Donnerstag, 28. März 2024

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Auf der Suche nach Wissen

Die Erkenntnistheorie, klassische Disziplin der Philosophie, befindet sich in Wallung. Grund dafür ist die Schule der Naturalisten, die als Wissensquelle einzig die empirische Erfahrung zulässt. Dagegen stehen die Traditionalisten als Verteidiger von Theorie und Diskurs.

09.08.2007
    "Ich habe Philosophie studiert, mich immer mit Erkenntnistheorie beschäftigt."

    "Weil ich im Laufe meines Philosophiestudiums hier in Köln mit christlichen Fundamentalisten in Kontakt gekommen bin, und mit denen laufend im Internet diskutiere – was ist Wissen? Was kann man eigentlich wissen?"

    "Ich beschäftige mich normalerweise mit zeitgenössischer französischer rund lateinamerikanischer Philosophie und so ist jetzt nordamerikanische Philosophie eine ganz gute Ergänzung."

    "Ich bin Heilpädagogin, bin gespannt, wie viel ich mitdiskutieren kann oder wann ich abgehängt werde."

    Nicht alle Studierenden, die sich für die diesjährige philosophische Sommerschule angemeldet haben, sind vom Fach. Und das ist beabsichtigt, denn der Organisator, der Kölner Philosophieprofessor Thomas Grundmann, hat als Thema einen Denkansatz gewählt, wo sich philosophische, psychologische und biologische Forschungen kreuzen: die naturalistische Erkenntnistheorie. Und eingeladen ist einer ihrer führenden Vertreter, der amerikanische Philosoph Hilary Kornblith. Grundmann:

    "Es handelt sich nicht um eine normale Tagung oder einen Workshop, sondern die Idee ist schon, dass Hilary Kornblith von den Grundlagen anfangend in seine eigene Position einführt. Er gibt sechs oder sieben Vorlesungen in der Woche. Was mir wichtig war, ist, dass sehr viel Spielraum für Diskussionen bleibt, wir haben schon Zeiten anberaumt, wo wir über ein oder zwei Stunden über die Vorlesung diskutieren, vielleicht auch in mehreren Runden und dann habe ich vorab Referenten ausgewählt, von denen ich sicher war, auch durch enge Absprache, dass sie wichtige Punkte in Kornbliths Position kritisieren, so dass das noch mal eine Anregung für eine tiefer und weitergehende Diskussion ist."

    Zurück zu den Sachen selbst – lautet ein alter Schlachtruf gegen die etablierte Philosophie. Naturalisten wie Hilary Kornblith haben ihn aufgegriffen. Sie fordern die Philosophen auf, ihren Lehnstuhl zu verlassen und die Phänomene draußen in der Welt zu studieren, anstatt sich allein mit ihren Begriffen und Intuitionen zu beschäftigen.Genau wie ein Naturwissenschaftler sich nicht bei dem Wort für Aluminium aufhält, wenn er die Sache selbst erkennen will, sondern den Stoff empirisch untersucht - so sollten auch die Erkenntnistheoretiker über das Thema Wissen nicht rein theoretisch reflektieren, sondern vielmehr die vorhandenen Formen von Wissen empirisch studieren und nach ihren Quellen hin befragen. Thomas Grundmann gibt ein Beispiel für die naturalistische Herangehensweise:

    "Stellen Sie sich vor, jemand hat ein bestimmte Meinung, z.B. er stellt sich vor, dass es draußen gerade regnet, er hört den Regen, aber er ist so abgelenkt, dass er dieses Hören gar nicht richtig realisiert, aber morgens hat er im Horoskop gelesen, - nehmen wir das mal so an – dass es heute regnen wird. Dann ist die tatsächliche Quelle seiner Meinung das Lesen des Horoskops – und die ist total unzuverlässig, und deshalb ist seine Meinung nicht gerechtfertigt, obwohl er gute Gründe hätte: Er hört ja im Hintergrund halb bewusst den Regen, und hätte er das zur Grundlage seiner Meinung gemacht, so wäre sie auch gerechtfertigt gewesen."

    Wenn Kornblith von Wissen spricht, so unterscheidet er gerechtfertigte Meinungen, die auf zuverlässigem Wege zustande gekommen sind und meistens, aber nicht immer, zur Wahrheit führen – in diesem Fall das Sinnesorgan Ohr – und ungerechtfertigte Meinungen, die auf tönernen Füßen stehen – das Horoskop. Für Kornblith existiert keine normative Idee von Wissen mehr, also wie es dem Ideal nach beschaffen sein müsste. In der naturalistischen Sicht gibt es nur empirische Gestalten, die man untersuchen, vergleichen und beurteilen kann. Bei dieser wissenschaftlichen Arbeit sind auch die Ergebnisse der Psychologie gefragt, jene Wissenschaft, die der traditionell orientierte Philosoph am liebsten aus seinem angestammten Geschäft heraushalten will. An diesem Punkt hat Thomas Grundmann Sympathie für die naturalistische Sicht, weil sie die Erkenntnistheorie vom Himmel herunter auf die Erde holt:

    "Und daran sollte sich die Erkenntnistheorie orientieren, sie sollte keine Wolkengebilde erzeugen, die niemand befolgen kann, sondern sie sollte Normen für den Menschen formulieren – und dazu muss sie auf kognitive Fähigkeiten des Menschen Rücksicht nehmen und welche das sind, das ist z.T. auch ein Ergebnis psychologischer Forschung und Arbeit. Die Angst, die in Deutschland ein bisschen umgeht vor dem Naturalismus - Naturalismus ist hier auch ein Reizwort, insbesondere wenn man es in Zusammenhang mit der Philosophie bringt - ist immer zu sagen: Wenn wir Naturalisten sind, verlieren wir den eigentlichen Gegenstand aus dem Auge: Wissen, so wie es die Philosophen meinten. Das wäre der eine Punkt. Und der andere wäre: Die Philosophie geht vollkommen verloren. Dann machen wir Naturwissenschaft."

    Aber es handelt sich nicht nur um Ängste von seiten der Philosophie, die der Besitzstandwahrung entspringen, es gibt sachliche Einwände gegen eine naturalistische Erkenntnistheorie. Zum Beispiel von Joachim Horvath, der über Erkenntnistheorie promoviert, und während der Woche Position für die philosophische Tradition ergreifen will, auch wenn er Kornblith gewisse Zugeständnisse macht:

    "Er hat natürlich einige gute Kritikpunkte, insofern ist es sehr wahrscheinlich, dass die Tradition nicht ganz ungeschoren davonkommt. Meine Idee ist, der Versuch auszuloten, wie man da dagegen halten kann und die Tradition ein bisschen verteidigen kann. Zum Beispiel bei dem Wissensbegriff scheint es erst einmal recht unplausibel zu sein, dass man den mit empirischen oder - wie er sagt - sogar biologischen Methoden erforschen sollte."

    Aluminium und Wissen sind nicht nur zwei grundverschiedene Gegenstände, was Kornblith anerkennt. Sie verlangen auch eine unschiedliche Herangehensweise – was Kornblith ablehnt. Der Begriff Aluminium ist nur ein Name, ein Etikett, das man vernachlässigen kann. Anders verhält es sich bei Wissen. Hier enthält der Begriff selbst schon Wesentliches, das wir durch Reflexion herausarbeiten können und müssen. Der Begriff Wissen impliziert unter anderem die Forderung nach kohärentem Zusammenhang und nach Wahrheit, - genau darin liegt, so Platon, der Unterschied zwischen Wissen und bloßem Meinen. Grundmann:

    "Wir haben ja im Fall von Wissen die Meinung, dass Wissen dann vorliegt, wenn jemand eine Überzeugung hat und diese Überzeugung auch wahr ist. Jetzt stellen Sie sich vor, wir hätten paradigmatische Fälle von Wissen und würden herausfinden, dass in all diesen Fällen keine Wahrheit vorliegt: Würden wir dann sagen, dann müssen wir unsere Vorstellung von Wissen revidieren und sagen, Wissen enthält eben keine Wahrheit? Nein. Wir würden anders reagieren und sagen: Dann sind das keine genuinen Fälle von Wissen, denn die Wahrheit fehlt. Kornblith übersieht diesen Unterschied oder versucht, ihn zu klein zu machen, und wenn wir das vor Augen halten, kann man manches retten von seinen interessanten Anregungen, insbesondere dass wir nicht im luftleeren Raum Erkenntnistheorie betreiben sollten, aber wir sollten das Kind auch nicht mit dem Bade ausschütten und sehen, dass es bestimmte Bereiche in der Erkenntnistheorie gibt, insbesondere die Reflexion der Grundbegriffe, wo wir uns doch auf Begriffsanalyse und apriorische Methoden verlassen müssen."