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Auf die Plätze!

Der schlanke, sportliche, gesunde Körper signalisiert hohe Leistungsbereitschaft. Andererseits weckt die Erinnerung an Schulsport in muffigen Turnhallen bei manchen traumatische Erinnerungen. Das Hygienemuseum in Dresden beleuchtet nun verschiedenen Facetten des Sports.

Von Barbara Weber | 14.04.2011
    "Ich kann sagen, dass diejenigen, mit denen ich im Alter von 20 Sport gemacht hab', dass das bis heute eigentlich Bekannte, Freunde, Duzfreunde sind, die eigentlich das ganze Leben lang bestanden haben und eigentlich nie aufhören."

    Gunter Gebauer, Professor für Philosophie und Sportsoziologie, Freie Universität Berlin.

    "Ich denke ja, dass es kaum jemanden gibt, den Sport völlig kalt lässt. Jeder hat irgendein Verhältnis zum Sport. Da sorgt schon unser bewährter Schulsportunterricht dafür. Für viele ist es ein grausiges Erlebnis, zeichnet die Menschen für das weitere Leben."
    Klaus Vogel, Honorarprofessor und Direktor des Deutschen Hygiene Museums Dresden.

    "Ich habe Volleyball gespielt. Ich bin zwei Meter vier groß, was mich dafür privilegierte, mal als Volleyballer ausgewählt zu werden und habe zehn, zwölf Jahre meines Lebens Volleyball gespielt, war richtig Leistungsspieler beim Sportclub Leipzig in den 80er Jahren. Und heute - ja, ich fahr' jeden Tag eine Stunde Rad. Ich fahre von zuhause zur Schaubühne mit dem Rad und abends zurück, wenn es nicht regnet. Das ist aber auch alles."

    " Und ist das Sport?"

    "Ja, für mich ja!"

    Jan Pappelbaum, Bühnenbildner und Susanne Wernsing, Kuratorin.

    Was ist Sport?
    Das Intro der Ausstellung im ersten Raum soll für die Besucher die Frage aufwerfen, was Sport überhaupt ist.
    Die Kuratorin Susanne Wernsing steht vor einer raumfüllenden, großen Vitrine.

    "Wir haben deshalb eine große Wunderkammer des Sports konstruiert aus Sportgeräten, die aber in einer Weise, die gerade nicht den gängigen Sparten von Sportdisziplinen entspricht."

    Was das bedeutet, erschließt sich dem Besucher bei näherer Betrachtung der Objekte:

    "Wir sehen eine Reihe von Fahrzeugen, ein Hightech-Carbon-Rennrad über ein selbst gebautes Rennmotorrad über einen alten Ergometer, einen Rollstuhl. Wir kommen von den Rundungen der Reifen auf Bälle, auf Gewichte, unter die Bälle sind Helme gemischt, neben einem Punchingball hängt eine Fechtmaske. Wir kommen dann von den Materialien Leder und Holz zu einem Turnpferd, kommen über die Fahrräder und die Sattel von Fahrrädern zu Pferdesatteln, kommen von dem Turnpferd zu einem Stufenbarren, zu Hürden."

    Diese auf den ersten Blick etwas verwegene Mischung verwirrt. Das soll sie auch, denn die Ausstellungsmacher wollen eingefahrene Denkmuster in Frage stellen. Die ganze Konstruktion läuft rein über die Form, um bei den Besuchern erst mal den gängigen Blick auf den Sport, der sich rein an Disziplinen, Zuweisungen orientiert, aufzulösen und zu sagen: Was gibt der Sport alles her? Welche Sportdisziplinen kennen wir und dann zu überlegen, wie kann man diese Sportdisziplinen in der folgenden Ausstellung befragen.

    Sportdisziplinen sind eine Konvention. In der Natur kommen sie so nicht vor. Sport ist eine Kulturtechnik, Bewegung - künstlich vom Menschen geschaffen - so Gunter Gebauer, der auch einen Aufsatz im Begleitbuch der Ausstellung verfasst hat.

    "Beim Sport rennt man ja nicht, weil man einen Bison erlegen will oder weil man einem Hasen eine Falle stellt oder weil man vor Feinden weglaufen will, sondern man geht in eine vorbereitete Stätte, Sportstätte, und macht dort etwas, was kulturell geprägt ist, also man läuft einen Lauf über eine bestimmte Distanz. Man macht Wettkämpfe. Man macht Übungen. Man trainiert. Man arbeitet in Gruppen gemeinsam und ähnliches. Das ist etwas, was wir in Naturumgebung nie haben. Das sind kulturelle Regelungen, die bestimmte Tätigkeiten auszeichnen, also beispielsweise so etwas wie Hundert Meter, ein Sprint, kommt in der Natur nicht vor, kommt bei keinem der Naturvölker vor, ist aus der Steinzeit nicht berichtet worden sondern nur zweckgebundene Tätigkeit."

    Die Griechen sind die Ersten in der Geschichte, von denen uns sportliche Betätigung überliefert wurde.

    "Wenn man das betrachtet, stellt man fest, es wurde ein großes Ereignis gefeiert, gemeinsam mit einer Verehrung der Götter, Zeus als olympischer Gott war der oberste Gott in Olympia, Apoll in Delphi usw. Also jede große Wettkampfstätte, es gab in Griechenland vier große sogenannte Kranzspiele, war einem Gott gewidmet und in diesem religiösen, später kann man nur sagen, locker religiösen Kontext, wurden über mehrere Tage, manchmal mehrere Wochen hinweg, Festspiele veranstaltet, in deren Mittelpunkt der Sport stand."

    Und nicht nur das. Ähnlich der heutigen Sportberichterstattung wurden die Spiele kommentiert und die Sieger gewürdigt:

    "Es ist etwas, was von Dichtern begleitet worden ist. Es gibt Siegeshymnen, die wurden allerdings auf Bestellung und gegen Bezahlung abgeliefert, das ist alles nicht so idealistisch, wie man sich das im 19. Jahrhundert vorgestellt hat, aber es gab immer diejenigen, die über die Spieler und die Sieger berichtet haben."

    Die Idealisierung der Sportler und das Leistungsdenken in der Antike spiegelt sich im Umgang mit den Siegern wider, meint Gunter Gebauer:

    "Wir haben seit dem 8.vorchristlichen Jahrhundert die Siegerlisten. Das ist etwas ungeheuerliches, dass wir über jede einzelne Disziplin von Olympia Bescheid wissen, wer dort gewonnen hat. Überliefert worden sind nur die Sieger, das heißt, es ist eine reine Siegeskultur, Triumphkultur, die die Feier des Gewinners sich zu eigen gemacht hat. Und so etwas ist eingearbeitet worden in mythische Erzählungen. Es ist dargestellt worden in Skulpturen. In der Frühzeit waren die Skulpturen der Olympiasieger sogar das Vorbild für die Darstellung von Götterskulpturen. Die Griechen haben sich die Götter zunächst mal unkörperlich vorgestellt und nur angenommen, dass Götter zu bestimmten Gelegenheiten Gestalt angenommen haben, menschliche Gestalt, und dann haben die Skulptoren ihnen die Gestalt von Olympiasiegern gegeben."

    "Der Fülle der Sportdisziplinen und der Vielfalt der Sportgeräte soll am Ende des Raumes in einer Silhouettenwand die Fülle der Körper zugestanden werden, also inwieweit formt der Sport selbst dann diese verschiedenen Körper."
    "Und jetzt haben wir versucht, acht archetypische Silhouetten des menschlichen Körpers zu entwickeln von einem ganz großen, der meine Körpergröße von zwei Metern zehn hat bis zu ganz kleinen, bis zum Rollstuhlfahrer, von ganz schmalen bis zu dicken und sich im Grunde jeder damit jetzt identifizieren muss zu schauen, wie zum einen der andere dadurch passt und was man selber glaubt, welchen Körper man präsentiert von denen, die hier abgebildet sind und dann diesen Weg nehmen muss."

    Um in die nächsten Ausstellungsräume zu kommen, müssen die Besucher sich eine passende Öffnung suchen, durch die sie hindurchschlüpfen können.
    Für den Gestalter und die Kuratorin ist das erwartungsgemäß kein Problem.

    " Mir bleibt nur der ganz große von zwei Meter zehn übrig."

    "Ich muss wohl durch die Schwimmerin durch."

    Der zweite Ausstellungsraum greift die aktuelle Debatte um Gesundheit, Schönheit und Leistungssteigerung auf. Körper unterliegen dem Druck, ständig perfektioniert zu werden - ein Phänomen, das in unserer Gesellschaft eine zunehmend größere Rolle spielt, meint der Sportsoziologe Gunter Gebauer:

    "Das Körperliche spielt ja in unserer Gesellschaft eine enorme Rolle. Das liegt daran, dass unsere Gesellschaft insgesamt die Sichtbarkeit, das Bildliche ganz besonders stark in den Vordergrund stellt . Der Kanon der Darbietung hat sich in den letzten dreißig, vierzig Jahren ungeheuer verändert: Schlankheit, Jugendlichkeit rückt in den Vordergrund, Gesundheit, ein zur Schau tragen von persönlichen Qualitäten wie Energie, Ausdauer, Belastbarkeit usw. Das sind alles Werte, die körperseelisch sind, Werte, die nicht eindeutig nur auf den Körper festzulegen sind sondern sie zeigen sich am Körper, und sie geben Auskunft über die Leistungsfähigkeit und die inneren Qualitäten einer Person. "

    Das Problem scheint schon in der Antike nicht ganz unbekannt gewesen zu sein, spottete doch der Satiriker Juvenal im ersten vorchristlichen Jahrhundert: Orandum est, ut sit mens sana in corpore sano - Beten sollte man darum, dass in einem gesunden Körper ein gesunder Geist steckt.

    "Was in dieser Einleitung als Kampf mit sich selbst beschrieben wird, leitet dann in den Themenraum über, wo es um das Wettkampfprinzip im Sport geht, wo es nicht um den Kampf mit sich selber geht sondern um den Kampf mit dem anderen, also wie funktioniert Sport eigentlich auf der einen Seite über Konkurrenz und Gegnerschaft und auf der anderen Seite, wie werden innerhalb dessen Teams hergestellt, Identitäten, Nationalidentitäten gestiftet, im Grunde, was ist die politische Dimension im Sport."
    Identitäten können gestiftet werden durch Kleidung. So präsentieren die Ausstellungsmacher in einer Vitrine einen Skianzug der Schweizer Nationalmannschaft aus den 1980er Jahren, der gemustert ist wie ein Schweizer Käse. Schon Polarforscher und Bergsteiger setzten großen Ehrgeiz darin, ihre Nationalflagge als erstes auf den erzwungenen Gipfel oder am Ziel zu positionieren.

    "Zum Thema Wettkampf im Sport muss man einerseits die körperliche Auseinandersetzung im Sport zeigen und andererseits das Fairness - Prinzip."

    Fairness ist aber nur gewährleistet, wenn alle die gleichen Voraussetzungen haben. Das ist beispielsweise beim Doping nicht der Fall. Entsprechend wird Doping im Leistungssport geahndet.

    "Im Sport wird die Leistung ja erst vergleichbar, wenn alle die gleichen Ausgangsbedingungen haben und indem vorausgesetzt wird, dass der Gegner körperlich unversehrt bleibt. Trotzdem gibt es in vielen Sportarten ein Element von körperlichen Auseinandersetzungen und Gewalt, die den Körper in Gefahr bringt,"

    ...so die Kuratorin.

    "Deshalb haben wir aus verschiedenen Sportarten die Schläger in einer Installation wie Waffen installiert, die eine Schussrichtung haben, auf einen Körper zielt, der am Ende des Raumes steht. Das ist einmal eine Ringerpuppe, dann ein Trainingsgerät aus dem Fechten, das ist ein Stoßkissen, in dessen Mitte sich ein Herz befindet. Dazwischen haben wir verschiedene Exponate, die den Schutz des Körpers im Sport zeigen, das ist einmal eine Reihe von Schutzmasken und in einer weiteren Reihe verschiedene Schutzkörper, die den Oberkörper des Sportlers schützen."

    Manche Sportarten sind ohne ein gewisses Maß an Gewalt undenkbar. Doch gelten im Sport andere Regeln als im Alltag.

    Sportsoziologe Gunter Gebauer:

    "Man muss zwei Seiten sehen, es gibt die Kanalisierung, aber es gibt auf der anderen Seite auch die Auslösung von Gewalt. Ein Fußballspiel oder ein Eishockeyspiel, ein Boxwettkampf, ein Ringkampf oder ähnliches, geben ja in einem gewissen Maß Gewalt frei, dass was normalerweise geächtet wird, wie der Schlag ins Gesicht, wird beim Boxkampf regelrecht gefordert oder der Schlag mit dem Fuß oder das Gerangel an der Bande beim Eishockey und so weiter, das sind Akte, die wir im normalen Leben, nehmen wir an in der U-Bahn oder im Bus, für gewalttätig halten können. Im Sport gehören sie dazu, und wer darauf verzichtet ist offenbar ein Feigling oder ist nicht aggressiv genug oder ähnliches."

    Das ist die eine Seite. Andererseits gibt es Regeln, die zum Beispiel im Fußball, Gewalt durch rote Karten ahnden. Damit soll sichergestellt werden, dass die Gewalt nicht ein bestimmtes Maß überschreitet.

    "Und das ist genau das Problem, was der moderne Sport hat, gerade der Sport, mit dem man sehr viel Geld verdienen kann, der von der Öffentlichkeit so sehr wahrgenommen wird, dass man auf der einen Seite möglichst viel Gewalt freisetzen muss, also Sportreporter pflegen zu sagen, die Abwehr war nicht aggressiv genug, hab' ich gerade wieder heute morgen gehört, eine Mannschaft greift nicht entschlossen an, oder sie zieht keine Notbremse, sie grätscht nicht rein, man vermisst bei der deutschen Mannschaft die Blutgrätsche und ähnliches. Also es wird Gewalt gefordert, aber sie darf nicht zu groß sein."


    Das wird manchmal vergessen. Sport wird auch als Anlass für Gewalt genommen, zum Beispiel im Fußball, wo außerhalb des Stadions Fan-Gewalt eskalieren kann. Das hat dann allerdings mit dem Sport selbst nichts mehr zu tun hat sondern ist ein gesellschaftliches Phänomen ist, losgelöst vom jeweiligen sportlichen Ereignis.

    Der letzte Raum der Ausstellung verbindet spielerische Elemente mit Konsum und Mode.

    "Hier am Ende der Ausstellung, die auch für den Besucher den Endpunkt darstellt, wo er sich noch mal ausruhen kann, wo er noch mal sich auf diesen großen Mattenberg, der sich hier befindet sich setzen, liegen, hinstellen kann, um die einzelnen Exponate anzugucken, hier geht es eigentlich um die Vermischung wieder Sport, um die Sportkleidung, wie das Layout des Sports in den Alltag übergegangen ist, in die Alltagskleidung, in Alltagsgegenstände übergegangen ist, das sehen wir hier in den Regalen, den Vitrinen rechts und links, die eine Mischung darstellen zwischen einer musealen Präsentation von Sportkleidung und einer Shopping-Präsentation in einem Schaufenster zu Freizeitkleidung, dieser Übergang, wo man jetzt nicht mehr genau weiß, ist man jetzt eigentlich in Freizeitkleidung, Alltagskleidung oder bei Sportkleidung. "

    Und die Kuratorin Susanne Wernsing ergänzt:

    "Ja und ich glaube, es ist teilweise wirklich eine Umkehrung, wenn man hier die Kleidung aus der Techno-Szene beispielsweise mit der wirklichen Sportkleidung von Snowboardern vergleicht. Die Techno-Szene, die ja nicht behaupten würde, eine Sportszene zu sein, die diese körperbetonte, aus dem Sport hergenommene Materialtechnik für sich in Anspruch nimmt, im Gegensatz dazu die Snowboarderkleidung, die extra betont hängende Kleidung haben, die gerade jeden Sportcharakter negiert und sagt, wir bringen zwar irrsinnige Leistung hervor, aber wir geben uns immer den Anschein einer Mühelosigkeit, wir würden niemals sagen, wir gehen trainieren, wir würden niemals unseren durchtrainierten Körper auf Anhieb zeigen sondern die Bewegung selber hat eine bestimmte Coolheit, der man das Training eigentlich gar nicht mehr ansieht."

    Hier schließt sich der Kreis: Stufenbarren und Sprossenwand, aus muffigen Turnhallen wohlbekannt, weichen mehr und mehr den Trendsportarten. Schon heute finden sich mehr Freizeitsportler in Fitnesscentern als in Sportvereinen. Lifestyle ist das Thema. Der spießige blaue Trainingsanzug muss das Feld räumen. An seiner Stelle treten Konsum und Mode aber auch Musik und Kunst.