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Auf den Schwingen des Adlers

Der Grand Canyon im Südwesten der USA ist ein unwirtliches Fleckchen Erde. Heimgesucht von Dürren und Überflutungen, ungeeignet für die meisten Formen der Landwirtschaft, fordert er viel von denen, die dort leben. Trotzdem gibt es seit etwa 4000 Jahren Menschen im Grand Canyon. Kleine Figuren aus Zweigen, gefunden in Höhlen unterhalb der Höhenplateaus, zeugen davon. Vor etwa 700 Jahren siedelte sich der Indianerstamm der Hualapai hier an.

Von Bettina Schmieding | 27.03.2011
    Sie ereilte dasselbe Schicksal genau wie alle anderen nordamerikanischen Indianerstämme. Bekämpft bis aufs Äußerste überlebte ihr Volk nur mit Mühe. Heute gibt es wieder 2300 Hualapai, viele leben mehr schlecht als recht vom Tourismus in der Region Grand Canyon West. Die meisten der jährlich fünf Millionen Besucher zieht es in andere Teile der 450 Kilometer langen Schlucht des Colorado-River. Ein Dilemma, ist doch der Fremdenverkehr Lebensgrundlage und gleichzeitig Gefahr für die indianische Kultur. Und dann wollte auch noch ein Investor aus Las Vegas eine Aussichtsplattform bauen. Ein Plan, der die Hualapai in eine Krise stürzte.

    "Wir Hualapai-Indianer haben in der Canyon Region seit vielen Hunderten von Jahren gelebt. Für uns ist es ein sehr spiritueller und mächtiger Ort. Vor einigen Jahren haben unsere Stammesältesten beschlossen, diesen Teil des Grand Canyon für die Welt zu öffnen. Wir wollten unser Zuhause teilen. Es wäre sehr selbstsüchtig, einen so schönen Ort für sich selbst zu behalten. Die Ältesten besaßen die Weitsicht zu erkennen, dass sich dies einmal sehr positiv auf uns auswirken würde. Der Rest der Welt ist gekommen, um etwas zu sehen, was wir das Erbe der Hualapai nennen. Darauf sind wir sehr stolz. Ich bitte unseren Schöpfer, sich um uns zu kümmern und uns zu segnen und ich bitte ihn, das auch für unsere Besucher zu tun."

    Wilfred Whatoname ist ein amerikanischer Indianer. Genauer gesagt ist er einer von etwa 1000 Hualapai, die noch Hualapai sprechen. Er schmunzelt, als er hört, dass diese Sprache ja fast ein bisschen wie rückwärts abgespielt klinge. Der kleine, kräftige Mann ist nach Deutschland gekommen, um vom Grand Canyon zu erzählen und für die Belange seines Stammes zu werben. Im Gepäck hat er das, was ein guter Public Relations Manager braucht. Visitenkarten, Prospekte und einen kleinen, tragbaren Drucker. Der lässt sich an die mitgebrachte Digitalkamera anschließen - so kann man die Fotos mit dem Indianer Wilfred gleich ausgedruckt mit nach Hause nehmen. Ohne großes Zaudern verschwindet der Hualapai im Waschraum und kommt nach zehn Minuten mit Federn in seinen langen schwarzen Haaren zurück. Um den Hals eine Wunschkette aus Wildknochen und türkisfarbenen Steinen. Ja, von Winnetou hat er auch schon gehört, und dass Karl May seine Romane geschrieben hat, ohne jemals bei den echten Indianern gewesen zu sein, berichtet Wilfred und zieht amüsiert den rechten Mundwinkel etwas in die Höhe. Er macht nicht viel Aufhebens um sich und geht ganz pragmatisch an seine Rolle als Botschafter der Hualapai.

    "Wenn ich weit reise, dann tue ich das aus einem bestimmten Grund: Die Zeit, die ich entfernt von meiner Familie verbringe, wird vielleicht dazu beitragen, ihnen ein besseres Leben zu bieten."

    Die Hualapai sind ein stolzes Volk mit einer für amerikanische Verhältnisse uralten Geschichte. Sie bewohnen den Südwesten der USA seit mehr als 700 Jahren. Es gibt nicht mehr viele von ihnen. 2300 Hualapai sollen es noch sein. Die meisten leben in Peach Springs, einem trostlosen Städtchen in Arizona. In den 1990ern wurde das Kasino geschlossen, das der Stamm im Reservat betrieb. Gegen das nahe Las Vegas hatte man keine Chance. Aber Wilfred tut das nicht leid.

    Die meisten Indianerstämme verdienten ihr Geld mit Glücksspielen, berichtet Wilfred. Aber damit nehme man den Menschen etwas weg. Und manchmal den eigenen Leuten. Leider sei es jedoch nicht so, dass die Hualapai sehr wählerisch sein könnten. Nachdem das Kasino geschlossen war, wurde es noch schlimmer mit dem Alkoholismus, den Drogen und der Gewalt. Mehr als die Hälfte der Hualapai hat keine Arbeit. Aber dann kam David Jin in diese dürre Region der USA und tat etwas, was Touristen gerne machen.

    "Es war 1996, als ich einen Helikopterrundflug durch den Grand Canyon machte. Ich flog vom Grund des Canyons bis nach ganz oben. Und danach habe ich mich gefragt, wie das wohl sein würde, wenn man über die Felsvorsprünge spazieren gehen könnte. Und daraus hat sich die Idee des Skywalk entwickelt."

    Der Mann aus Las Vegas mit asiatischen Wurzeln ist Unternehmer und Architekt. Einen riesigen Balkon wollte er ganz oben an einen Felsen kleben, man könnte Eintritt verlangen. Wie ein Hufeisen sollte der Skywalk in die Luft über dem Grand Canyon ragen. Mit einem Boden aus Glas, damit man den Fuß der Schlucht in seiner ganzen schwindelerregenden Entfernung gut sehen kann. Aber die Hualapai wollten nicht.

    "In diesem Gebiet des Canyons gibt es eine mächtige Felsformation. Man nennt sie Ort des Adlers. Für uns ist es ein Ort mit einer großen Spiritualität. Man sagt, dass hier vor vielen Hundert Jahren ein Adler lebte. Dieser Adler war sterbenskrank. Er liebte diesen Ort und er liebte es, zu fliegen. Man sagt, dass er sich in seiner Not an "Bakiova", wie es in meiner Sprache heißt, also an den Schöpfer, gewandt hat. Und der hat ihn in Stein verwandelt, damit der Adler für immer an diesem Ort bleiben kann und sein Geist die Geschicke dieses Ortes lenken kann. Den Skywalk genau gegenüber zu errichten, bedeutete für uns eine Verletzung dieser Spiritualität."

    Die Hualapai mussten sich das nicht einfach so bieten lassen. Dieser Teil des Grand Canyon liegt auf ihrem Gebiet. Und der Stamm darf per Gesetz alleine darüber entscheiden, welche Geschäfte auf seinem Grund und Boden erlaubt sind. Deshalb musste der Investor aus Las Vegas auch erst freundlich fragen, ob er seine Idee verwirklichen darf. 30 Millionen Dollar und elf Jahre später ist der Himmelsaustritt fertig. Und die Hualapai haben ihren Frieden damit geschlossen, die meisten wenigstens. Vielleicht auch, weil bei der Eröffnungszeremonie zwei Adler am Himmel gewesen sein sollen.

    "Vielleicht hat uns dieser spirituelle Ort ein Zeichen geschickt. Einige haben es auf jeden Fall gesehen. Die Adler fliegen immer noch und das ist für uns ein Zeichen, dass es an der Zeit ist, dass die Hualapai sich aufrichten, damit man sie hier und auf der ganzen Welt als Stamm zur Kenntnis nimmt."

    Mit Spiritualität alleine kommt aber heute keiner mehr weiter, weiß Wilfred.

    "Die Leute profitieren davon und das haben sie wirklich gebraucht, um sich selbst über Wasser halten zu können. Der Skywalk hat uns mehr Besucher und mehr Umsatz gebracht. Und dieses Geld gibt dem Stamm die Möglichkeit, mehr Menschen zu beschäftigen. Außerdem konnten wir in unserer Gemeine ein Kulturzentrum bauen. Wir haben den Skywalk zwar anfangs nicht gewollt. Aber mittlerweile wird er doch von immer mehr Menschen akzeptiert."

    Die Hualapai sind von Anfang an in die Planung des Projekts einbezogen worden, bestanden darauf, dass sich eine Touristenattraktion auf ihrem Stammesgebiet in die natürlichen Gegebenheiten integrieren müsse.

    Es ist ein Balanceakt, das war allen Beteiligten klar. Heute, vier Jahre nach der Eröffnung, ist die Arbeitslosigkeit im Reservat nicht nennenswert zurückgegangen, aber die Hualapai haben jetzt eine Perspektive. In einigen Jahren, wann genau, da will sich Wilfred, ganz amerikanischer PR Profi, nicht festlegen. Irgendwann also wird der Skywalk den Hualapai gehören und mit ihm alle Einnahmen. Das heißt mehr Kulturarbeit, Sprachkurse und Ausbildung für die Jungen. Und für ihn selbst, sagt er, habe sich schon viel verändert. Bis der Skywalk kam, habe er die USA noch nie verlassen. Heute reise er als Hualapai-Botschafter in der ganzen Welt herum. Ob er sich dabei wirklich wohlfühlt? Keine Ahnung, seine dunkle Sonnenbrille verwehrt einen Blick auf seine Augen. Aber seine Stimme verrät, wo es für ihn am schönsten ist.

    "Wenn du da raus trittst und die Hände über die Brüstung des Skywalk streckst, dann fühlst du den Wind. Man sagt, dass man spüren kann, wie der Adler fliegt. Das sind natürlich die Aufwinde aus dem Canyon. Mich bringt das wieder auf den Boden zurück, zu den wesentlichen Dingen. Wir Menschen glauben ja immer, dass wir so überlegen sind. Da draußen weißt du, wie klein wir in Wirklichkeit sind. "
    Der Hualapai-Indianer Wilfred Whatoname
    Der Hualapai-Indianer Wilfred Whatoname (Bettina Schmieding)