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Auf der Flucht aus der Vergangenheit

Pop Art - die Begegnung mit der frechen und optimistischen Kunst aus Amerika war in den 60ern ein Schlüsselerlebnis für den Kunstsammler Peter Ludwig. Heute hängen die Bilder von Robert Rauschenberg, Andy Warhol und Roy Lichtenstein im nach ihm benannten Museum Ludwig, das vor 20 Jahren in Köln eröffnet wurde und einer ganzen Generation die Flucht aus der Vergangenheit ermöglichte.

Von Sigrid Nebelung | 06.09.2006
    "Ich kam als 19-Jähriger aus dem Krieg, aus amerikanischer Gefangenschaft. Deutschland lag in Trümmern, den Menschen ging es schrecklich und ich begegnete einem Buch - Abbildungen von Werken Picassos, die ich ja bis dahin nirgends habe sehen können - und war wie von einem Schock getroffen. Ich glaubte, in diesen Bildern etwas wieder zu erkennen von dem, was in mir und was in den Menschen war."

    Die erste Begegnung des Sammlers Peter Ludwig mit der zeitgenössischen Kunst. Von damals bis zur Gründung des nach ihm benannten Museums 1976 und zur Eröffnung des Museumsneubaus im Schatten des Kölner Doms zehn Jahre später war es noch ein weiter Weg.

    Der Entdeckung Picassos, über dessen Menschenbild der Kunsthistoriker Peter Ludwig promovierte, folgte in den 60er Jahren die Entdeckung der Pop Art in New York. Längst hatte Ludwig seine Kommilitonin Irene Monheim geheiratet und die Aachener Schokoladenfabrik seines Schwiegervaters zu einem der erfolgreichsten Unternehmen der Bundesrepublik gemacht. Er reiste viel und oft nach New York. Die Pop-Artisten, die den amerikanischen "Way of Life" so optimistisch, strahlend und frech auf die Altäre der Kunst hoben, waren für Ludwig ein Schlüsselerlebnis. Er kaufte und kaufte - beim Galeristen Leo Castelli und in den Ateliers.

    1969 fand im Kölner Wallraf-Richartz-Museum die erste große Ludwig-Ausstellung mit "Kunst der Sechziger Jahre" statt. Eine Sensation. Nicht nur Ludwig, eine ganze Generation, die ihrer Vergangenheit entkommen wollte, identifizierte sich mit den Großformaten von Robert Rauschenberg, Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Tom Wesselman oder George Segal.

    "Man erinnert sich an den produktiven Schock, als in den beengten Räumen des alten Wallraf-Richartz-Museums die großen Formate der Pop Art die süßen, betulichen Altartafeln der alten Kölner Meister bedrängten","

    so der Kunstprofessor Willibald Sauerländer.

    1976 setzte Kölns Kulturdezernent Kurt Hackenberg einen Vertrag durch: Die Stadt verpflichtete sich zu einem Neubau, trennte aus dem altehrwürdigen Wallraf-Richartz-Museum das neue Museum Ludwig mit der gesamten Kunst des 20. Jahrhunderts heraus und nahm dafür die Ludwig-Schenkung von 300 Bildern und Objekten entgegen. Ludwig spendierte weitere Leihgaben, darunter millionenschwere Bilder von Picasso oder Matisse und eine Sammlung Russischer Avantgarde:

    ""Was ich von den meisten Sammlern kenne, beschränkt sich auf das Reden über Leihgaben. Ich fordere auf zu schenken. Schenken heißt nämlich unwiderruflich weggeben."

    Die Eröffnung des neuen Doppelmuseums auf dem Domhügel heute vor 20 Jahren wurde ein Fest. Die Shed-Dächer des Hauses der Architekten Busman und Haberer, mit Titanzink verkleidet, changierten je nach Laune des Wetters von stumpfem Grau bis zu mattem Gold.

    Das Museum Ludwig mit der modernen, vor allem aktuellen Kunst, besetzte das Kellergeschoss und das Obergeschoss mit dem Tageslicht. Für die Malerei vom 13. bis zum 19. Jahrhundert des Wallraf-Richartz-Museums blieb schließlich nur der erste Stock. Stefan Lochners "Madonna im Rosenhag", Rubens oder Rembrandt eingeklemmt zwischen der Moderne - die Machtkämpfe im Haus waren vorprogrammiert. Ludwig wollte de Kunstkathedrale für sich allein haben:

    "Sammler haben, sicher auch wie Künstler, den Ehrgeiz, mit ihrer Sammelleidenschaft, mit dem Ergebnis dieser Sammelleidenschaft, über den Tod hinaus zu wirken. Das ist so."

    1994 konnte die Stadt dank der großen Picasso-Schenkung der Ludwigs den Auszug des Wallraf-Richartz-Museums in einen Neubau beschließen. Der Traum des Sammlers, der 1996 gestorben war, erfüllte sich endlich 2001: Er herrschte allein im Haus am Rhein.

    Neuer Direktor wurde Kasper König, der gleich aufräumte: Es wurde umgebaut, geöffnet, freier Zugang geschaffen. König brachte die konzeptuelle Kunst wie Fluxus ins Spiel, Strömungen, die es parallel zur PopArt gab, "um die Sammlung Ludwig dialektisch aufzuladen".

    Zu Lebzeiten Ludwigs war Köln ein Mekka zeitgenössischer Kunst. Das hat sich verändert. Viele Künstler sind nach Berlin abgewandert, auch Galeristen und Sammler zieht es in die Hauptstadt. Ein Hauch von Abschied liegt über der Stadt. Gerhard Kolberg, Oberkustos am Museum Ludwig und seit 1978 dabei, sieht die Bedeutung des Museums dadurch nicht geschmälert. Die Besucherzahlen der letzten Jahre seien gut:

    "Eins hat sich natürlich verändert: Wir waren hier, das Museum Ludwig, das Wallraf-Richartz-Museum, als Kölner Museen in der Zeit, als Bonn noch die Bundeshauptstadt war, auch ein kulturpolitisches Zentrum. Wir waren der Ort, wo die Programme abliefen, wo die Politiker herkamen, wir waren das Kultur-Schaufenster für Bonn. Und diese Atmosphäre, die fehlt uns heute schon mal, das ist etwas Internationales gewesen, was uns damals hier ausmachte."