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"Auf Liebe und Tod"

Zwei Dutzend Filme hatte er in rund zwei Dutzend Jahren gemacht, als er am 21. Oktober 1984, noch nicht einmal 53 Jahre alt, starb: ein bösartiger Tumor hatte diesen genialen Kopf regelrecht zerfressen. In seinem Werk gibt es keinen Film, an den man sich nicht erinnern und den man nicht wieder sehen möchte. So sehr liebte er das Kino, dass er Routine niemals aufkommen ließ.

Von Peter W. Jansen | 21.10.2004
    Im Herbst 1972 dreht François Truffaut in Nizza den Film "Die amerikanische Nacht". Das ist sein Film übers Filmemachen, über die Arbeit und ihre Lust, die Liebe zum Kino. Es ist ein Film der Begeisterung, wie schon die triumphalistische Musik von Georges Delarue verkündet. Truffaut selbst spielt den Filmregisseur Ferrand, und alles was Ferrand sagt, entspricht der Überzeugung Truffauts.
    Demain c’est travail et le travail est le plus important. Tu es un très bon acteur, le travail marche bien... Je sais, il y a la vie privée... mais la vie privée elle est boiteuse pour tout le monde. Les films sont plus harmonieux que la vie, Alphonse. Il n’y a pas d’embouteillage dans les films. Les films avancent comme des trains, tu comprends, comme des trains dans la nuit. Les gens comme toi, comme moi, tu le sais bien, en est fait pour être heureux dans le travail... dans notre travail de cinéma.

    "Morgen gibt's Arbeit, und die Arbeit ist das Wichtigste. Du bist ein guter Schauspieler. Die Arbeit läuft gut. Ich weiß, du hast privaten Kummer, aber das passiert jedem einmal. Filme sind harmonischer als das Leben, Alphonse. Es gibt keinen Stau. Die Filme rollen wie Züge, wie Züge in der Nacht. Du weißt genau: Leute wie du und ich, wir können nur bei der Arbeit glücklich sein, bei der Arbeit fürs Kino."

    Der Zuspruch gilt dem Schauspieler Alphonse, der von Jean-Pierre Léaud gespielt wird, dem Lieblingsdarsteller Truffauts, seinem alter ego. Er hatte Léaud schon als Elfjährigen entdeckt und ihm die Hauptrolle in seinem ersten langen Spielfilm "Sie küssten und sie schlugen ihn" anvertraut. Das war ein autobiographischer Film über die eigene schwierige Kindheit als ungeliebtes Kind einer flippigen Mutter und eines autoritären Stiefvaters. Als der seinen Sohn, den kleinen Gelegenheitsdieb Antoine Doinel, vor seiner Schulklasse prügelt, weiß der Junge, was zu tun ist; jedenfalls sagt er es seinem Freund, der ihn fragt, was er jetzt machen wolle:

    Qu’est-ce-que tu veux faire… - … il faut que je vivre ma vie.

    Vivre sa vie – sein eigenes Leben leben: das war für den jungen Truffaut: ins Kino gehen, 100, 200 Mal im Jahr, und manche Filme hat er mehrfach gesehen. So und als einer der jüngsten Kritiker der Filmzeitschrift "Cahiers de cinéma" hat er gelernt, selber Filme zu machen, ohne jemals den Anspruch auf besondere Originalität zu erheben.

    "Ich habe nie gedacht, dass ich mit meinen Filmen das Kino revolutionieren könnte, oder dass ich mich anders ausdrücken würde als Filmemacher vor mir. Ich habe immer gedacht, dass das Kino im Prinzip sehr gut ist, und dass man es nur besser machen müsse."

    Doch was immer er machte, blieb auch später unverwechselbar mit seiner Person verbunden, mit seinem Leben, seinen Freundschaften, seinen Beziehungen, seiner Lektüre.
    "Ich kann nichts machen, was mir fremd ist. Wenn ich etwas lese, muss ich mich identifizieren können. Ich muss mir sagen können, dass ich in der gleichen Lage sein könnte. Das brauche ich, um wirklich arbeiten zu können."

    Neben Filmen, die der Forderung der "Nouvelle Vague" nach absoluter Privatheit von Thema und Handschrift folgen, stehen andere, die ein neues Kino der Stars begründen: Jacqueline Bisset und Isabelle Adjani haben ebenso wie Julie Christie und Oscar Werner, Charles Aznavour und Jean-Paul Belmondo, Bernadette Lafont und Gérard Depardieu ihre schönsten Filme diesem ins Kino vernarrten Regisseur zu verdanken. Sein erster großer Star war Jeanne Moreau in dem frühen Meisterwerk "Jules und Jim". Alles konnte in dieser Geschichte einer Freundschaft und des Versuchs einer Ehe zu dritt passieren, Melodram und ausgelassene Heiterkeit, Liebesdrama und Burleske. "Jules und Jim" ist, über das tödliche Ende des Films hinaus, Programm und Glaubensbekenntnis, eine Liebeserklärung an das Leben, die Literatur, das Kino.
    Glauben Sie, es wäre richtig, wenn ich sie heirate? Antworten Sie mir ganz offen. - Ist Catherine dazu geschaffen, Mann und Kinder zu haben? Ich fürchte, sie ist ein Typ, der nie ganz glücklich sein kann. Sie ist ein Wesen, das allen gehört, aber nie einem Mann allein.

    Am Ende der Uraufführung stehen die Zuschauer auf und applaudieren, 15 Minuten lang. Es ist am 23. Januar 1962, vierzehn Tage vor Truffauts 30. Geburtstag, der endgültige Durchbruch. Spätestens seit "Jules und Jim" galt er, von dem der Satz stammt: Filmemachen bedeute schöne Frauen schöne Dinge tun zu lassen, als Frauen-Regisseur. Den Frauen vor allem, Catherine Deneuve und Fanny Ardant, sind sein spätes Meisterwerk "Die letzte Metro" und sein letzter Film "Auf Liebe und Tod" gewidmet. - Auf Liebe und Tod könnte auch das Motto dieses Lebens für das Kino sein, eines Lebens, das ihn zu einem der Grossen der Filmgeschichte hatte werden lassen.