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Auf den Spuren des Ruhrpott-Rambos

Kommissar Schimanski zählt in Duisburg genauso wie die Industriellen Thyssen, Haniel oder die Torwartlegende Toni Turek zu den Persönlichkeiten der Stadt. Im Hafenstadtteil Ruhrort können Fans bei einer Tour die Spur des Tatort-Kommissars und seines Kollegen Tanner verfolgen.

Von Klaus Lockschen | 17.05.2012
    Rund 30 Personen, altersmäßig bunt gemischt, sogar eine Familie mit drei Generationen darunter, finden sich am Neumarkt ein, nur wenige Meter entfernt von dem Ort, an dem sich Schimanski am liebsten herumtrieb: der ehemaligen Schifferkneipe "Zum Anker".

    Seit zwei Jahren ist hier das schmucke Kulturcafé Kaldi. Manche der Erschienenen outen sich schon über ihre Garderobe zweifelsfrei als Schimmi-Fans. Der Endfünfziger Bernd Wallstein aus Solingen ist ein solcher:

    "Irgendwann kommt man einfach in ein Alter, da muss man eine Schimanskijacke haben. Dann war ich auf der Suche, hab dann keine originale gefunden und hab da so eine nachgebaute Jacke mir gekauft. Die hat dann nicht so lange gehalten, und dann bin ich auf die Originale gestoßen und seitdem trag ich die tagtäglich. Und sie sieht trotzdem noch gut aus."

    Andere wiederum wollen den Spaziergang vorrangig nutzen, um den Strukturwandel hautnah zu erleben - die aktuelle Kultur- und Stadtgeschichte im weltweit größten Binnenhafen, der einmal der reichste Stadtteil Deutschlands war.

    Auf geht´s.

    Schon nach wenigen Schritten machen wir Halt vor einem modernen Glasgebäude. Stilecht, auf einem mitgebrachten, leeren Bierkasten stehend, hält Dagmar Dahmen Fotos von 1981 hoch:

    "Wenn sie sich umdrehen und dieses recht moderne Gebäude sehen, das ist von 2009. Hat Haniel hier hin gebaut für neun Millionen Euro. Sie müssen jetzt ein bisschen Fantasie haben, um sich vorzustellen, dass da mal vor über 30 Jahren der erste Tatort gedreht wurde mit Schimanski. Der hieß "Duisburg-Ruhrort", und da kam Götz George hierher und dann sah das noch so aus: eher typisch Ruhrort."

    Auf den Bildern sieht man ein kleines Wohnhaus mit einem riesengroßen Hof davor.

    Wir ziehen weiter zum Ruhrorter Hof, der im Film als Rotlichthotel diente und in dem Schimmi von den Prostituierten wie ein guter Bekannter begrüßt wurde.

    "Wenn mal jemand Lust hat, in den Ruhrorter Hof zu gehen, da ist eine sehr nette Wirtin, die auch immer betont, dass sich da nichts verändert hat seit 30 Jahren. Wenn sie das mal erleben möchten, es ist sehr nett einen Kaffee (oh, es ist wohl auf), der Kaffee kostet 1,10 Euro."

    Der Ruhrorter Hof zwar nicht, doch ringsum die Gegend ist im gründlichen Wandel.

    "Ein Viertel der Läden steht leer, das ist schon eine ganze Menge. Und es gibt schon seit zwei Jahren Bemühungen auch von Haniel, Haniel macht ja hier sehr viel in der Stadt, auch in dem Stadtteil hier, dass man wieder ein bisschen mehr Leben hier in den Stadtteil bekommt. Also hier war ja einmal das St. Pauli des Ruhrgebiets, hier waren 100 Kneipen, zig Binnenschiffer. Das kann man sich ja gar nicht vorstellen: Rotlicht, Straßen, wo die Kinder nur auf der rechten Straßenseite laufen durften, weil links war es zu gefährlich, und was die Ruhrorter alles erzählen. Ja, das ist alles ein bisschen weg, und jetzt kommen hier schöne Geschäfte hin."

    "So, wir stehen an der legendären Stelle des ersten Mal Scheiße von Schimanski. Es kamen ja unzählige, man hat die nicht alle gezählt. – Ich habe letztens noch eine Folge gesehen, "Spielverderber", da hat sich Tanner einmal die Mühe gemacht, die Scheiße von seinem Kollegen alle zu zählen in einer Folge, es waren 18. Ich glaube, das hat er nicht mehr getoppt, aber hier fiel das erste Mal das Wort Scheiße."

    Wir ziehen wenige Meter weiter zum Friedrichsplatz.

    "Wir sind jetzt an der Stelle der ersten Currywurst von Schimanski, der ja auch unzählige gefolgt sind. Bitte den Blick auf die Dönerbude gegenüber! In dem Film hat er "Bei Gina" die erste Currywurst gegessen, hieß aber gar nicht "Bei Gina", sondern hieß "Pommes Kalle". Wurde dann einfach umgetauft für den Schimanski."

    Auf der lauten Hauptstraße geht es weiter zur Mühlenweide mit ihrem Flaggenmast. Hier wehen die Wimpel von all denen, die in Ruhrort was auf sich halten.

    Wir folgen der Dammstraße Richtung Uferpromenade und unterqueren die markante Friedrich-Ebert-Brücke. Neben den Brückentürmen machen wir Halt.

    "Eine Weile wohnte der Tanner ja beim Schimanski, und man weiß ja, die beiden sind ziemlich unterschiedlich. Die mussten aber trotzdem ein paar Folgen zusammenwohnen, weil der Tanner von seiner Ehefrau rausgeschmissen wurde. Und irgendwann war es dann doch einmal zu bunt, und plötzlich wohnte der Tanner in diesem schönen Brückenturm hier in Ruhrort. Kann man hier auch sehen, dass er morgens seine Toilette mit Blick auf die Brücke gemacht hat, Aftershave rechts und links auf die Wange. Also gerade auch der schönste Teil des Brückenturms, der jetzt noch renoviert wird."

    Nur wenige Schritte entfernt, auf der linken Rheinseite, war das Hochhaus Rheingarten ein weiterer Drehort: Mord an einer Frau, die vom Balkon des 16. Stocks geworfen wurde.

    "Wir hatten bei der letzten Tour halt einen Herrn dabei, dessen Schwester die Leiche spielen durfte an diesem Hotel."

    Vor uns liegt nun der Leinpfad – den störenden Autoverkehr haben wir bald abgeschüttelt. Hier, am Zusammenfluss von Rhein und Ruhr, wo sich Hafenmeisterei und Pegeluhr befinden, zeigt Ruhrort seine ruhigen, grünen Seiten.
    Lagen hier früher noch die Schiffe im Päckchen zusammen, ist deren Zahl wegen hoher Liegegebühren drastisch gesunken. Und auch das Tuckern der Schiffsdiesel ist kaum noch auszumachen. Wir bleiben an einem Haus mit einem markanten Balkon stehen:

    "Was hier auf jeden Fall gewesen ist, ist die erste Nacht von Schimanski mit besagter Lilo, der Kneipenwirtin. Liebe kommt ja auch ziemlich häufig vor beim Schimanski mit wechselnden Damen, und die allererste war dann halt die Lilo."

    Und wenige Meter daneben wird Schimanski zur ersten Leiche gerufen:

    Wir kommen zum Museumsschiff Oscar Huber, ein aus den 20er-Jahren stammender Seitenrad-Schleppdampfer, direkt daneben liegt am Wasser die Hafenkneipe "Zum Hübi". In dieser Gegend hat Schimmi einmal seine Kollegen abschütteln müssen.

    "Oben ist die Dammstraße. Das ist die Szene mit Schimanski und seinem Freund Frieder, das ist in der Folge "Die Freunde". Die laufen oben lang und merken, sie werden verfolgt, und zwar von eigenen Leuten von Schimanski, weil man vermutet, dass der Schimanski mit dem Frieder gemeinsam Raubüberfälle organisieren will. Die waren früher einmal befreundet, weil Schimmi mit ihm Autos geknackt hat. Er hatte eine leicht schräge, kriminelle Vergangenheit, ist dann aber wieder auf die gute Seite zurückgekehrt und Polizist geworden. Aber man vermutet, die beiden hecken was zusammen aus."

    Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Aktuell geschossene Bilder wären fast bis ins Detail mit denen aus den 80ern identisch. Wir gehen weiter zu dem Gelände der früheren Schiffswerft Lünnemanns Loch. Herausgeputzte, ehemalige Industriellenvillen wechseln sich ab mit schäbig grauen Hausfassaden. Die Schiffswerft am Ende des Werfthafens ist mittlerweile abgerissen. An Lünnemann erinnert nur noch eine bunkerähnliche Öffnung in der Uferböschung, die, weil blau gestrichen und nachts ausgeleuchtet, von den Ruhrortern "blaue Grotte" genannt wird. Hier hat Schimanski auf einem Binnenschiff die Habseligkeiten des Toten unter die Lupe genommen. Die Kulisse scheint seit drei Jahrzehnten eingefroren.

    Dagmar Dahmen hält wieder ein Bild von 1981 hoch – und auch hier mag man glauben, es sei gerade geschossen worden.

    "Jetzt haben wir noch einen Höhepunkt zum Schluss: Ich nenne das persönlich immer das kleine Babelsberg von Duisburg-Ruhrort, weil hier wirklich sehr viel gedreht worden ist. Das Gelände der Firma Kleinholz war für Klaus Löwitschs "Hafendetektiv" der Drehort, "Das Wunder von Bern" wurde hier auch gedreht. Unzählige Szenen, ob im Hellen, ob im Dunkeln mit Schimanski, Schimanski auf dem Schiff, beim Schweißen, er hilft seinem Freund Frieder, weil die eigentlich in die Südsee irgendwann mal abhauen wollen."

    Auch die Kleinholz-Reparaturwerft scheint so ein Ort zu sein, der sich dem Altern widersetzt.

    Hier werde ich von meiner eigenen Geschichte eingeholt. – Gut drei Jahrzehnte leiteten meine Eltern diesen Betrieb. Beide wohnten hier skurril inmitten des Industriegebiets, aber auch gerne und ungewöhnlich lauschig, direkt am Wasser.

    Für die Tourleiterin und mich ein Grund, unsere Rollen zu tauschen: Statt zu lauschen, steuere ich Anekdoten bei. – Über Wochen ging das Produktionsteam hier ein und aus, das große Wohnzimmer war Aufwärmort, Ort der Stärkung und des Klönens zugleich. Und wenn Schimanski-Darsteller Götz George beim Dreh selbst in das kalte Wasser des Hafenbeckens gesprungen war, stellte sich meine Stiefmutter danach ans Bügelbrett, um die vor der Kälte schützende Satinunterwäsche für den nächsten Dreh wieder trocken zu bekommen.

    Alles Geschichte, Stiefmutter und Vater sind seit Jahren tot, der Betrieb in anderen Händen.

    Es geht vorbei an Vorgärten, in denen große Stockanker und Schiffsschrauben auf die Hafengeschichte verweisen, vorbei am Gründungshaus der Firma Haniel und deren heutiger Unternehmensrepräsentanz. Ein pompöser Glasbau, durch dessen Hülle die zahlreichen Kunstwerke uns Passanten nachzublicken scheinen.
    Wir kommen zurück zum Startpunkt unserer Tour, zurück zum Neumarkt, nun ins Café Kaldi.

    Vor dem Café alias "Zum Anker" empfängt uns nach einem gut zweistündigen Fußmarsch Schimanski – wenn auch nur als lebensgroße Graffititafel. Und in der Gaststube die Stärkung. Schimmi-Teller. Currywurst mit Brötchen.