielleicht nur der wirklich verstehen kann, der sie selbst erlebt hat.

    "I hob oft net die Möglichkeit eingeräumt bekommen, dass i auch wirklich die Faszination hab erzählen können, was das eigentlich ausmacht. Oft wars dann so, dass ich gedacht hab, ein Hörer oder Leser, der mi jetzt net kennt, der glaubt, es geht ja so oder so nur um die Todesgefahr und Harakiri und des is überhaupt net. Des kann passieren, aber was es tatsächlich ausmacht und warums uns immer wieder dahin zieht, das san die Momente, die Augenblicke da oben, die absolute Stille, der kloane Mensch in der großen Natur, des alles aufzunehmen, des is es, was es so ausmacht."

    Würde Gerlinde Kaltenbrunner dieses Mal den K2 bezwingen, dann wäre sie die erste Frau, die alle 8000er ohne Sauerstoff bestiegen hat. Ein Triumph, den sie, wie sie sagt, eigentlich nicht braucht. Dort oben zu stehen, das möchte sie für sich selbst erreichen, nicht um eine Statistik anzuführen. Und nicht um jeden Preis. Notfalls, so hat sie gesagt, wird sie eben noch einmal umkehren.