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Auf der Suche nach dem Dialog

In Österreich gibt es eine Besonderheit: Seit bald 30 Jahren wird islamischer Religionsunterricht regulär an staatlichen Schulen angeboten - auf deutsch und unter staatlicher Kontrolle. Schon seit 1912, durch das Islam-Gesetz von Kaiser Franz Josef, ist der Islam eine staatlich anerkannte Religion in Österreich. Rund 400 Lehrer unterrichten 50.000 Kinder.

Von Anne Zimmermann | 12.02.2010
    Erdal Seker aus Salzburg ist einer von ihnen. Er ist in der Türkei geboren, ging in Österreich zur Schule, hat hier die Matura - das Abitur - gemacht. Er ist Religionslehrer für Volks- und Hauptschüler, seine islamische Ausbildung hat er - auf deutsch - an einem Islam-Institut in Österreich gemacht. Eine pädagogische Ausbildung war nicht inbegriffen. Die holt Erdal Seker zurzeit nach. Nebenbei studiert er an der Uni Salzburg "Erziehungswissenschaft":

    "Dies ist sozusagen von mir freiwillig, weil ich selber diese Schwachpunkte erkannt habe, weil - ich habe das bemerkt, dass hier ein Nachholbedarf ist."

    Erdal Seker ist als sogenannter "Vertragsreligionslehrer" eingestellt worden, von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Die Islamische Glaubensgemeinschaft gibt es seit gut 30 Jahren, sie ist die gesetzliche, zentrale Vertretung aller Muslime in Österreich. Die Organisation verwaltet den islamischen Religionsunterricht, so wie die katholische Kirche für den katholischen Unterricht zuständig ist. Sie bildet die Lehrer aus, entwirft die Lehrpläne und kontrolliert den Unterricht durch Fachinspektoren.

    Jahrelang, so sagen Kritiker, waren die Lehrer allerdings de facto unbeaufsichtigt, weil es zu wenige Inspektoren gab. Und: "Nur etwa 30 Prozent der österreichischen Lehrer haben eine religionspädagogische Ausbildung, die dem europäischen Standard entspricht," sagt zumindest Professor Ednan Aslan, Leiter des Instituts für islamische Religionspädagogik an der Universität Wien. Er war selbst einmal Fachinspektor, er kennt das System - und will es verbessern. Gemeinsam mit der österreichischen Bundesregierung und der Stadtverwaltung Wien hat er an der Uni einen Weiterbildungslehrgang ins Leben gerufen: "Muslime in Europa", eine Art Demokratiekurs für Imame, Religionsbeauftragte und islamische Seelsorger:

    "Imame und Seelsorger lernen zunächst das System in Europa, unsere Werte in Europa: Was ist Recht, was ist die Stellung des Staates, Demokratie, Bildung, Gleichheit von Mann und Frau. Und vor allem wichtig: auch die Wahrheit der anderen Religionen."
    Der Kurs hat im November begonnen, er dauert zwei Semester. Es gibt 30 Teilnehmer, sieben von ihnen sind Frauen. Mehr als 70 Interessenten haben sich beworben. Einige wurden wegen mangelnder Deutschkenntnisse abgelehnt, andere, weil sie missionieren wollten. Erdal Seker, der Religionslehrer aus Salzburg, ist angenommen worden. Er ist - neben seinem Lehrerberuf und seinem Studium - Imam in einer Moschee, er zitiert als Vorbeter Koranverse beim Freitagsgebet, er macht das ehrenamtlich. Der 33-Jährige ist einer der wenigen Imame, die nicht von einer Moscheegemeinde aus dem Ausland geholt wurden. Und er fände es gut, wenn es in Österreich eine festinstallierte Ausbildung für Imame geben würde:

    "Sie kennen erstens einmal die Sprache besser, die Kultur besser, die Umgebung besser, also wir haben nicht einen Importmenschen, der von einer anderen Kultur kommt, sondern wir haben einen Menschen, der hier aufgewachsen ist, hier lebt, hier weiß, welche Werte werden vermittelt, welche Wert sollten noch aufgebaut werden."
    Erdal Seker ist in Österreich aufgewachsen, er kennt die Werte. Trotzdem büffelt er jedes Wochenende an der Uni Wien, muss Prüfungen schreiben, Referate halten, ein Praktikum absolvieren. In einer Jugendeinrichtung zum Beispiel, in einem Gefängnis oder einem Frauenhaus. Jedes Samstag fährt er für zwei Tage von Salzburg nach Wien, 300 Euro muss er für den Kurs bezahlen, dazu kommen Material- und Fahrkosten. Der Staat unterstützt den Lehrgang finanziell. Die Lehrinhalte bestimmt die Uni; in den zuständigen Gremien sitzen zum Beispiel Islamwissenschaftler, Pädagogen, Juristen oder auch Wirtschaftswissenschaftler. Muslimische Organisationen sind nicht vertreten. Professor Aslan sucht aber den Dialog mit ihnen, berichtet von wachsendem Interesse, hofft auf ihre Unterstützung:

    "Es war interessant, am Anfang war die Unterstützung sehr gering. Nach unserem Erfolg haben wir auch die Unterstützung der großen Verbände, das heißt dass die Verbände einfach sehen möchten, was sie mit diesen Kursen erreichen möchte."
    Noch ist es zu früh für eine Bilanz. Noch ist der Uni-Kurs "Muslime in Europa" nur ein Pilotprojekt in Wien. Geht es nach Ednan Aslan, wird das Angebot für die Imame in Österreich aber bald ausgeweitet.